BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 479/20 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K…, |
gegen |
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm |
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vom 28. Januar 2020 - III-3 RVs 1/20 -, |
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b) das Urteil des Landgerichts Bielefeld |
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vom 10. Oktober 2019 - 011 Ns-216 Js 396/16-39/18 -, |
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c) das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld |
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vom 22. Februar 2018 - 39 Ds 216 Js 396/16 - 1027/17 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Masing,
Paulus,
Christ
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 7. Juli 2020 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG)
I.
Die Verfassungsbeschwerde des mehrfach einschlägig vorbestraften Beschwerdeführers richtet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Volksverhetzung und Beleidigung aufgrund eines öffentlich über das Internet verbreiteten Artikels, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde unter anderem als „frechen Juden-Funktionär“ bezeichnete und dies mit einem Boykottaufruf gegen jüdische Organisationen verband.
1. Im August 2016 veröffentlichte der Westdeutsche Rundfunk einen Fernsehbeitrag, in dem berichtet wurde, dass die Gemeinde P. ihr Amtsblatt von einem Verleger herausgeben ließ, dessen Inhaber als Geschäftsführer eines anderen Verlags auch Schriften mit rechtsradikalem Hintergrund veröffentlicht haben soll. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde H. forderte angesichts dessen in dem Fernsehbeitrag, dass die Gemeinde künftig ihr Amtsblatt in einem anderen Verlag herausgeben solle.
Unter der Überschrift „Staatsfunk, Linke und Jüdische Gemeinde hetzen gegen Verleger“ veröffentlichte daraufhin der Beschwerdeführer, der damalige Vorsitzende der Partei DIE RECHTE im Gebiet O., auf einer von ihm verantworteten Internetseite der Partei einen Artikel, in dem er zunächst allgemein den Versuch, „Dissidenten … mundtot zu machen“ kritisiert. Das sei nun auch im Fall eines „politischen nonkonformen Verlegers“ in P. zu beobachten. Die von ihm geführte „Deutsche Verlagsgesellschaft“ habe „diverse zeitgeistkritische Bücher im Programm“, darunter auch eines „über vorbildliche und bewährte Männer der Waffen-SS“. „Politisch korrekten Sittenwächtern“ in den Medien, stoße das „natürlich sauer auf“. Der Artikel fährt fort:
„Noch dreister gebärdet sich […], Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde H., wohnhaft … Selbstgefällig fordert der freche Juden-Funktionär die Stadt dazu auf, ‚umgehend Konsequenzen zu ziehen und sich von [Name des Verlags] zu trennen‘. […D]a muss die Stadt natürlich Konsequenzen ziehen und sich sofort einen neuen Drucker suchen – vielleicht, als Akt der Reue, sogar einen jüdischen?“
Der Artikel spricht weiter von einer „massiven Hetzkampagne von Medien, Linken und Jüdischer Gemeinde“; man solle daher „jegliche Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde H. unverzüglich ein[]stellen“ und fährt fort:
„DIE RECHTE würde den Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren. Da wir der Meinung sind, dass sich der Staat religiös strikt neutral zu verhalten hat, würden wir auch sämtliche staatliche Unterstützung für jüdische Gemeinden streichen und das Geld für das Gemeinwohl einsetzen. DIE RECHTE – die Partei für deutsche Interessen.“
2. Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Amtsgericht Bielefeld den Beschwerdeführer wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung.
3. Die Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht Bielefeld zurück, wobei es die erstinstanzliche Begründung im Wesentlichen wiederholte und vertiefte. Der Betroffene werde durch die Bezeichnung „frecher Juden-Funktionär“ in seiner Funktion als Angehöriger der jüdischen Bevölkerungsgruppe angesprochen. Eine solche herabsetzende öffentliche Adressierung unter Verwendung...