BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1248/03 -
- 2 BvR 1249/03 -
über
die Verfassungsbeschwerden
1. | der Betriebskrankenkasse der B AG |
a) | unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Januar 2003 - B 12 KR 18/01 R - |
b) | mittelbar gegen §§ 266 und 267 SGB V sowie die Risikostrukturausgleichsverordnung |
- 2 BvR 1248/03 -
2. | der Betriebskrankenkasse der A. ... Gesellschaften |
Widenmayerstraße 29, 80538 München -
gegen | das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Januar 2003 - B 12 KR 17/01 R - |
- 2 BvR 1249/03 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. Juni 2004 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde-Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen den Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung.
I.
Der mit Wirkung zum 1. Januar 1994 durch das Gesundheitsstrukturgesetz - GSG - vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) eingeführte Risikostrukturausgleich (im Folgenden: RSA) ist in den §§ 266 ff. SGB V und in der nach § 266 Abs. 7 SGB V ergangenen, mittlerweile mehrfach geänderten Risikostrukturausgleichsverordnung geregelt. Vor dem Hintergrund erheblicher Beitragssatzunterschiede zwischen den Krankenkassen sollte der RSA als Korrelat des gleichzeitig geschaffenen Rechts der freien Krankenkassenwahl dem Ausgleich der finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen Risikostrukturen der Krankenkassen dienen. Hierdurch sollen, so die Gesetzesbegründung, eine gerechtere Beitragsbelastung der Versicherten erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen abgebaut werden (BTDrucks 12/3608, S. 68 f., S. 117 f.). Stark vereinfacht lässt sich die Wirkungsweise des RSA so beschreiben, dass Krankenkassen mit einer ungünstigen Risikostruktur (z.B. hoher Anteil an beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen, an Mitgliedern mit unterdurchschnittlichen beitragspflichtigen Einkünften, an Mitgliedern mit hohem Krankheitsrisiko) zu Lasten von Kassen mit einer besseren Risikostruktur in den Genuss von Ausgleichzahlungen kommen. Die Ausgleichspflichten im RSA haben regelmäßig Auswirkungen auf die Höhe der Beitragssätze der Zahler- wie der Empfängerkrankenkassen. Die konkrete Höhe des Ausgleichsanspruchs oder der Ausgleichsverpflichtung einer Krankenkasse wird in einem komplexen Prozess durch einen Vergleich ihres Beitragsbedarfs mit ihrer Finanzkraft ermittelt. Der RSA zwischen den Krankenkassen wird jährlich vom Bundesversicherungsamt durchgeführt (§ 266 Abs. 5 Satz 1 SGB V).
Die wirtschaftliche Bedeutung ist ganz erheblich. Allein im Jahr 2002 belief sich das Ausgleichsvolumen auf annähernd 15 Milliarden Euro (vgl. Presseerklärung des Bundesversicherungsamts vom 6. November 2003). Der RSA wurde gemäß Art. 1 Nr. 171 GSG zunächst getrennt für den Rechtskreis West und den Rechtskreis Ost - neue Bundesländer - durchgeführt. Mit dem GKV-Finanzstärkungsgesetz vom 24. März 1998 (BGBl I S. 526) unternahm der Gesetzgeber den ersten Schritt zur Aufhebung der Rechtskreistrennung, bevor er mit dem Gesetz zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2657) sukzessive bis zum Jahr 2007 den gesamtdeutschen RSA einführte. Mit dem Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S. 3465) wurde der RSA inhaltlich weiterentwickelt.
Mit der Einführung des RSA als Teil der vom Gesundheitsstrukturgesetz bezweckten umfassenden Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung sollten die Voraussetzungen für die erstmals ab dem 1. Januar 1996 ermöglichte Wahl der Krankenkasse geschaffen werden. Gab es bis dahin lediglich für bestimmte Gruppen von gesetzlich Krankenversicherten beschränkte Möglichkeiten einer Kassenwahl, was tendenziell zur Risikoselektion und zur Beitragssatzspreizung beitrug, so sollten nach dem Willen des Gesundheitsstrukturgesetzes nunmehr alle versicherungspflichtigen und versicherungsberechtigten Personen frei wählen können, welcher gesetzlichen Krankenkasse sie angehören wollen (§§ 173 ff. SGB V i.d.F. des GSG; vgl. BTDrucks 12/3608, S. 68 f., S. 74 f.). Zur Absicherung des Rechts der freien Kassenwahl führte der Gesetzgeber in § 175 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine Aufnahmeverpflichtung ein, nach der die von einem Versicherungspflichtigen oder Versicherungsberechtigten gewählte Krankenkasse diesem die Mitgliedschaft nicht verweigern darf.
II.
1.Die Beschwerdeführerinnen sind Betriebskrankenkassen, die für das Streitjahr 1997 jeweils durch Bescheide des Bundesversicherungsamts zur Erbringung von Ausgleichszahlungen im Rahmen des RSA herangezogen wurden. Die Ausgleichsverpflichtung der Beschwerdeführerin zu 1. für das Jahr 1997 belief sich auf rund 177 Mio. DM, die der Beschwerdeführerin zu 2. auf rund 8,5 Mio. DM. Beide Beschwerdeführerinnen weisen eine Besonderheit auf. Bei ihnen handelt es sich um so genannte nicht geöffnete Betriebskrankenkassen, d.h., sie können gemäß § 173 Abs. 2 Nr. 3 und 4 SGB V nur von denjenigen Versicherten gewählt werden, die im Betrieb beschäftigt sind. Sie sind damit im Unterschied zu geöffneten Betriebskrankenkassen nicht für alle wahlberechtigten Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten wählbar.
2. Gegen die Bescheide des Bundesversicherungsamts erhoben die Beschwerdeführerinnen jeweils sozialgerichtliche Klagen zum Sozialgericht Köln, das beide Klagen mit Urteilen vom 28. Februar 2000 - S 19 KR 90/99 und S 19 KR 84/99 - überwiegend abwies. Sowohl die Beschwerdeführerinnen als auch das Bundesversicherungsamt - als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland - legten jeweils Berufung ein. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies in zwei Urteilen vom 28. August 2001 - L 5 KR 164/00 und L 5 KR 166/00 - die Berufungen der Beschwerdeführerinnen ab und gab den Berufungen des Bundesversicherungsamts teilweise statt. Die Regelungen des RSA, so das Landessozialgericht, verstießen weder gegen Verfassungs- noch gegen Europarecht.
Beide Parteien legten Revision ein. Während die Rechtsmittel der Beschwerdeführerinnen erfolglos blieben, wies das Bundessozialgericht auf die jeweils vom Bundesversicherungsamt eingelegte Revision hin die Klagen in vollem Umfang ab. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts entsprechen die Bescheide dem Gesetz, dieses entspricht der Verfassung. Ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft sei nicht gegeben, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof scheide daher aus. Die Regelungen der Finanzverfassung des Grundgesetzes seien auf den RSA als Teil der Sozialversicherung nicht übertragbar. Auch aus Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ergebe sich keine Beschränkung für den RSA. Die Verordnungsermächtigungen genügten den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Schließlich könnten die Beschwerdeführerinnen als Körperschaften des öffentlichen Rechts den RSA auch nicht unter Hinweis auf Grundrechte angreifen, da Grundrechte ihrem Wesen nach regelmäßig auf juristische Personen des öffentlichen Rechts unanwendbar seien. Krankenkassen seien zwar körperschaftlich organisiert und verfügten über einen begrenzten Raum eigenverantwortlichen Handelns. Gleichwohl seien sie nur organisatorisch verselbständigte Teile der Staatsgewalt. Sie übten der Sache nach mittelbare Staatsgewalt aus, es fehle ihnen an einer besonderen Zuordnung zu dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich. Das Bundesverfassungsgericht habe daher die Grundrechtsberechtigung von Krankenkassen verneint. Die Grundrechtsberechtigung könne auch nicht aus einem mit der Ausdehnung der Kassenwahlrechte angeblich eröffneten "Wettbewerb" hergeleitet werden.
Die Bedeutung eines "Wettbewerbs" unter den Kassen sei mit dem in der gewerblichen Wirtschaft nicht vergleichbar. Während es dort darum gehe, die eigene Marktposition zu Lasten von Konkurrenten auszubauen, seien Kassen der Verfolgung des gemeinsamen Zieles der Gewährleistung einer zweckmäßigen und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung verpflichtet. Allein diesem Ziel diene der "Wettbewerb" der Kassen. Der Gesetzgeber erwarte hiervon positive Auswirkungen im Sinne von mehr Effektivität und Flexibilität des Verwaltungshandelns, besserer Kundenorientierung, eines permanenten Ansporns zur Innovation und eines Drucks auf Preise und Beiträge. Dagegen solle verhindert werden, dass durch "Wettbewerb" Zugangsprobleme zur sozialen Krankenversicherung entstünden und es zu einer Risikoselektion komme. Der Gesetzgeber habe bei der Erweiterung von Wahlrechten der Mitglieder weder beim Zugang der Versicherten zur gesetzlichen Krankenversicherung noch bei der Gestaltung des Leistungs- und Beitragsrechts der einzelnen Krankenkasse wesentliche Befugnisse eingeräumt, mit denen sie die eigene Stellung zu Lasten von Konkurrenten verbessern könne. Die gesetzliche Krankenversicherung als Zwangsversicherung diene dem sozialen Ausgleich, dem auch der RSA diene.
Der RSA verstoße schließlich auch nicht gegen das Willkürverbot. Die maßgeblichen Ausgleichsfaktoren seien für die gesetzliche Krankenversicherung prägend, der Gesetzgeber habe sie willkürfrei ausgewählt. Ob der Gesetzgeber die...