Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:es20181211.2bve000118 |
Date | 11 Diciembre 2018 |
Judgement Number | 2 BvE 1/18 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 - Rn. (1-29), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018
- 2 BvE 1/18 -
- Der Organstreit eröffnet nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 1/18 -
über
die Anträge festzustellen,
1. |
dass die Antragsgegnerin durch die Duldung der Einreise von Asylbewerbern, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und von Asylbewerbern, die aus sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, sowie die Eröffnung und Durchführung von Asylverfahren auch in Fällen, in denen der Asylbewerber aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, sofern dies nicht nur ausnahmsweise in denjenigen Einzelfällen geschieht, wo dies durch Rechtsvorschriften der Europäischen Union, die ihrerseits die Schranken des durch das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon legitimierten, damals im Einzelnen bereits absehbaren Integrationsprogramms wahren und die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland nicht verletzen, zwingend angeordnet und der betreffende Asylbewerber vom Ersteinreisestaat ordnungsgemäß überstellt wird, die verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages |
|
a) |
an der politischen Grundentscheidung über Art, Ausmaß und Modalitäten der Migration von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland, |
|
b) |
an der Formulierung und dem Beschluss einer gesetzlichen Regelung der Migration in die Bundesrepublik Deutschland, in der alle wesentlichen Fragen dieser Migration vom Deutschen Bundestage unmittelbar und selbst festgelegt werden, etwa in Gestalt eines Gesetzes zur Einführung der parlamentarischen Verantwortung für die Migration von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland („Migrationsverantwortungsgesetz“), |
|
c) |
an der ständigen und unmittelbaren parlamentarischen Kontrolle aller laufenden Migrationsbewegungen in die Bundesrepublik Deutschlandund dadurch zugleich den Gewaltenteilungsgrundsatz sowie Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG) verletzt hat, |
|
2. |
dass die Duldung der Migration von Ausländern aus Staaten, die nicht dem Schengen-Raum angehören, in die Bundesrepublik Deutschland durch die Bundesregierung und sonstige Stellen des Bundes oder auch der Länder von Verfassungs wegen nur zulässig wäre aufgrund eines vorab ordnungsgemäß zustande gekommenen parlamentarischen Gesetzes, das alle wesentlichen Aspekte der Art, des Umfangs und aller sonstigen wesentlichen Modalitäten dieser Migration, wie insbesondere die personale Zusammensetzung der Migrationskontingente und die an den einzelnen Migranten jeweils heranzutragenden persönlichen Voraussetzungen, wie vor allem Bildung, Ausbildung, Sprachkenntnisse, Leumund und Privatvermögen, in parlamentarischer Verantwortung hinreichend bestimmt regelt. Der ordnungsgemäße Erlass eines solchen parlamentarischen „Migrationsverantwortungsgesetzes“ wird insbesondere nicht dadurch verzichtbar, dass die Bundesregierung die von ihr ohne gesetzliche Grundlage eingelassenen Migranten sprachlich als „Asylbewerber“, „Flüchtlinge“ und so weiter bezeichnen lässt, |
|
3. |
dass Asylbewerber, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder die aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen, an den Grenzen zurückzuweisen sind; desselbengleichen Ausländer, die unabhängig von einem Asylbegehren unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, insbesondere weil sie nicht über gültige Ausweis- und Reisedokumente und ein Schengen-Visum verfügen, an den Grenzen zurückzuweisen sind, |
|
4. |
dass die Bundesrepublik Deutschland der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten hat. |
Antragstellerin: |
Fraktion Alternative für Deutschland im Deutschen Bundestag, |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Privatdozent Dr. Ulrich Vosgerau,
Berlin -
Antragsgegnerin: |
Bundesregierung, |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 11. Dezember 2018 gemäß § 24 BVerfGG einstimmig beschlossen:
- Die Anträge werden verworfen
A.
Das Organstreitverfahren betrifft das Verhalten der Antragsgegnerin während der sogenannten Flüchtlingskrise. Die Antragstellerin sieht in der Duldung der Einreise von Asylbewerbern in das Bundesgebiet insbesondere seit den Sommermonaten des Jahres 2015 bis in die Gegenwart hinein eine Verletzung objektiven Rechts sowie von Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten des Deutschen Bundestages.
I.
Im Jahr 2015 kam es zu einem starken Anstieg von Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland Schutz suchten; ein großer Teil gelangte über die sogenannte Balkanroute aus der Republik Österreich kommend nach Deutschland.
Mit Wirkung vom 13. September 2015 wurden an den deutschen Grenzen, schwerpunktmäßig an der deutsch-österreichischen Grenze, vorübergehend wieder Grenzkontrollen eingeführt. Im Zusammenhang damit wurde innerhalb der Antragsgegnerin die Entscheidung getroffen, Drittstaatsangehörige, die in Deutschland um Schutz nachsuchen, nicht an der Grenze zurückzuweisen.
Die Antragstellerin gehört seit Beginn der 19. Legislaturperiode erstmals dem Deutschen Bundestag an. Sie machte das Verhalten der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Zuwanderung von Schutzsuchenden zum Gegenstand verschiedener (Kleiner) Anfragen. In ihrer Kleinen Anfrage vom 10. Januar 2018 heißt es mit Blick auf das Verhalten der Antragsgegnerin im September 2015 unter anderem (BTDrucks 19/559, S. 3):
1. Trifft es zu, dass es keine schriftliche Anordnung des Bundesinnenministeriums oder des Bundesinnenministers an die Bundespolizei und/oder die Grenzbehörden gab und gibt, wonach unter Berufung auf § 18 Absatz 4 Nummer 2 AsylG von der Einreiseverweigerung oder...
Um weiterzulesen
FORDERN SIE IHR PROBEABO AN-
Beschluss vom 02. Juli 2019 - 2 BvE 4/19
...Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 ; 129, 356 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 15). Dieser kann sich auch aus der Antragsbegründung ergeben (vgl. BVerfGE 68, 1 ; 136, 277 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11.......
-
Beschluss vom 17. September 2019 - 2 BvE 2/16
...Organhandelns (vgl. BVerfGE 104, 151 ; 118, 244 ; 126, 55 ; 140, 1 ; 143, 1 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 18; stRspr). Kern des Organstreitverfahrens ist auf Seiten des Antragstellers die Durchsetzung von Rechten (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG,......
-
Beschluss vom 17. September 2019 - 2 BvE 2/18
...kontradiktorischen Parteistreit (vgl. zum Begriff BVerfGE 126, 55 ; 138, 256 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 18; Beschluss des Zweiten Senats vom 2. Juli 2019 - 2 BvE 4/19 -, Rn. 20) gegenüberstehenden Organe nicht betreffen oder gar klären k......
-
Beschluss vom 02. Juli 2019 - 2 BvE 4/19
...Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 ; 129, 356 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 15). Dieser kann sich auch aus der Antragsbegründung ergeben (vgl. BVerfGE 68, 1 ; 136, 277 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11.......
-
Beschluss vom 17. September 2019 - 2 BvE 2/16
...Organhandelns (vgl. BVerfGE 104, 151 ; 118, 244 ; 126, 55 ; 140, 1 ; 143, 1 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 18; stRspr). Kern des Organstreitverfahrens ist auf Seiten des Antragstellers die Durchsetzung von Rechten (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG,......
-
Beschluss vom 17. September 2019 - 2 BvE 2/18
...kontradiktorischen Parteistreit (vgl. zum Begriff BVerfGE 126, 55 ; 138, 256 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18 -, Rn. 18; Beschluss des Zweiten Senats vom 2. Juli 2019 - 2 BvE 4/19 -, Rn. 20) gegenüberstehenden Organe nicht betreffen oder gar klären k......