Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 1 BvR 781/21
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rs20211012.1bvr078121 |
Date | 12 Octubre 2021 |
Judgement Number | 1 BvR 781/21 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 781/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
des Herrn (…), |
|
2. |
der Frau (…), |
|
3. |
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
-
HÄRTING Rechtsanwälte PartGmbB,
Chausseestraße 13, 10115 Berlin -
gegen |
§ 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 802) |
hier: | Antrag auf Richterablehnung |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Paulus,
Britz,
Ott,
Christ,
Radtke,
Härtel
am 12. Oktober 2021 beschlossen:
- Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten Harbarth und die Richterin Baer wird zurückgewiesen
A.
Die Beschwerdeführenden machen die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth und Richterin Baer geltend.
I.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 stellte Rechtsanwalt Prof. Härting unter anderem namens des Beschwerdeführers zu 1) ein gegen den Präsidenten Harbarth und die Richterin Baer gerichtetes Ablehnungsgesuch unter dem Aktenzeichen 1 BvR 968/21. Auf entsprechende Nachfrage des Bundesverfassungsgerichts stellte Rechtsanwalt Prof. Härting mit Schriftsatz vom 27. September 2021 klar, dass der Antrag im Verfahren 1 BvR 781/21 gestellt sei, in dem er ebenfalls als Verfahrensbevollmächtigter bestellt ist. Gegenstand dieses Verfahrens sind die mit Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl I S. 802) eingeführten Ausgangsbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG.
II.
Die Beschwerdeführenden begründeten ihr Ablehnungsgesuch ursprünglich im Wesentlichen wie folgt:
1. Die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth ergebe sich zum einen aus dessen Einflussnahme auf die Auswahl der bei einem Treffen der Bundesregierung mit dem Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 erörterten Themen und zum anderen aus der in der Pressemitteilung Nr. 78 des Bundesverfassungsgerichts vom 20. August 2021 erfolgten Ankündigung, in den Verfahren 1 BvR 781/21 u.a. nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung im Beschlussweg entscheiden zu wollen.
a) Aus der Akte des Bundesverfassungsgerichts zu dem genannten Treffen zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht ergebe sich, dass das Bundeskanzleramt ursprünglich vorgeschlagen habe, über die Themen „Die Handlungsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes im globalen Krisenfall“ sowie „Desinformation und hybride Drohungen“ [gemeint wohl: „Bedrohungen“] zu sprechen. Die tatsächlich bei dem Treffen erörterten Themen wichen vollständig von den ursprünglich durch das Bundeskanzleramt vorgeschlagenen ab. So sei etwa das erkennbar auf die „Corona-Krise“ gemünzte Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ erörtert worden. Wie dieses Thema auf die Tagesordnung des Treffens gekommen sei, könne der Akte des Bundesverfassungsgerichts nicht entnommen werden. Der zeitliche Ablauf lasse lediglich den Schluss zu, dass Präsident Harbarth das Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ selbst vorgeschlagen oder in Gesprächen mit dem Bundeskanzleramt mit beschlossen habe.
Die Auswahl des Themas „Entscheidung unter Unsicherheiten“ als Gegenstand des Treffens zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht begründe die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth. Die Beschwerdeführenden müssten befürchten, dass der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet worden sei, dem zuständigen Senat die gegen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde sprechenden Argumente darzulegen. Das gewählte Thema betreffe ersichtlich Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers, die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Ausgangsbeschränkungen von zentraler Bedeutung seien. Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sei ausweislich ihres Redemanuskripts dann auch konkret auf den Umgang mit der Pandemie zu sprechen gekommen, wenngleich sie betont habe, nicht über beim Bundesverfassungsgericht anhängige Fälle sprechen zu wollen.
b) Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Präsident Harbarth würden durch die in der Pressemitteilung Nr. 78 des Bundesverfassungsgerichts vom 20. August 2021 in Aussicht gestellte Verfahrensweise verstärkt, nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen. Es sei überaus befremdlich, dass die Beschwerdeführenden über diese Einschätzung nicht informiert worden seien. Aus ihrer Sicht müsse der Eindruck entstehen, das Gericht halte jede weitere prozessuale Äußerung der Beschwerdeführenden bereits jetzt für entbehrlich.
2. Bei Richterin Baer bestehe ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit, weil sie bei dem genannten Treffen mit der Bundesregierung einen Vortrag zu dem Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ gehalten habe. Über den Inhalt des Vortrags sei den Beschwerdeführenden zwar nichts bekannt, da die Richterin angegeben habe, diesen ohne Manuskript gehalten zu haben. Die Beschwerdeführenden müssten aber davon ausgehen, dass die abgelehnte Richterin ‒ wie die Bundesjustizministerin ‒ sich zu im vorliegenden Verfahren bedeutsamen Sach- und Rechtsfragen geäußert habe. Wegen des Vortrags ohne Manuskript sei den Beschwerdeführenden zudem die Gelegenheit zur Gegenrede genommen. Es bestehe die Gefahr des Eindrucks, die ‒ nach der Annahme der Beschwerdeführenden ‒ als Berichterstatterin zuständige Richterin Baer fühle sich der Bundesregierung näher als den Beschwerdeführenden.
III.
1. Präsident Harbarth hat unter dem 28. September 2021 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben:
„Die anlässlich des Zusammentreffens von Mitgliedern der Bundesregierung und von Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts am Abend des 30. Juni 2021 erörterten Themen ‚Rechtsetzung in Europa‘ und ‚Entscheidung unter Unsicherheiten‘ wurden unter meiner Mitwirkung ausgewählt. Ich hielt und halte diese Themen für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Verfassungsorganen für geeignet, weil sie abstrakte und zeitlose Fragestellungen betreffen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts niedergeschlagen haben, und sich diese Themen aus meiner Sicht ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren erörtern lassen. Demgemäß habe ich mich im Rahmen des oben genannten Zusammentreffens zu Sach- und Rechtsfragen anhängiger Verfahren nicht geäußert.“
2. Ebenfalls unter dem 28. September 2021 hat sich Richterin Baer dienstlich geäußert:
„Entgegen der Annahme von Rechtsanwalt Härting bin ich nicht Berichterstatterin in dem antragsgegenständlichen Verfahren. Bei dem Treffen zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung am...
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