Beschluss vom 01.12.2020 - BVerwG 2 B 38.20

Judgment Date01 Diciembre 2020
Neutral CitationBVerwG 2 B 38.20
ECLIDE:BVerwG:2020:011220B2B38.20.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 01.12.2020 - 2 B 38.20
Record Number011220B2B38.20.0
Registration Date16 Febrero 2021
Applied RulesRL 2003/88/EG Art. 2 Nr. 1 und 2,VwGO § 108 Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 133 Abs. 3 Satz 3,BGB § 242
Subject MatterAllgemeines Beamtenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 2 B 38.20

  • VG Oldenburg - 15.06.2016 - AZ: VG 6 A 3840/14
  • OVG Lüneburg - 10.03.2020 - AZ: OVG 5 LB 56/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8 797,84 € festgesetzt.
Gründe

1 Die Beschwerde der Beklagten ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

2 1. Der im Jahr 1964 geborene Kläger steht im Amt eines Hauptbrandmeisters (Besoldungsgruppe A 9) im feuerwehrtechnischen Dienst der Beklagten. Er begehrt einen zeitlichen oder finanziellen Ausgleich für den im Zeitraum von Anfang Januar 2014 bis Ende August 2016 über die regelmäßige Wochenarbeitszeit hinaus geleisteten Dienst als "Organisatorischer Leiter Rettungsdienst" (im Folgenden: OrgL-Dienst).

3 Der OrgL-Dienst wird bei der Feuerwehr der beklagten Stadt in 24-Stunden-Schichten von jeweils 8:00 Uhr bis 8:00 Uhr des Folgetages abgeleistet und umfasst die Koordinierung der Versorgung der Verletzten bei Großschadenslagen mit einer Vielzahl von Verletzten. Während des OrgL-Dienstes sind die Beamten mit einem Funkgerät, einem Diensthandy und einem Dienstfahrzeug, das über eine akustische und optische Sondersignalanlage (Blaulicht und Martinshorn) verfügt, ausgestattet. Im Falle der Alarmierung haben sie sich mit diesem Dienstfahrzeug zur Rettungswache am Klinikum zu begeben, dort den Leitenden Notarzt abzuholen, mit diesem zum Einsatzort zu fahren und die örtliche Einsatzleitung zu übernehmen. Seit dem 1. Januar 2012 werden die OrgL-Dienste mit einem pauschalen Satz in Höhe von 12,5 Prozent als Freizeit oder entsprechend finanziell vergütet, wobei die tatsächlichen Einsatzzeiten als Dienstzeit angerechnet werden.

4 Im Dezember 2013 beantragte der Kläger, die über die reguläre Wochenarbeitszeit hinaus wahrgenommenen OrgL-Dienste als Arbeitszeit anzuerkennen und die Zeiten durch Gewährung von Freizeit oder hilfsweise einer finanziellen Entschädigung auszugleichen. Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren für den Zeitraum ab Januar 2011 weiterverfolgte, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die nur bezogen auf den Zeitraum ab Januar 2014 zugelassene Berufung hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. August 2016 über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten OrgL-Dienste im Umfang von 463,31 Stunden eine Entschädigung in Höhe von 8 797,84 € zu gewähren. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

5 Der Kläger könne für die im vorbezeichneten Zeitraum geleisteten OrgL-Dienste auf der Grundlage des aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleiteten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs eine finanzielle Entschädigung verlangen. Der Beklagten sei es aus dienstlichen Gründen nicht möglich, Freizeitausgleich zu gewähren. Zwar stelle der vom Kläger geleistete OrgL-Dienst nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Maßstäben keinen Bereitschaftsdienst und damit keine Arbeitszeit dar. Der Kläger habe sich während des OrgL-Dienstes nicht - wie vom Bundesverwaltungsgericht gefordert - an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs, sondern gerade in seinem Privatbereich für eine etwaige Dienstaufnahme bereitgehalten. Auch die weitere, vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Voraussetzung, dass erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen sein müsse, liege nicht vor. Während des OrgL-Dienstes sei es nicht typischerweise oder regelmäßig zu Einsätzen gekommen. Allerdings sei diese Rechtsprechung nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21. Februar 2018 - C-518/15, Matzak - NJW 2018, 1073) nicht mehr heranzuziehen. Es komme vielmehr für die Einstufung von Dienst als Arbeitszeit maßgeblich darauf an, ob sich der Beamte während des Dienstes an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müsse, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können. Daran gemessen seien die vom Kläger über die reguläre Arbeitszeit hinaus geleisteten OrgL-Dienste als Arbeitszeit in Form von Bereitschaftsdienst zu qualifizieren. Die den Dienst ausgestaltenden technischen und (dienst-)rechtlichen Vorgaben für die Nutzung des Einsatzfahrzeugs hätten bei typisierender Betrachtung eine faktische Aufenthaltsbeschränkung des OrgL-Dienst leistenden Beamten auf seinen privaten häuslichen Bereich bewirkt. Der Beamte sei während dieses Dienstes mit einem Dienstfahrzeug ausgestattet gewesen, das dauerhaft an eine vom Dienstherrn "freigegebene" häusliche Steckdose anzuschließen gewesen sei, um die Ladung der im Fahrzeug befindlichen Geräte zu erhalten. Das Dienstfahrzeug habe nach den dienstrechtlichen Vorgaben nicht zu privaten Zwecken genutzt werden dürfen. Im Falle der Alarmierung habe der Beamte innerhalb von 20 Minuten am Klinikum eintreffen und den Leitenden Notarzt aufnehmen müssen. Aus diesen Vorgaben habe sich eine Aufenthaltsbeschränkung für die mit dem Dienstfahrzeug eine "Einheit" bildenden Beamten auf ihren häuslichen Bereich ergeben.

6 2. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

7 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 16. April 2020 - 2 B 5.19 - NVwZ-RR 2020, 933 Rn. 6).

8 a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
"ist die bundesverwaltungsgerichtliche Bereitschaftsdienst-Definition zur Abgrenzung von Bereitschaftsdienst (= Arbeitszeit) und Rufbereitschaft (= Ruhezeit) zur Abgrenzung von 'Arbeitszeit' und 'Ruhezeit' im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG nicht mehr anwendbar, soweit danach für das Vorliegen von Bereitschaftsdienst und damit 'Arbeitszeit' vorausgesetzt wird, dass sich der Verpflichtete an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat",
"ist die Zeit des 'Sich-Bereit-Haltens' im Rahmen einer angeordneten Rufbereitschaft Arbeitszeit, wenn der Dienstverpflichtete sich während dieser Zeit zwar nicht an seinem Arbeitsplatz, aber in seinem privaten Bereich aufzuhalten hat",
"können im System der Rufbereitschaft die technischen sowie dienstrechtlichen Vorgaben für die Ausübung des Dienstes bei typisierender Betrachtung eine faktische Aufenthaltsbeschränkung des Arbeitnehmers im Sinne des 'vom Arbeitgeber bestimmten Ortes' gemäß der Entscheidung des EuGH vom 21.02.2018, C-518/15 - Matzak -, als Voraussetzung für die Einordnung des Zeitraums des 'Sich-Bereit-Haltens' als 'Arbeitszeit' im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG bewirken, wenn keine ausdrückliche Bestimmung des Aufenthaltsorts durch den Arbeitgeber erfolgt",
führen nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Fragen lassen sich auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2018 - C-518/15, Matzak - (NJW 2018, 1073) und der bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des Berufungsurteils eindeutig beantworten, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

9 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist für die Einordnung als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG entscheidend, dass sich der...

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