Beschluss vom 02.09.2022 - BVerwG 2 WDB 6.22

JurisdictionGermany
Judgment Date02 Septiembre 2022
Neutral CitationBVerwG 2 WDB 6.22
ECLIDE:BVerwG:2022:020922B2WDB6.22.0
Subject MatterVorlagen/Beschwerden nach der WDO in Disziplinarangelegenheiten
Registration Date19 Octubre 2022
CitationBVerwG, Beschluss vom 02.09.2022 - 2 WDB 6.22 -
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 und 4, Art. 21 Abs. 2,SG §§ 7, 8 Alt. 1 und 2, § 23 Abs. 1,StGB §§ 86, 86a,StPO §§ 94, 110,WDO § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 8, § 42 Nr. 4 Satz 5 und Nr. 5 Satz 2 und 3, § 81 Abs. 2 Satz 1, § 91 Abs. 1 Satz 1, §§ 92, 114 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 139 Abs. 3, § 148
Record Number020922B2WDB6.22.0

BVerwG 2 WDB 6.22

  • TDG Nord 9. Kammer - 07.03.2022 - AZ: N 9 DsL 1/22 und N 9 Bld 2/22

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 2. September 2022 beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 7. März 2022 aufgehoben, soweit damit eine Durchsuchung der vom Mobiltelefon räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die vom Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann, angeordnet wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen der Soldat und der Bund jeweils zur Hälfte
Gründe I

1 Das Verfahren betrifft eine Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel wegen des Verdachts einer Verletzung der politischen Treuepflicht.

2 1. Der Soldat ist Hauptfeldwebel. Mit Beschluss vom 7. März 2022 ordnete der Vorsitzende der 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Durchsuchung des Soldaten, seiner persönlichen Sachen, seines Fahrzeugs, seines Spindes und des Wertfachs, seiner persönlichen/dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen, der dienstlichen Behältnisse und seines privaten Mobiltelefons, der darin befindlichen Speicherkarte sowie der vom Mobiltelefon räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die von dem Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann, sowie "gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln" an.

3 Der Soldat sei hinreichend verdächtig, zwischen September 2017 und März 2018 per "WhatsApp" Nachrichten und Bilder mit rassistischen Inhalten unter Bezugnahme auf seinen Dienst als Bundeswehrsoldat versendet und ausgetauscht zu haben. So habe er malische Staatsangehörige als "dumme Neger" bezeichnet. Ferner sei er hinreichend verdächtig, zumindest zwischen September und Dezember 2017 Bilder mit die NS-Zeit verherrlichenden und/oder die Opfer des Holocaust verächtlich machenden Inhalten erhalten und zum Teil zustimmend kommentiert zu haben sowie diesen Inhalten nicht entgegen getreten zu sein. Er habe Bewohner des Ortes ... als "Untermenschen" bezeichnet. Des Weiteren habe er von seinem Mobiltelefon zahlreiche Bilder aus der NS-Zeit mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - u. a. Bilder mit Hakenkreuzen und SS-Rune sowie z. B. Bilder von Dolchen/Messern mit solchen Kennzeichen - versandt. Es sei zu vermuten, dass er diese Inhalte beim täglichen Dienst auf seinem Mobiltelefon in militärische Liegenschaften eingebracht habe oder noch einbringen werde, was nach Nr. 313 A1-2630/0-9802 verboten sei. Aufgrund der Vielzahl der Inhalte mit eindeutigem Bezug zur NS-Zeit bestehe zudem der Verdacht, dass der Soldat nicht die Gewähr dafür biete, verfassungstreu zu sein. Der Verdacht stütze sich auf Erkenntnisse des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) vom 23. Februar 2022.

4 Die Durchsuchung richte sich neben dem Mobiltelefon mit darin befindlichen Speichermedien auch auf räumlich getrennte Speichermedien (z. B. Cloud, WhatsApp) und auf sonstige auffindbare IT (Computer, Laptop etc.). Auch damit könne auf WhatsApp zugegriffen und könnten Texte und Bilder der beschriebenen Art versandt werden. Es sei zu erwarten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismaterial führen werde. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig und stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und Stärke des Tatverdachts.

5 2. Der Soldat hat gegen den ihm am 9. März 2022 bekannt gegebenen Beschluss am 7. April 2022 Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 11. Mai 2022 hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer der bis dahin nicht begründeten Beschwerde nicht abgeholfen und hat sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6 3. Mit seiner dort am 4. Juli 2022 eingereichten Beschwerdebegründung macht der Soldat geltend, das Truppendienstgericht sei im Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft auf Anordnung der Durchsuchung nicht hinreichend über den Tatverdacht sowie darüber unterrichtet worden, wer durchsucht, wo gesucht und was gesucht und beschlagnahmt werden solle. Art und Inhalt der Beweismittel seien nicht angegeben worden.

7 Er sei inzwischen verhört worden. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse habe das Truppendienstgericht nicht berücksichtigt.

8 Es fehle am Anfangsverdacht eines Dienstvergehens. Insbesondere habe er nicht sichtbar die Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes verherrlicht. Details der im Schreiben des BAMAD angesprochenen Emojis seien nicht erkennbar. Seine Chatbeiträge seien auf seine Einsatzbelastung in Mali zurückzuführen. Sie beruhten nicht auf einer tiefen inneren Gesinnung. Er sei seit 2011 Soldat und habe sich beruflich und privat tadellos verhalten. In seinem engsten Kameraden-Freundeskreis gebe es viele Personen mit Migrationshintergrund. Im Einsatz habe er vor Ort Freundschaften geschlossen und sich insbesondere mit den Übersetzern sehr gut verstanden. Dass er infolge seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr militärische Antiquitäten sammle, sei keine Ausprägung einer verfassungsfeindlichen Neigung oder Verherrlichung der NS-Zeit. Als Sammler nutze er sein Mobiltelefon, um sich mit anderen Sammlern oder Händlern zur Wert- und Originalitätsbestimmung auszutauschen. Bilder von Gegenständen mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nutze er nur, um sie an Fach- und Sachkundige weiterzuleiten, was von § 86 Abs. 4 StGB gedeckt sei. Der von ihm in Bezug auf Bewohner des Ortes ... verwendete Begriff "Untermenschen" beziehe sich auf den dortigen Markt für militärische Antiquitäten. Dass er sich insoweit abfällig über andere Sammler geäußert habe, bedaure er. Der Chatverlauf habe keine Wirkung in der Öffentlichkeit gehabt.

9 Zu berücksichtigen sei ferner, dass sein berufliches Fortkommen im Hinblick auf eine Ernennung zum Berufssoldaten nach Dienstzeitende oder eine Verlängerung der Dienstzeit behindert werde. Weiterhin sei geplant gewesen, am Auswahlverfahren des Kommandos Spezialkräfte teilzunehmen.

10 4. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet. Es bestehe der Anfangsverdacht des dem Soldaten vorgeworfenen Dienstvergehens. Seine allgemeinen Ausführungen zu Belastungen im Einsatz ließen nicht auf eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit schließen. Auch beim Sammeln von Devotionalien mit nationalsozialistischem Bezug seien die straf- und dienstrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Das Ergebnis der Durchsuchung und nachfolgender Vernehmungen habe im Durchsuchungsbeschluss nicht berücksichtigt werden können.

II

11 Die Beschwerde hat im tenorierten Umfang Erfolg.

12 1. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ungeachtet der missverständlichen Formulierung ("wird [...] die...

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