BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1423/07 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. | des Herrn K..., |
2. | des Herrn P..., |
3. | der Frau J... |
Holstenstraße 194 c, 22765 Hamburg -
gegen a) | den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 31. Mai 2007 - 3 M 53/07 -, |
b) | die Verbotsverfügung der Polizeidirektion Rostock - BAO Kavala - vom 16. Mai 2007 |
c) | die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
die Richter Hoffmann-Riem,
Gaier
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Juni 2007 einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der hier allein zu behandelnde Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft für sofort vollziehbar erklärte Versammlungsverbote.
I.
Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz für eine Versammlung, die am 7. Juni 2007 in Form eines "Sternmarsches" von verschiedenen Ausgangspunkten aus zu einer Abschlusskundgebung am Standort des G8-Gipfels in Heiligendamm führen soll. In den "Strahlen" des Marsches sollen verschiedene politische Themen und Forderungen des Protestes gegen den G8-Gipfel zum Ausdruck gebracht werden.
Der Antragsteller zu 1 hat diese Versammlung am 30. Oktober 2006 unter Benennung von ursprünglich sechs Demonstrationsrouten angemeldet. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegnerin), die Polizeidirektion Rostock – BAO Kavala -, "bestätigte" die Anmeldung mit Schreiben vom 6. März 2007 und bat um nähere Konkretisierung der Streckenführung.
Am 10. Mai 2007 fand ein Kooperationsgespräch zwischen Vertretern des "Sternmarschbündnisses" und der Antragsgegnerin statt. Die Antragsgegnerin erklärte, dass eine Versammlung auf den vorgesehenen Routen und mit dem Zielort Heiligendamm nicht werde stattfinden können. In einem etwa 40 Quadratkilometer umfassenden Bereich um Heiligendamm, der auf einer Karte markiert war und für dessen Eingrenzung die Errichtung einer technischen Sperranlage vorgesehen war, der einen wesentlichen Teil der geplanten Routen umfasste, müssten die Straßen freigehalten werden, so dass die Versammlung dort nicht stattfinden könne. Die Vertreter hielten an der Anmeldung fest. Sie konkretisierten die geplanten sechs Routen nach Heiligendamm. Hilfsweise meldeten sie vier Ersatzrouten an, die bis zum Sperrzaun führen sollten. Zu Blockadeaufrufen anderer Veranstalter befragt, erklärten sie, dass von ihnen selbst keine Blockaden beabsichtigt seien. Sollten einzelne Teilnehmer sich hinsetzen, werde der Demonstrationszug weiterziehen.
II.
1. a) Am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine Allgemeinverfügung, mit der unter anderem in der Zeit vom 5. Juni 2007, 0.00 Uhr, bis 8. Juni 2007, 24 Uhr, "alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel" in einem näher beschriebenen und auf einer Karte gekennzeichneten Gebiet um Heiligendamm untersagt wurden.
Dieses Gebiet besteht aus einer inneren und einer äußeren Verbotszone. Die innere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone I) umfasst den Bereich der so genannten technischen Sperranlage um Heiligendamm zuzüglich vorgelagerter 200 m. Bei der Sperre handelt es sich um einen aus Anlass des G8-Gipfels errichteten, etwa 12,5 km langen und 2,50 m hohen Sperrzaun, der mit einem Übersteigschutz und Nato-Stacheldraht oben auf versehen ist. Die äußere Verbotszone (im Folgenden: Verbotszone II) umfasst einen dem nochmals um einige Kilometer vorgelagerten Bereich.
b) Ebenfalls am 16. Mai 2007 erließ die Antragsgegnerin eine gesonderte Verbotsverfügung für den "Sternmarsch", mit welcher dieser sowohl für die angemeldeten als auch für die hilfsweise benannten Strecken untersagt wurde. In der Verfügung wurde auf die Allgemeinverfügung verwiesen, soweit die angemeldeten Marschstrecken in deren Geltungsbereich fielen. Da sich jedoch die Auftaktveranstaltungen und zum Teil die Marschstrecken außerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung befänden, bedürfe es einer individuellen Gefahrenprognose. Diese führe hier zum Verbot der Versammlung. Es bleibe allen Demonstranten unbenommen, außerhalb der bezeichneten Bereiche ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Eine räumliche Verlegung der Versammlung in ein außerhalb der Verbotszone liegendes Gebiet komme nicht in Betracht, da die Vertreter des Anmelders die von der Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, außerhalb der Verbotszone II liegenden Ersatzstrecken (Kröpelin – Bad Doberan, Retschow – Bad Doberan), abgelehnt hätten. Es würde sich in diesem Falle auch nicht mehr um einen Sternmarsch nach Heiligendamm handeln. Eine zeitliche Verschiebung werde dem Versammlungszweck nicht gerecht, da die Veranstalter gerade unter dem Thema "Den Protest nach Heiligendamm tragen!" gegen den in Heiligendamm zu diesem Zeitpunkt stattfindenden G8-Gipfel die Versammlungen und Aufzüge durchführen wollten. Angesichts der örtlichen Verhältnisse und der Gefährdungssituation könne der Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur durch ein Verbot der Versammlung begegnet werden.
2. Mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung und die Verbotsverfügung waren die Antragsteller zu 1 und zu 2 zunächst teilweise erfolgreich.
Das Verwaltungsgericht Schwerin stellte die aufschiebende Wirkung mit Beschluss vom 25. Mai 2007 - 1 B 243/07 –, soweit es die Durchführung des Sternmarsches betraf, für die hilfsweise angemeldeten vier Routen bis zu dem Sperrzaun mit bestimmten Maßgaben wieder her; unter anderem sollten die Aufzüge danach 200 m vor dem Sperrzaun enden. Auf diesen Beschluss wird zur näheren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG seien nach summarischer Prüfung lediglich für die Verbotszone I gegeben. Für die Verbotszone II seien die Verfügungen hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil ein Abwägungsdefizit vorliege und die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Ergebnis nicht gewahrt sei. Den in diesem Bereich lediglich bestehenden Gefahren durch Blockaden könne ausreichend durch räumliche und verhaltensbezogene Auflagen begegnet werden. Erst Recht sei die Verbotsverfügung für die außerhalb der Verbotszone II liegenden Teile des Sternmarsches unverhältnismäßig.
3. Auf die Beschwerden der Antragsteller und der Antragsgegnerin hin änderte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 31. Mai 2007 - 3 M 53/07 – den Beschluss des Verwaltungsgerichts.
Es lehnte den gegen die Allgemeinverfügung - soweit sie den konkret beabsichtigten Sternmarsch betraf - gerichteten Antrag vollständig, den gegen die Verbotsverfügung gerichteten Antrag unter anderem mit der Maßgabe ab, dass den Antragstellern gestattet werde, eine Versammlung auf zwei im Kooperationsgespräch am 10. Mai 2007 von der Versammlungsbehörde vorgeschlagenen, von den Antragstellern jedoch abgelehnten Ersatzstrecken außerhalb der Verbotszone II durchzuführen, die von Kröpelin und Retschow aus jeweils nach Bad Doberan führen.
4. Mit Schreiben vom 2. Juni 2007 meldeten die Antragsteller für den Fall, dass das Verbot aufrechterhalten bleibe, drei Ersatzveranstaltungen (zwei Kundgebungen sowie einen Aufzug) im Bereich außerhalb der Verbotszone II an. Der Aufzug soll danach von Bad Doberan aus an der Verbotszone II entlang zu einer Abschlusskundgebung im Bereich einer Straßenkreuzung vor Reddelich führen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, dass in Anbetracht der gewalttätigen Ereignisse bei der Großdemonstration in Rostock am Vortage die ersatzweise vorgeschlagenen Versammlungsstrecken "keine Zustimmung" fänden.
III.
Die Antragsteller beantragen, im Wege einer einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 sowie gegen die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Rostock vom 16. Mai 2007 teilweise wieder herzustellen und anzuordnen, dass die Versammlung "Sternmarsch gegen den G8 am 07.06.2007 – Den Protest nach Heiligendamm tragen" mit von den Antragstellern des Näheren bezeichneten Maßgaben durchgeführt werden darf. Danach soll der Sternmarsch fünf Routen umfassen, von denen drei bis zu 50 m an den Sperrzaun heran und zwei bis in den hinter dem Zaun gelegenen Bereich führen sollen. Hilfsweise werden zwei Ersatzrouten, von denen eine bis in die Verbotszone II führt, die andere außerhalb verbleibt, sowie eine stationäre Kundgebung außerhalb der Verbotszone II beantragt. Daneben soll eine Gruppe von höchstens 600 Personen am Ende des Marsches auf zwei Routen bis zu dem Hotel, in welchem der...