Beschluss vom 12.02.2021 - BVerwG 20 F 1.20

Judgment Date12 Febrero 2021
Neutral CitationBVerwG 20 F 1.20
ECLIDE:BVerwG:2021:120221B20F1.20.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 12.02.2021 - 20 F 1.20
Record Number120221B20F1.20.0
Registration Date20 Abril 2021
Applied RulesVwGO §§ 86, 99 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2, § 154 Abs. 3 Halbs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3,GBO § 2 Abs. 2,VwVfG § 74 Abs. 4 Satz 2,SIFG § 1 Satz 1,IFG § 6 Satz 2,ZPO § 100 Abs. 1,GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4,GeschGehG § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 1 Buchst. a, b und c
Subject MatterVerfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 20 F 1.20

  • OVG Saarlouis - 09.01.2020 - AZ: OVG 8 F 144/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 12. Februar 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 9. Januar 2020 geändert. Die Sperrerklärung des Beigeladenen zu 3 vom 24. Januar 2019 ist rechtswidrig, soweit sie sich auf folgende Regelungen im Grundlagenvertrag vom 30. Mai 2000 bezieht:
  2. - II. (Präambel) Abs. 3
  3. - § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 7 teilweise nach Maßgabe der Entscheidungsgründe
  4. - § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 4
  5. - § 3 Abs. 12 und Abs. 13 Satz 2
  6. - § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2
  7. - § 8
  8. - § 10 Abs. 2
  9. - § 11 Abs. 1 und 2
  10. - § 14 Abs. 4
  11. - § 17 Abs. 2 Satz 1
  12. - § 18 Abs. 1
  13. Die weitergehende Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.
  14. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 werden der Klägerin zu 3/4 und der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 jeweils zu 1/8 auferlegt. Die Beigeladenen zu 2 und 3 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe I

1 Die Klägerin, deren Unternehmensgegenstand die Projektierung und Entwicklung von Immobilien und Grundstücken insbesondere im Rathausquartier im Gebiet der Beklagten ist, begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vollständigen Zugang nach dem Saarländischen Informationsfreiheitsgesetz zu einem zwischen den Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen zu 1 und 2 geschlossenen Grundlagenvertrag vom 30. Mai 2000. Dieser regelt die Verpachtung von Parkierungsanlagen im Gebiet der Beklagten durch die Beigeladene zu 2, deren alleinige Gesellschafterin die Beklagte ist, an die Beigeladene zu 1.

2 Nachdem die Beklagte im Hauptsacheverfahren eine mit Schwärzungen und Auslassungen versehene Fassung des Grundlagenvertrags ohne Anlagen vorgelegt hatte, hat ihr das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2018 aufgegeben, einen vollständigen Abdruck des Grundlagenvertrags ohne Anlagen vorzulegen.

3 Daraufhin hat der Beigeladene zu 3 unter dem 24. Januar 2019 eine Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO abgegeben, weil die geschwärzten und ausgelassenen Klauseln Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten. Sie beträfen z.B. die Rechte und Pflichten der Vertragspartner, die Kostentragung, die Haftung und Verkehrssicherungspflichten. Ihre Bekanntgabe würde die Verhandlungspositionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 und ihre Stellung am Markt mit wirtschaftlich nachteiligen Folgen erheblich schwächen. Für die Beklagte gelte dies z.B. mit Blick auf künftige Vergaben des Betriebs oder der Verpachtung städtischer Parkierungsanlagen. Die Beigeladene zu 1 konkurriere mit anderen Bewerbern dieser Branche wie der Klägerin. Es spreche viel dafür, dass die oberste Aufsichtsbehörde bei Abwägung der Interessenlage verpflichtet sei, die vollständige Einsicht in den Vertrag zu verweigern, weil der gesetzgeberischen Intention hinsichtlich der fachgesetzlichen Regelung eine wesentliche Bedeutung zukomme. Jedenfalls sei die Sperrerklärung ermessensgerecht, um die Informations- und Geheimhaltungsinteressen zu wahren. Ein besonderer entgegenstehender Grund sei nicht erkennbar.

4 Auf den sinngemäßen Antrag der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, hat das Verwaltungsgericht das Verfahren am 1. April 2019 dem Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zur Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt. Der Beigeladene zu 3 hat mit Schriftsatz vom 25. Juli 2019 seine Sperrerklärung näher erläutert.

5 Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 9. Januar 2020 festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten, einen vollständigen, keine Auslassungen bzw. Schwärzungen enthaltenden Abdruck des Grundlagenvertrags vorzulegen, rechtmäßig sei. Soweit sich das Begehren der Klägerin im Zwischenverfahren (auch) auf die Vorlage der Anlagen zum Grundlagenvertrag beziehe, sei der Antrag unzulässig. Denn das Verwaltungsgericht habe nur den Grundlagenvertrag ohne Anlagen als entscheidungserheblich angesehen. Der Antrag im Übrigen sei unbegründet. Der Beigeladene zu 3 habe seine Weigerung, die vom Verwaltungsgericht angeforderten Akten ungeschwärzt vorzulegen, plausibel dargelegt. Die geltend gemachten Geheimhaltungsgründe lägen vor. Die Ermessensausübung unterliege keinen durchgreifenden Bedenken.

6 Mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hätte den Prüfungsumfang auf die Anlagen zum Grundlagenvertrag erstrecken müssen. Diese seien zweifelsfrei entscheidungserheblich. Denn sie begehre im Hauptsacheverfahren Einsicht in die vollständigen Unterlagen, d.h. in den Grundlagenvertrag mit Anlagen. Das Verwaltungsgericht sei insoweit seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Die Sperrerklärung genüge wegen der nur formelhaften Umschreibung der Geheimhaltungsgründe schon nicht den formellen Anforderungen. Sie sei auch materiell rechtswidrig. Es sei davon auszugehen, dass nicht alle Schwärzungen und Auslassungen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthielten. Zudem sei die Sperrerklärung ermessensfehlerhaft. Es fehle an einer Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Informationsinteresse. Die Parkraumbewirtschaftung im Gebiet der Beklagten sei in der Politik, Presse und Öffentlichkeit oft diskutiert worden. Zwei Fraktionen im Stadtrat hätten sich dafür ausgesprochen, die Verträge zwischen den Beigeladenen zu 1 und 2 anzufechten, damit im Gebiet der Beklagten zu angemessenen Preisen geparkt werden könne. Die Ermessenserwägungen seien nicht von den im Hauptsacheverfahren angeführten Weigerungsgründen abgegrenzt worden. Eine Offenlegung der Vertragsklauseln verschaffe ihr keinen Wettbewerbsvorteil. Sie konkurriere als reine Immobiliengesellschaft nicht mit der Beigeladenen zu 1.

7 Die Beklagte hält die Beschwerde für unbegründet. Der Fachsenat sei an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gebunden gewesen, den Grundlagenvertrag ohne Anlagen vorzulegen. Ob die Klägerin mit der Beigeladenen zu 1 konkurriere, sei für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses unerheblich. Das behauptete öffentliche Informationsinteresse sei von dem im Zwischenverfahren maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung zu unterscheiden. Die Ermessensausübung beschränke sich nicht auf eine Prüfung der fachgesetzlichen Ausschlussgründe.

8 Die Beigeladene zu 1 hat ebenfalls beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Anlagen des Grundlagenvertrags seien nicht Gegenstand des Zwischenverfahrens. Alle vorenthaltenen Informationen enthielten Geschäftsgeheimnisse eines laufenden Vorgangs. Sie ließen Rückschlüsse auf ihre Kostenkalkulation zu. Auch die Pachtobjekte seien geheim zu halten. Denn sie betreibe sowohl von der Beigeladenen zu 2 als auch von Dritten gepachtete als auch ihr selbst gehörende Parkierungsanlagen, teilweise auch nur als Management. Einzelne vom Grundlagenvertrag erfasste Anlagen stünden inzwischen in ihrem Eigentum oder würden nicht mehr betrieben. Diese für ihre Marktstrategie bedeutsamen Verhältnisse seien nicht öffentlich bekannt. Die Ermessensausübung des Beigeladenen zu 3 sei durch den gebotenen Grundrechtsschutz rechtlich vorgezeichnet. Dieser überwiege, zumal die Klägerin nach eigenen Angaben nicht mit ihr, der Beigeladenen zu 1, konkurriere.

9 Die Beigeladenen zu 2 und 3 haben im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt. Der Beigeladene zu 3 hat die Sperrerklärung mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 nochmals näher erläutert.

II

10 Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Ihr Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO ist zwar nur teilweise zulässig, insoweit aber zum Teil begründet.

11 1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich auf die Anlagen zum Grundlagenvertrag bezieht.

12 Eine Entscheidung des Fachsenats nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt zum einen voraus, dass das Gericht der Hauptsache die beklagte Behörde gemäß § 99 Abs. 1 VwGO auffordert, bestimmte Urkunden oder Akten vorzulegen oder bestimmte elektronische Dokumente zu übermitteln oder bestimmte Auskünfte zu erteilen, und dabei die Entscheidungserheblichkeit dieser Unterlagen verlautbart. Zum anderen setzt sie voraus, dass die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage, Übermittlung oder Auskunftserteilung verweigert, weil das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder weil die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Gegenstand des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO ist diese sog. Sperrerklärung. Der Fachsenat entscheidet darüber, ob die Weigerung der Behörde, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2016 - 20 F 13.15 - juris Rn. 9).

13 Die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen muss das Gericht der Hauptsache in der Regel in einem Beweisbeschluss oder in einer vergleichbar förmlichen Äußerung darlegen. Eine einfache Anforderung der Unterlagen genügt ausnahmsweise dann, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei entscheidungserheblich sind. Verlautbaren muss das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen aber stets (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2013 - 20 PKH 1.13 - juris Rn...

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