Beschluss vom 04. März 2021 - 2 BvR 1161/19
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210304.2bvr116119 |
Date | 04 Marzo 2021 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 04. März 2021 - 2 BvR 1161/19 -, Rn. 1-71, |
Judgement Number | 2 BvR 1161/19 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
2 BvR 1161/19 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der A… GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer G…, B..., S…, |
- Bevollmächtigter:
- … -
gegen |
das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Februar 2019 - I R 73/16 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Maidowski
und die Richterin Langenfeld
am 4. März 2021 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Februar 2019 - I R 73/16 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
- Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
- Der Gegenstandswert wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
I.
1. Die Beschwerdeführerin, eine inländische GmbH, ist Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin der inländischen A... GmbH (A GmbH). Letztere war zu 99,98 % an der B… N.V. (B N.V.), einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien, beteiligt. Die restlichen Anteile an der B N.V. hielt die Beschwerdeführerin.
2. Die A GmbH führte für die B N.V. ein Verrechnungskonto, das ab dem 1. Januar 2004 mit 6 % p.a. verzinst wurde. Die Darlehensgewährung durch das Verrechnungskonto war nicht besichert. Für einen von einer Bank gewährten Betriebsmittelkredit über mehrere Millionen Euro zahlte die Beschwerdeführerin im Streitjahr 2005 3,14 % p.a. Am 30. September 2005 vereinbarten die A GmbH und die B N.V. einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein in Höhe von … Euro. Der Betrag entsprach dem nach übereinstimmender Ansicht der Vertragsbeteiligten wertlosen Teil der gegen die B N.V. gerichteten Forderungen aus dem Verrechnungskonto. Er wurde zwar in der Bilanz der A GmbH gewinnmindernd ausgebucht, jedoch rechnete das Finanzamt die „Teilwertabschreibung“ nach der unter anderem für das Streitjahr durchgeführten Außenprüfung zunächst gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) in Verbindung mit § 15 Nr. 2 KStG für körperschaft- und gewerbesteuerliche Zwecke wieder hinzu.
3. Auf den hiergegen eingelegten Einspruch der Beschwerdeführerin stützte das Finanzamt die Neutralisierung der Gewinnminderung in seiner Teil-Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 2013 mit Rücksicht auf die fehlende Forderungsbesicherung sodann auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz - AStG) in der Fassung des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz - StVergAbG) vom 16. Mai 2003 (BGBl I S. 660) und rechnete die Teilwertabschreibung außerbilanziell wieder hinzu.
4. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Mit Urteil vom 10. November 2015 erteilte das Finanzgericht der auf § 1 Abs. 1 AStG gestützten Einkünftekorrektur eine Absage. Zur Begründung führte es an, dass der abkommensrechtliche Grundsatz des „dealing at arm’s length“ nach Art. 9 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA), der sich auch in dem für den Streitfall maßgeblichen Art. 9 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 (BGBl II 1969 S. 18 - DBA-Belgien 1967) wiederfindet, eine Einkünftekorrektur nach den nationalen Vorschriften der Vertragsstaaten (im Streitfall: nach § 1 Abs. 1 AStG) nur dann ermögliche (sog. „abkommensrechtliche Sperr-wirkung“), wenn der zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarte Preis (im Streitfall: der Darlehenszins) seiner Höhe nach, also seiner Angemessenheit nach, dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhalte. Er ermögliche nicht die Korrektur einer Abschreibung, die auf den Teilwert der Forderung auf Rückzahlung der Darlehensvaluta und auf Zinsrückstände vorzunehmen sei, weil die inländische Muttergesellschaft das Darlehen ihrer ausländischen Tochtergesellschaft in fremdunüblicher Weise unbesichert begeben habe. Die fehlende Besicherung schlage sich insoweit nur im entsprechend bepreisten Zins nieder.
Das Finanzamt habe die Fremdunüblichkeit der vereinbarten Zinshöhe lediglich behauptet, aber trotz der ihm obliegenden Feststellungslast weder dargelegt noch nachgewiesen. Auch habe es die Hinzurechnung gerade nicht in Höhe der Differenz zwischen vereinbartem und einem von ihm als fremdüblich angenommenen Zins, sondern in Höhe des gesamten Abschreibungsumfangs vorgenommen, was verdeutliche, dass es die Hinzurechnung nach § 1 AStG gerade nicht auf die Fremdüblichkeit des vereinbarten Zinses stütze. Angesichts des Zinsaufschlags von 2,86 Prozentpunkten auf den Refinanzierungszinssatz sei das Finanzgericht zudem nicht von einer Fremdunüblichkeit der vereinbarten Zinshöhe überzeugt.
5. Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts mit Revisionsurteil vom 27. Februar 2019 (- I R 73/16 -, BFHE 263, 525) auf und wies die Klage der Beschwerdeführerin ab. Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts reichten nicht aus, um entscheiden zu können, ob es sich bei dem Verrechnungskonto um ein betrieblich veranlasstes (und damit steuerrechtlich anzuerkennendes) Darlehen oder um durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Einlagen in das Vermögen der ausländischen Gesellschaft handele. Dies könne jedoch offenbleiben, da in beiden Fällen eine außerbilanzielle Hinzurechnung zu erfolgen habe. Im Fall einer Einlage wäre eine gewinnmindernde Teilwertabschreibung gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ausgeschlossen. Im Fall eines betrieblich veranlassten Darlehens ergäbe sich die Einkünftekorrektur aus § 1 AStG.
a) Dabei stehe einer Korrektur nach § 1 AStG nicht bereits die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 1997 - I R 24/97 -, BFHE 184, 482; Urteil vom 24. Juni 2015 - I R 29/14 -, BFHE 250, 386) zum Konzernrückhalt entgegen. Soweit dieser habe entnommen werden können, dass allein in den Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters auf den Darlehensnehmer eine fremdübliche (werthaltige) Besicherung des Rückzahlungsanspruchs im Sinne einer aktiven Einstandsverpflichtung zu sehen sei, werde an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten. Demgemäß schließe der Konzernrückhalt weder aus, dass ein Darlehen wertlos und damit auf den geringeren Teilwert abgeschrieben werde, noch habe er bei der im anhängigen Verfahren zu beurteilenden verzichtsbedingten Ausbuchung des Darlehensanspruchs zur Folge, dass diese durch den Ansatz einer verdeckten Einlage in Höhe des Nominalbetrags des Darlehensverzichts ausgeglichen werde. Der Einlagewert bestimme sich vielmehr nach dem Teilwert des Forderungsanteils, auf den verzichtet wurde, im Streitfall mithin auf null Euro.
b) Die durch die Teilwertabschreibung bedingte Gewinnminderung unterliege in voller Höhe der Korrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG. Das Darlehensverhältnis begründe eine Geschäftsbeziehung im Sinne der Vorschrift, zu deren Bedingungen die Nichtbesicherung der Ansprüche gehöre. Diese Nichtbesicherung sei fremdunüblich, da ein fremder Gläubiger die Darlehensgewährung im Rahmen des Verrechnungskontos von der Einräumung werthaltiger Sicherungsrechte abhängig gemacht hätte. Die Einkünfteminderung sei ferner durch die fehlende Besicherung („dadurch“ i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG) eingetreten. Maßgeblich hierfür sei – im Sinne des Veranlassungsprinzips – das die gewinnmindernde Forderungsausbuchung „auslösende Moment“. Bei der hierfür gebotenen wertenden Betrachtung sei nicht auf die Zahlungsunfähigkeit der ausländischen Gesellschaft, sondern vorrangig auf den Sicherungsverzicht abzustellen. Denn die A GmbH habe ihren Darlehensrückzahlungsanspruch durch diesen Verzicht an die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Tochtergesellschaft geknüpft, und eine derartige Vermischung der Vermögenssphären wäre im Fall der Einräumung werthaltiger Sicherungsrechte nicht eingetreten.
c) Die nach § 1 Abs. 1 AStG vorgenommene Einkünftekorrektur sei nicht durch Art. 9 DBA-Belgien 1967 ausgeschlossen. Der Begriff der Bedingungen in Art. 9 DBA-Belgien 1967, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, sei seinem Wortlaut und seiner gewöhnlichen Bedeutung nach im Fall der Darlehensgewährung nicht auf den vereinbarten Zinssatz beschränkt, sondern erfasse auch Umstände wie die fehlende Besicherung. An der bisherigen abweichenden Rechtsprechung halte der Senat nicht fest. Bestätigung finde dieses Verständnis im Zweck von Art. 9 DBA-Belgien 1967, der auf die Einkünfteabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen am Maßstab des vom Territorialitäts- und Veranlassungsprinzip getragenen Fremdvergleichs ziele.
d) Schließlich stehe der Korrektur auch nicht das Unionsrecht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) stelle eine mit § 1 Abs. 1 AStG vergleichbare Regelung eine zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen Mitgliedstaaten gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar. Soweit...
Um weiterzulesen
FORDERN SIE IHR PROBEABO AN-
Urteil Nr. B 12 R 14/19 R des Bundessozialgericht, 2021-04-27
...in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 4.3.2021 - 2 BvR 1161/19 - juris RdNr Die Verarbeitung (vgl Art 4 Nr 2 DSGVO) der Daten von Pflegepersonen und Pflegebedürftigen ist von Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst e DSGVO......
-
Urteil Nr. B 12 R 14/19 R des Bundessozialgericht, 2021-04-27
...in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 4.3.2021 - 2 BvR 1161/19 - juris RdNr Die Verarbeitung (vgl Art 4 Nr 2 DSGVO) der Daten von Pflegepersonen und Pflegebedürftigen ist von Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst e DSGVO......
-
Urteil Nr. B 12 R 14/19 R des Bundessozialgericht, 2021-04-27
...in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 4.3.2021 - 2 BvR 1161/19 - juris RdNr Die Verarbeitung (vgl Art 4 Nr 2 DSGVO) der Daten von Pflegepersonen und Pflegebedürftigen ist von Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst e DSGVO......
-
Urteil Nr. B 12 R 14/19 R des Bundessozialgericht, 2021-04-27
...in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 4.3.2021 - 2 BvR 1161/19 - juris RdNr Die Verarbeitung (vgl Art 4 Nr 2 DSGVO) der Daten von Pflegepersonen und Pflegebedürftigen ist von Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst e DSGVO......