BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 2/15 -
- 1 BvL 5/15 -
zu der verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 22 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl I S. 850) mit Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach § 19 Absatz 1, Absatz 3 Satz 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist |
- Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Sozialgericht Mainz jeweils vom 12. Dezember 2014 - S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14 - |
- 1 BvL 2/15 und 1 BvL 5/15 -,
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Eichberger
und die Richterinnen Baer,
Britz
gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Oktober 2017 einstimmig beschlossen:
- Die Vorlagen sind unzulässig
I.
Die Vorlageverfahren betreffen die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
1. Die Regelungen zur Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung in § 22 SGB II wurden durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 eingeführt. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der sich seitdem inhaltlich nicht verändert hat, lautet seit 1. Juli 2011: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde zunächst in § 27 Nr. 1 SGB II a. F. ermächtigt, bundesweit zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind. Von dieser Möglichkeit wurde jedoch kein Gebrauch gemacht. Der Gesetzgeber ermöglichte sodann mit §§ 22a bis c SGB II den Ländern, ihre Kreise und kreisfreien Städte zu ermächtigen, die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung in einer Satzung näher zu bestimmen (Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I S. 453, mit Wirkung zum 1. April 2011). Von dieser Möglichkeit haben Schleswig-Holstein und Hessen Gebrauch gemacht.
2. Fehlt eine Satzung nach § 22a SGB II, muss die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einer mehrstufigen Einzelfallprüfung ermittelt werden. Sie errechnet sich aus dem Produkt von angemessener Wohnfläche und dem angemessenen Mietzins pro Quadratmeter („Produkttheorie“; BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 - B 4 AS 44/14 R -, juris, Rn. 13 m.w.N.). Es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine angemessene Unterkunft zu diesen Kosten auch tatsächlich verfügbar sei (vgl. BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 106/10 R -, juris, Rn. 30).
Für die Bestimmung des Berechnungsfaktors der angemessenen Wohnfläche zieht das Bundessozialgericht die Werte heran, welche die Bundesländer aufgrund von § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) festgesetzt haben (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R -, juris, Rn. 15 ff.). Maßstab für den Faktor des angemessenen Mietzinses seien „Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt“ im räumlichen Vergleichsraum (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R -, juris, Rn. 24; Urteil vom 16. Juni 2015 - B 4 AS 44/14 R -, juris, Rn. 13 m.w.N.). Dieser Vergleichsraum müsse ausreichend groß sein, um eine Ghettobildung zu vermeiden (so BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R -, juris, Rn. 21). Das Bundessozialgericht gibt jedoch keine bestimmte Methode vor, nach der die kommunalen Grundsicherungsträger die Daten über das Mietpreisniveau zu ermitteln haben. Es hat insoweit Mindestanforderungen definiert, die sicherstellen sollen, dass die ermittelten Daten die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes tatsächlich wiedergeben. Eine Datenermittlung, die diese Mindestanforderungen erfüllt, wird als „schlüssiges Konzept“ bezeichnet (BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, juris, Rn. 18 f.; Urteil vom 16. Juni 2015 - B 4 AS 44/14 R -, juris, Rn. 20).
Entscheidet ein Grundsicherungsträger über...