BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 574/15 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte Hiddemann, Kleine-Cosack,
Maria-Theresia-Straße 2, 79102 Freiburg -
gegen |
a) |
das Urteil des Bundesgerichtshofs |
vom 24. November 2014 - NotSt(Brfg) 1/14 -, |
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b) |
das Urteil des Oberlandesgerichts Köln |
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vom 6. Januar 2014 - 2 X (Not) 4/13 - |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 9. April 2015 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
I.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Entscheidungen über die dauerhafte Entfernung eines Notars aus seinem Amt.
1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1983 als Notar zur hauptberuflichen Amtsausübung bestellt.
Im Jahr 2002 wurde ihm erstmals ein Verweis erteilt, weil er zwischen September und Dezember 1998 unter vorsätzlicher Verletzung seiner Dienstpflichten aus § 17 Abs. 2a des Beurkundungsgesetzes in der damals geltenden Fassung (BeurkG a.F.) bei der Beurkundung von Verkaufsangeboten eines Bauunternehmens in 155 Fällen Bauträgerverträge systematisch sachwidrig in Angebot und Annahme aufgespalten sowie in 78 Fällen bei Kaufverträgen vollmachtlose Vertreter eingesetzt hatte.
Im Anschluss an eine Prüfung seiner Amtsgeschäfte beanstandete die Dienstaufsichtsbehörde im Jahr 2005 eine vom Beschwerdeführer verwendete Maklercourtageklausel, weil diese als Schuldanerkenntnis des Erwerbers gegenüber dem Makler zu verstehen gewesen und in ihrer gehäuften Verwendung ein Indiz dafür sei, dass diese nicht den Interessen der Beteiligten entsprochen habe oder die Beteiligten nicht über Bedeutung und Tragweite der Klauseln belehrt worden seien. Daraufhin fügte der Beschwerdeführer der im Übrigen weitgehend unveränderten Klausel einen Zusatz an, wonach der Notar „auf die Bedeutung dieser Klausel“ und insbesondere darauf hingewiesen habe, „… dass hierdurch kein Vertrag zu Gunsten Dritter begründet wird“. In dieser Form verwendete der Beschwerdeführer die Courtageklausel - jeweils auf Wunsch der Makler - im Zeitraum von 2005 bis 2009 in 442 Fällen, wobei er weder prüfte, ob die Aufnahme der Klausel dem Willen der Urkundsbeteiligten entsprach, noch tatsächlich über die Bedeutung der Klausel belehrte. Die Beurkundung dieser Klauseln rechnete der Beschwerdeführer aus dem Wert der Maklercourtage ab und behandelte diese Amtsgeschäfte als gegenstandsverschieden zur Beurkundung des Kaufvertrags.
Nach einer weiteren Geschäftsprüfung im Jahre 2009 wurde im Juli 2010 gegen den Beschwerdeführer ein Disziplinarverfahren wegen Nichtbeitreibung von Gebühren eingeleitet. Im weiteren Verlauf wurde das Disziplinarverfahren um den Vorwurf der Kostenerhebung trotz unrichtiger Sachbehandlung sowie um den Vorwurf der oben genannten fehlerhaften Beurkundung von Maklerklauseln erweitert. Eine nochmalige Erweiterung des Disziplinarverfahrens erfolgte nach einer Sonderprüfung der Amtsgeschäfte des Beschwerdeführers im Jahr 2012 wegen nicht erfolgter beziehungsweise verzögerter Beitreibung von Notargebühren in Höhe von 435.000 €.
Im Juli 2013 erhob die Landesjustizverwaltung Disziplinarklage gegen den Beschwerdeführer mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Amt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in mindestens 442 Fällen widersprüchliche Maklerklauseln selbst beurkundet und in jedenfalls 455 Fällen Maklerklauseln fehlerhaft abgerechnet. Er habe zudem im Zeitraum von 2002 bis 19. Oktober 2011 Gebührenforderungen in Höhe von mindestens 660.000 € nicht oder nicht binnen angemessener Frist beigetrieben und teilweise in unzulässiger Weise Stundungsvereinbarungen oder Verjährungsverzichtsvereinbarungen getroffen.
Mit Urteil des Oberlandesgerichts wurde der Beschwerdeführer dauerhaft aus dem Amt als Notar entfernt. In den Entscheidungsgründen heißt es unter anderem, dem Beschwerdeführer sei ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne des § 95 der Bundesnotarordnung (BNotO) vorzuwerfen, weil aufgrund des im Wesentlichen unstreitigen Sachverhalts davon auszugehen sei, dass er jedenfalls grob fahrlässig in 442 Fällen widersprüchliche Maklerklauseln beurkundet und in 455 Fällen hierfür Notargebühren in Höhe von insgesamt 20.463,99 € berechnet und vereinnahmt habe. Außerdem habe er im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 19. Oktober 2011 teilweise vorsätzlich und im Übrigen jedenfalls fahrlässig Gebühren in Höhe von 606.441,98 € nicht oder verzögert beigetrieben, wobei sich ein Anteil von 75 % der Außenstände gegen Personen richte, die im Immobiliensektor tätig oder tätig gewesen seien. Die Pflichtverletzungen seien auch vor dem Hintergrund der disziplinarischen Vorbelastung und der bei der Geschäftsprüfung im Jahre 2005 erhobenen Beanstandungen als außerordentlich gravierend anzusehen und offenbarten einen schwerwiegenden Mangel an dienstlicher Verantwortung und Einsicht in die Anforderungen, die im Interesse der Allgemeinheit, der Rechtsuchenden und auch des Ansehens des Notarstands an die Amtsführung eines Notars gestellt werden müssten.
Die hiergegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Aufgrund der schuldhaften Amtspflichtverletzungen des Beschwerdeführers und des damit begangenen einheitlichen Dienstvergehens komme bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände eine weniger eingriffsintensive Disziplinarmaßnahme als dessen Entfernung aus dem Amt (§ 97 Abs. 1 Satz 1 BNotO) nicht in Betracht.
Mit der Beurkundung der inhaltlich in sich widersprüchlichen Courtageklausel habe der Beschwerdeführer in unstreitig mindestens 442 Fällen gegen seine Amtspflichten aus § 17 Abs. 1 BeurkG verstoßen. Dem komme besonderes Gewicht zu. Bei den Aufgaben, die den Notaren übertragen seien, handele es sich um Staatsaufgaben vorsorgender Rechtspflege. Verstöße, die sich als unzureichende Erforschung des Willens der Urkundsbeteiligten erwiesen und mit der Gefahr unzureichender Sorge um die Interessen zumindest eines Beteiligten verbunden seien, stellten die vorsorgende Rechtspflege in Frage. Der Beschwerdeführer könne sich bei der Verwendung der widersprüchlichen Courtageklausel nicht auf einen „Serienfehler“ berufen; denn er habe bei jeder Beurkundung den Willen der Beteiligten zu erforschen und über Bedeutung und Tragweite verwendeter Klauseln aufzuklären. Überdies habe die Klausel stets den Makler begünstigt. Der hierdurch erzeugte Schein der Parteilichkeit werde durch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Klausel bei der Abrechnung selbst als Schuldanerkenntnis beurteilt habe, noch verstärkt.
Der Beschwerdeführer habe zudem vorsätzlich gegen die in § 17 Abs. 1 BNotO und § 140 der Kostenordnung in der damals geltenden Fassung (KostO a.F.) statuierte Pflicht zur Gebührenerhebung verstoßen, indem er - in 75 % der Fälle gegenüber Schuldnern aus der Immobilienbranche bestehende - Gebührenansprüche in einer Höhe von insgesamt 606.441,98 € entweder gar nicht oder nur verzögert durchgesetzt habe. Auch Verstöße gegen § 17 Abs. 1 BNotO kämen als Dienstvergehen im Sinne des § 95 BNotO und damit als Grundlage für...