BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 882/19 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. B…, |
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und 13.305 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
- … -
gegen |
die Zustimmung des Vertreters der deutschen Bundesregierung im Rat der Europäischen Union zum Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und zum Beschluss über den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur, unterzeichnet am 19. Oktober 2018, und, gegebenenfalls hilfsweise, gegen die Umsetzung dieses Abkommens in Deutschland durch deutsche Stellen, ferner gegen die Nichtwahrnehmung der Integrationsverantwortung durch den Deutschen Bundestag im Hinblick auf die Unterzeichnung und den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in der
Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am
7. November 2019 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt
A.
Mit dem im Nachgang zu ihrer Verfassungsbeschwerde eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Antragsteller, dass der Bundesregierung bei der bevorstehenden Abstimmung im Rat der Europäischen Union über den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur (Free Trade Agreement between the European Union and the Republic of Singapore – EUSFTA) einschränkende Maßgaben auferlegt werden.
I.
Am 23. April 2007 ermächtigte der Rat der Europäischen Union die Europäische Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Mitgliedstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN). In der Folge ermächtigte er die Kommission auch zu bilateralen Verhandlungen mit Singapur und dehnte die Ermächtigung auf den Investitionsschutz aus. Die Verhandlungen wurden 2012 für alle Kapitel außer dem Investitionsschutz abgeschlossen, im Jahre 2014 auch für diesen.
Am 10. Juli 2015 beantragte die Europäische Kommission beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV zu der Frage, ob das geplante Abkommen von der Europäischen Union alleine unterzeichnet und abgeschlossen werden könne („EU-only“-Abkommen) oder ob es durch die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsse (gemischtes Abkommen).
In seinem Gutachten vom 16. Mai 2017 (EuGH, Gutachten 2/15 zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Singapur, EU:C:2017:376) kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Europäische Union in allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die alleinige Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien lediglich andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von Europäischer Union und Mitgliedstaaten mit der Folge, dass das Freihandelsabkommen in seiner ursprünglich vorgesehenen Form auch nur von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden könne.
Aufgrund dieses Gutachtens wurde der ausgehandelte Text angepasst, um zwei eigenständige Abkommen – ein Freihandelsabkommen (EUSFTA) und ein Investitionsschutzabkommen (EUSIPA) – zu schaffen. Am 18. April 2018 schlug die Europäische Kommission dem Rat die Unterzeichnung und den Abschluss beider Abkommen vor.
Der Rat der Europäischen Union fasste am 15. Oktober 2018 Beschlüsse zur Unterzeichnung des EUSFTA und des EUSIPA. Am 19. Oktober 2018 wurden die Abkommen unterzeichnet. Das Europäische Parlament stimmte den Entwürfen am 13. Februar 2019 zu.
Die abschließende Zustimmung des Rates zum EUSFTA ist für den 8. November 2019 vorgesehen, das Abkommen soll am 21. November 2019 in Kraft treten.
II.
Die Antragsteller möchten mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die Bundesregierung bei der bevorstehenden Abstimmung im Rat der Europäischen Union dem Abschluss des EUSFTA nur unter Einschränkungen zustimmen darf.
Der Beschluss im Rat der Europäischen Union über den Abschluss des „EU-only“-Abkommens EUSFTA sei der letzte Rechtsakt, an dem die Bundesregierung mitwirke, bevor das Abkommen in Kraft trete. Effektiver verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz sei im Hinblick auf die Schutzgüter des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 GG daher nur gewährleistet, wenn die Beschlussfassung im Rat in einer Weise erfolge, die die spätere Umsetzbarkeit der Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur anhängigen Verfassungsbeschwerde sicherstelle. Da sich die Antragsteller der besonders strengen Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen mit völkerrechtlichen und außenpolitischen Auswirkungen bewusst seien, beantragten sie nicht die Aussetzung der Beschlussfassung im Rat, sondern – in Anlehnung an das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene Urteil des Senats zum Freihandelsabkommen CETA – die Verpflichtung der Bundesregierung zu Maßnahmen zur Sicherung der Effektivität des laufenden Hauptsacheverfahrens.
Nach Auffassung der Antragsteller soll die Bundesregierung verpflichtet werden, bei ihrer Zustimmung zum Abschluss des EUSFTA zum Ausdruck zu bringen, dass diese Zustimmung vorbehaltlich der Klärung der Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union im Bereich Schifffahrt, Nachhaltigkeit und Änderungsbefugnisse der Vertragsgremien erfolge. Ferner solle sie eine Selbstverpflichtung des Rates dahingehend erreichen, dass für die Dauer des Hauptsacheverfahrens beim Bundesverfassungsgericht im Rat kein Beschluss nach Art. 218 Abs. 9 AEUV gefasst wird. Schließlich solle die Bundesregierung verpflichtet werden, eine bindende Erklärung durch Rat und Europäische Kommission herbeizuführen, dass der Bundesrepublik Deutschland bei verfassungsrechtlicher Notwendigkeit ein Ausscheiden aus dem EUSFTA ermöglicht wird, indem die Europäische Union eine Kündigung des EUSFTA vornimmt. Dies solle bei Hinterlegung der Notifikation gemäß Art. 16.13 Abs. 2 EUSFTA gegenüber Singapur zum Ausdruck kommen.
Die Antragsteller berufen sich ausdrücklich auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. Oktober 2016 (BVerfGE 143, 65) zur Kompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten und die dort formulierten Maßgaben. Für das EUSFTA müssten entsprechende, seiner Konzeption als „EU-only“-Abkommen angepasste Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Dadurch könnten die Rechte der Antragsteller jedenfalls für die Zeit nach Abschluss der Hauptsache effektiv gewahrt werden, ohne die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Europäischen Union oder der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen.
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