Beschluss vom 07. Dezember 2016 - 2 BvR 1444/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20161207.2bvr144416 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 07. Dezember 2016 - 2 BvR 1444/16 - Rn. (1-32), |
Judgement Number | 2 BvR 1444/16 |
Date | 07 Diciembre 2016 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1444/16 -
- 2 BvR 1482/16 -
- 2 BvR 1823/16 -
- 2 BvE 3/16 -
I. |
über die Verfassungsbeschwerden |
der Frau G…, |
||
sowie 68.015 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigte:
-
1. Prof. Dr. Andreas Fisahn,
Grüner Weg 83, 32130 Enger,
-
2. Prof. Dr. Martin Hochhuth,
Kaiser-Joseph-Straße 268, 79098 Freiburg -
gegen |
1. |
die Zustimmung zum CETA-Vertrag durch die Bundesregierung im Rat der Europäischen Union oder im Europäischen Rat, |
2. |
hilfsweise die Zustimmung der Europäischen Union zum CETA-Vertrag, |
|
3. |
die Zustimmung des Bundestages zum CETA-Vertrag |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1444/16 -,
II. |
über die Verfassungsbeschwerden |
des Herrn A…, |
||
sowie 62 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M.,
Pflügerstraße 79 A, 12047 Berlin -
gegen |
1. |
die Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten Annahme des CETA sowie die ebenfalls beantragte Autorisierung des Ratspräsidenten zum Abschluss des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU, |
2. |
die Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten vorläufigen Anwendung des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1482/16 -,
III. |
über die Verfassungsbeschwerden |
1. |
des Herrn H…, |
|
2. |
des Herrn B…, |
|
3. |
des Herrn Dr. K…, |
|
sowie 125.009 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigte:
-
1. Prof. Dr. Bernhard Kempen,
Rheinblick 1, 53424 Oberwinter,
-
2. Prof. Dr. Wolfgang Weiß,
Sep-Ruf-Straße 33, 90480 Nürnberg -
gegen |
die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (CETA) bzw. gegen die Nichtablehnung dieser Ratsbeschlüsse durch den deutschen Vertreter im Rat |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1823/16 -,
sowie |
||
IV. |
über den Antrag, im Organstreitverfahren festzustellen, dass die |
|
1. |
mit der Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten Annahme des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) sowie der ebenfalls beantragten Autorisierung der Ratspräsidenten zum Abschluss des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU das Grundgesetz und Europarecht und dadurch Rechte des |
|
2. |
mit der Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten |
Antragstellerin: |
Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Sahra Wagenknecht, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M.,
Pflügerstraße 79 A, 12047 Berlin -
Antragsgegnerin: |
Bundesregierung, vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundeskanzleramt, 10557 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Franz Mayer, LL.M.,
Lettestraße 3, 10437 Berlin -
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvE 3/16 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 7. Dezember 2016 beschlossen:
- Die Verfahren über die Anträge vom 28. und 29. Oktober sowie vom 2. November 2016 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Anträge werden abgelehnt.
A.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2016 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die darauf zielten, dem deutschen Vertreter im Rat der Europäischen Union die Zustimmung zu Beschlüssen zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits (Comprehensive Economic and Trade Agreement - CETA) zu untersagen. Der Senat hat diese Ablehnung jedoch mit einigen Maßgaben verbunden. Mit ihren erneuten Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wollen die Antragsteller erreichen, dass die nach ihrer Auffassung nicht beachteten Maßgaben eingehalten werden.
I.
Nach dem Urteil vom 13. Oktober 2016 sind die Anträge in den Hauptsacheverfahren jedenfalls teilweise weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die Anträge auf Erlass der begehrten Anordnung sind aber aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg geblieben (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvE 3/16 -, Rn. 41).
1. a) Eine einstweilige Anordnung, die dem deutschen Vertreter im Rat die Zu-stimmung zur vorläufigen Anwendung untersagt hätte, hätte dazu geführt, dass es zu dem ursprünglich für den 18. Oktober 2016 vorgesehenen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des Abkommens nicht gekommen wäre. Folge einer antragsgemäß erlassenen einstweiligen Anordnung wäre jedenfalls ein vorläufiges Scheitern des Vertragswerks gewesen, das nur unter den Voraussetzungen, dass alle Vertragsparteien zu Nach- oder Neuverhandlungen bereit gewesen wären und diese auch zu einem für alle Vertragsparteien akzeptablen Ergebnis geführt hätten, nicht endgültig gescheitert wäre. Die sich aus einer derartigen Entscheidung ergebenden Nachteile hat der Senat als überaus schwer eingeschätzt, da eine einstweilige Anordnung, durch die die Bundesregierung an einer Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA gehindert worden wäre, erheblich in die - grundsätzlich weite - Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung im Rahmen der Europa-, Außen- und Außenwirtschaftspolitik eingegriffen und sich dies voraussichtlich negativ auf die europäische Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der Europäischen Union insgesamt ausgewirkt hätte (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 45 ff.).
b) Demgegenüber hat der Senat die Nachteile als weniger schwerwiegend eingeschätzt, die entstehen können, wenn die einstweilige Anordnung - wie geschehen - nicht erlassen wird, sich die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates später aber im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig erweist. Zwar könnte sich der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung im Hauptsacheverfahren als Ultra-vires-Akt herausstellen, da es der Europäischen Union hinsichtlich einiger von CETA erfasster Sachmaterien möglicherweise an einer entsprechenden Vertragsschlusskompetenz fehle und mit CETA darüber hinaus Hoheitsrechte auf das Gerichts- und das Ausschusssystem weiterübertragen werden sollten. Auch erscheine es nicht völlig ausgeschlossen, dass die Ausgestaltung des in CETA vorgesehenen Ausschusssystems die Grundsätze des Demokratieprinzips als Teil der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren könnte (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 50 ff., 59).
2. Diese Risiken haben sich nach Auffassung des Senats jedoch durch unterschiedliche Vorkehrungen zumindest für die Dauer der vorläufigen Anwendung praktisch ausschließen lassen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 66 ff.).
a) Der Senat ist in seinem Urteil vom 13. Oktober 2016 davon ausgegangen, dass die Bundesregierung einer vorläufigen Anwendung von CETA für Sachmaterien, die nach ihrer Auffassung in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, nicht zustimmen und entsprechende Vorbehalte anbringen werde. Vor diesem Hintergrund hat der Senat angenommen, dass insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA), zu Portfolioinvestitionen (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA), zum internationalen Seeverkehr (Kapitel 14 CETA), zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11 CETA) sowie zum Arbeitsschutz (Kapitel 23 CETA) nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst würden (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 70).
b) Der Senat hat zudem darauf hingewiesen, dass einer etwaigen Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems - jedenfalls im Rahmen der vorläufigen Anwendung - etwa dadurch begegnet werden könnte, dass durch eine...
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