Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 2219/06
Court | Constitutional Court (Germany) |
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2008:rk20080312.2bvr221906 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 2219/06 - Rn. (1-30), |
Date | 12 Marzo 2008 |
Judgement Number | 2 BvR 2219/06 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2219/06 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H...
I. gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. September 2006 - 1 Vollz (Ws) 600/06 -, |
b) | den Beschluss des Landgerichts Münster vom 19. Juli 2006 - StVK 207/06 -, |
c) | den Widerspruchsbescheid des Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2006 - LB II - 0540.12 - |
II. mittelbar gegen § 116 Absatz 1 des Strafvollzugsgesetzes
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Broß,
die Richterin Lübbe-Wolff
und den Richter Gerhardt
am 12. März 2008 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Münster vom 19. Juli 2006 - StVK 207/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht Münster zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. September 2006 - 1 Vollz (Ws) 600/06 - wird damit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung einer Besuchserlaubnis im Maßregelvollzug.
1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 7. Oktober 2005 in der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik Rheine. Am 2. November 2005 beantragte er die Erteilung einer Besuchsgenehmigung für seine Mutter und seinen Neffen; gleichzeitig teilte er mit, dass er eine „Belästigung“ seiner Besucher durch ein Vorgespräch mit einem Therapeuten ablehne. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2005 rügte der Beschwerdeführer, dass sein Besuchsantrag lediglich mündlich abgelehnt worden sei, und beantragte erneut die Genehmigung eines Besuchs seiner Mutter und seines Neffen ohne vorherige Durchführung eines Erstgesprächs mit dem therapeutischen Personal. Als Anlage fügte er ein Schreiben der Mutter und des Neffen bei, in dem diese bestätigten, ein aufgezwungenes Gespräch nicht zu wünschen.
2. Die Klinik lehnte den Antrag ab. In der Klinik sei - im Benehmen mit der Rechtsabteilung des Trägers sowie mit dem Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug - vor einem erstmaligen Besuch durch Angehörige oder andere Personen die Durchführung eines Gespräches seitens der Klinik mit dem Besucher vorgeschrieben.
3. Den gegen den ablehnenden Bescheid gerichteten Widerspruch des Beschwerdeführers wies der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2006 zurück. Die Ablehnung des Besuchsantrages sei recht- und zweckmäßig. Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Klinik sei erforderlich, dass sich das therapeutische Personal anlässlich des Erstbesuchs im Rahmen eines Erstgesprächs mit Besuchern zumindest einen Eindruck davon verschaffe, wie Besucher und Patient zueinander stünden, ob die Besucher dem Maßregelvollzug grundsätzlich positiv gegenüberstünden und ob ausgeschlossen werden könne, dass es während des Besuchs zu erheblichen Konflikten komme.
4. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er begehrte, die Klinik zur Genehmigung des Besuchs seiner Mutter und seines Neffen ohne ein therapeutisches Erstgespräch zu verpflichten und eine entsprechende Verpflichtung in Bezug auf alle Personen auszusprechen, die mit ihm im ersten Verwandtschaftsgrad stünden und das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Die Verpflichtung zur Durchführung eines Erstgesprächs greife ohne Rechtsgrundlage in seine grundrechtlich geschützte Selbstbestimmung und seine Familienbeziehungen ein. Sie könne nicht auf § 9 Abs. 2 des nordrhein-westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes (MRVG NRW, Gesetz vom 15. Juni 1999, GV NRW 1999, S. 402) gestützt werden, da nach dieser Bestimmung Einschränkungen des Besuchsrechts nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine Gefährdungslage zulässig seien. Auch sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet worden, da als milderes Mittel eine Besuchsüberwachung in Betracht gekommen wäre.
5. Der zuständige Richter der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass die im Antrag auf gerichtliche Entscheidung angesprochene Problematik bereits Gegenstand eines Kammerbeschlusses vom 23. Dezember 2005 gewesen sei. Dort sei zu der in Rede stehenden Problematik folgendes ausgeführt: „Im Übrigen wäre der Antrag aber auch unbegründet. Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung innerhalb des Maßregelvollzuges ist es einem Untergebrachten ganz allgemein zuzumuten, dass anlässlich von Erstgesprächen von Besuchern seitens des Fachpersonals ein Eindruck gewonnen wird, in welchem Verhältnis Besucher und Besuchter zueinander stehen. Insbesondere sind solche Gespräche dazu geeignet abzuklären, ob zu erwarten ist, dass die Besuche konfliktfrei abgewickelt werden können.“ Diesbezüglich habe sich die Rechtsauffassung der Kammer nicht geändert. Die Anträge des Beschwerdeführers müssten daher negativ beschieden werden, weshalb angefragt werde, ob eine Entscheidung dennoch gewünscht werde. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag, den das Landgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2006 zurückwies. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 24. Mai 2006 als unzulässig; die Ablehnung des Befangenheitsantrags könne nur zusammen mit einer Rechtsbeschwerde gegen den noch zu erlassenden Beschluss gemäß §§ 109 ff. StVollzG angefochten werden.
6. Das Landgericht verwarf mit Beschluss vom 19. Juli 2006 den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet. Gemäß § 9 Abs. 1 MRVG NRW stehe dem Beschwerdeführer zwar grundsätzlich ein Besuchsrecht zu. Die folgenden Absätze dieser Vorschrift schränkten dieses Recht jedoch nicht unerheblich ein; so könnten etwa Besuche nur in Gegenwart von Aufsichtspersonen gebilligt oder ganz untersagt werden. Damit werde eindeutig klargestellt, dass sich die Klinik für die Genehmigung von Besuchen eine Tatsachengrundlage schaffen müsse, um die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gewährleisten zu können. Erstgespräche mit Besuchern in Gegenwart einer fachlich geschulten Person der Klinik drängten sich daher geradezu auf. In solchen Gesprächen könnten insbesondere Informationen über das Verhältnis des Besuchers zu den Patienten, aber auch seine Einstellung zu der gerichtlich angeordneten Maßregel gewonnen werden. Vor allem werde sich der Gesprächsteilnehmer aber auch ein persönliches Bild von dem Besucher machen können...
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