Beschluss vom 05. Dezember 2019 - 1 BvL 7/18
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2019:ls20191205.1bvl000718 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 05. Dezember 2019 - 1 BvL 7/18 -, Rn. (1-30), |
Date | 05 Diciembre 2019 |
Judgement Number | 1 BvL 7/18 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 7/18 -
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob Artikel 13 Absatz 3 Nummer 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (Bundesgesetzblatt I Seite 2429) mit Artikel 1, Artikel 2 Absatz 1, Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, soweit eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen Minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht ‒ vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Artikels 229 § 44 Absatz 4 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) ‒ ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatte |
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2018 (XII ZB 292/16) - |
h i e r : Ausschluss von der Ausübung des Richteramts |
hat das Bundesverfassungsgericht ‒ Erster Senat ‒
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz,
Ott,
Christ,
Radtke
am 5. Dezember 2019 beschlossen:
- Vizepräsident Harbarth ist nicht von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.
- Die Besorgnis der Befangenheit von Vizepräsident Harbarth ist nicht begründet.
A.
Das Zwischenverfahren betrifft eine Erklärung des Vizepräsidenten Harbarth vom 7. Mai 2019, die Anlass gibt, seinen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts in diesem Normenkontrollverfahren zu prüfen.
I.
Das durch Vorlage des Bundesgerichtshofs eingeleitete Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl I S. 2429) mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen Minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte.
II.
1. Vizepräsident Harbarth hat unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs am 7. Mai 2019 folgende Erklärung abgegeben:
„Diesbezüglich weise ich auf das Folgende hin:
1. In meinen früheren Funktionen als Mitglied des Deutschen Bundestages und Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war ich intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen eingebunden. Dies betrifft insbesondere die nachstehend dargelegten Vorgänge.
2. Vor dem Hintergrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Bamberg vom 12. Mai 2016 - 2 UF 58/16 - habe ich in der … vom 4. August 2016 (S. 7) gemeinsam mit Herrn …, und Herrn …, einen Beitrag unter dem Titel ‚Kinderheirat: Wenn Kinder heiraten ‒ müssen‘ veröffentlicht. In diesem wurde u.a. ausgeführt, falls ‚sich der Bundestag ‒ wofür viel sprechen dürfte ‒ zu einem grundsätzlichen legislativen Eingreifen entschließen sollte,‘ biete sich ein gestuftes Vorgehen an; hiernach
a) sollten in Zukunft ausländische Ehen dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute unterworfen werden;
b) sollten Kinderehen auf Antrag der Betroffenen oder einer Behörde (zum Beispiel des Jugendamts) für die Zukunft durch richterliche Gestaltungsentscheidung aufhebbar sein. Dieses für in Deutschland geschlossene Kinderehen bereits nach §§ 1303, 1313 ff. BGB geltende Modell solle auf im Ausland geschlossene Kinderehen ausgedehnt werden. Der Vorteil dieser Aufhebungslösung liege in ihrer Rechtssicherheit und Rechtsklarheit;
c) sollte zum unmittelbaren Schutz der verheirateten Kinder deren sexuelle Selbstbestimmung strafrechtlich geschützt werden.
3. Im Rahmen der Klausurtagung des Vorstands der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin wurde am 1. September 2016 ein federführend von mir vorbereitetes Papier mit dem Titel ‚Schutz der Schwächeren ‒ Verbot von Kinderehen in Deutschland‘ beschlossen. In diesem wurde u.a. ausgeführt, die Aufhebung von Auslandskinderehen müsse künftig der Grundsatz sein, das Aufhebungsverfahren erscheine gegenüber anderen Lösungen vorzugswürdig. Es biete Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Betroffenen.
4. Im Sinne der vorstehend skizzierten Überlegungen habe ich in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 und der ersten Hälfte des Jahres 2017 für eine gesetzliche Regelung eines Verbots sog. Kinderehen geworben (u.a. in Gremiensitzungen innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in Gesprächen mit der Bundesregierung und mit Vertreterinnen und Vertretern der SPD-Bundestagsfraktion, auf Veranstaltungen der CDU und in verschiedenen Medien).
5. Gegen Ende des Jahres 2016 und Anfang des Jahres 2017 wurde mitunter dafür plädiert, in Abweichung von dem von mir favorisierten Aufhebungsmodell die generelle Unwirksamkeit von Kinderehen kraft Gesetzes ohne entsprechenden richterlichen Gestaltungsakt anzuordnen. Diese politische Forderung wurde von mir abgelehnt, weil ich sie mit Blick auf ihre Auswirkungen beim Vorhandensein gemeinsamer Kinder, bei Unterhaltsansprüchen und bei vermögensrechtlichen Fragen für nicht sachgerecht hielt.
6. Die Regierungsfraktionen der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages verständigten sich schließlich darauf, das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in der letztlich in Kraft getretenen Fassung zu verabschieden. Der dem zugrundeliegende politische Kompromiss wurde von mir mitgetragen. Dessen ungeachtet wies ich in meiner Rede im Rahmen der Ersten Beratung des vorerwähnten Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag am 28. April 2017 darauf hin, dass das Aufhebungsmodell aus meiner Sicht das rechtspolitisch beste Modell sei.
Vor diesem Hintergrund ersuche ich den erkennenden Senat um die Entscheidung, ob in meiner Person die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 19 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht besteht.“
2. Die nach § 82 Abs. 3 BVerfGG zum Beitritt im konkreten Normenkontrollverfahren berechtigten, durch § 77 in Verbindung mit § 76 Abs. 1 BVerfGG bestimmten Bundes- und Landesorgane hatten ebenso Gelegenheit zur Stellungnahme wie die nach § 82 Abs. 3 BVerfGG im anhängigen Verfahren äußerungsberechtigten Beteiligten des Ausgangsverfahrens.
III.
Die von Vizepräsident Harbarth angezeigten Umstände geben Anlass, einen Beschluss des Senats über die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 BVerfGG herbeizuführen (vgl. BVerfGE 101, 46 m.w.N.). Zu der Prüfung von Ausschlussgründen aus § 18 Abs. 1 BVerfGG ist der Senat wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ohnehin in jedem Stadium eines Verfahrens verpflichtet (vgl. BVerfGE 46, 34 ; 95, 322 ).
B.
Vizepräsident Harbarth ist von der Mitwirkung an dem Verfahren der konkreten Normenkontrolle nicht kraft Gesetzes (§ 18 BVerfGG) ausgeschlossen. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände (vgl. BVerfGE 142, 18 ; 148, 1 ) besteht auch kein ausreichender Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (§ 19 BVerfGG).
I.
Vizepräsident Harbarth ist in diesem Verfahren der Normenkontrolle nicht kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen (§ 18 BVerfGG).
1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ist ein Richter des Bundesverfassungsgerichts von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist. Diese...
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