BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1627/09 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der S… GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführer,
Große Bleichen 21, 20354 Hamburg -
1. | unmittelbar gegen |
a) | das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 2009 - BVerwG 7 C 14.08 -, |
b) | das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2008 - 4 B 553/05 -, |
2. | mittelbar gegen § 33 Abs. 4 der Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2006 (BGBl I S. 2043) geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 30. November 2006 (BGBl I S. 2759) |
und | Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Bryde,
Schluckebier
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Januar 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird unbeschadet der Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob und inwieweit Legehennenanlagen, die unter Geltung der Verordnung zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung; im Folgenden: HHVO) vom 10. Dezember 1987 (BGBl I S. 2622) immissionsschutzrechtlich genehmigt und in Betrieb genommen worden sind, Bestandsschutz genießen.
I.
Die Beschwerdeführerin, eine GmbH, betreibt in Sachsen eine Legehennenanlage mit über 780.000 Legehennenplätzen. Die Legehennen werden in herkömmlichen Käfigen (so genannten Legebatterien) gehalten. Der schon zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik existierende Betrieb wurde nach der Wiedervereinigung von der Treuhandanstalt übernommen und in eine GmbH umgewandelt. Diese verkaufte die Anlage mit Vertrag vom 29. April 1991 an die Beschwerdeführerin.
Mit Bescheid vom 7. März 1996 erteilte das Regierungspräsidium der Beschwerdeführerin die Genehmigung zur wesentlichen Änderung der Anlage. Diese umfasste unter anderem die „Umrüstung der Legeeinrichtungen (Käfige) entsprechend EG-Norm auf neue Käfiggrößen einschließlich Wedeleinrichtung zur Kotabtrocknung und automatische Eiersammlung“.
Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung waren die Anforderungen an die Legehennenhaltung in der Hennenhaltungsverordnung geregelt. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 HHVO sah in Übereinstimmung mit der Richtlinie 88/166/EWG des Rates vom 7. März 1988 zur Festsetzung von Mindestanforderungen zum Schutz von Legehennen in Käfigbatteriehaltung (ABl Nr. L 74 vom 19. März 1988, S. 83) vor, dass für jede Henne eine uneingeschränkt benutzbare Käfigbodenfläche von mindestens 450 qcm vorhanden sein musste. Die uneingeschränkt nutzbare Länge des Futtertrogs musste gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 Halbsatz 1 HHVO für jede Henne mindestens 10 cm betragen.
2. Mit Urteil vom 6. Juli 1999 (BVerfGE 101, 1) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Hennenhaltungsverordnung für nichtig. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 und Nr. 7 Satz 1 Halbsatz 1 HHVO sei mit § 2a Abs. 1 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) unvereinbar. Damit sei § 2 Abs. 1 und Abs. 2 HHVO, der die Anforderungen an Käfige regle, insgesamt nichtig. Soweit die Hennenhaltungsverordnung hiernach noch Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sein könne, sei sie wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG insgesamt verfassungswidrig und deshalb gemäß § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig zu erklären.
3. Am 3. August 1999 trat die Richtlinie 1999/74/EG des Rates vom 19. Juli 1999 zur Festlegung von Mindestanforderungen zum Schutz von Legehennen in Kraft (ABl Nr. L 203 vom 3. August 1999, S. 53). Die Haltung von Legehennen in herkömmlichen Käfigen ist nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie bis zum 31. Dezember 2011 zulässig.
Unter anderem zur Umsetzung dieser Richtlinie wurde am 28. Februar 2002 die Erste Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (BGBl I S. 1026) erlassen, die einen die Anforderungen an das Halten von Legehennen regelnden Abschnitt 3 in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) vom 25. Oktober 2001 (BGBl I S. 2758) einfügte. Die herkömmliche Käfighaltung sollte demnach ab 1. Januar 2007 verboten sein. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 1. August 2006 (BGBl I S. 1804) wurde die Laufzeit für herkömmliche Käfiganlagen unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2008 mit Verlängerungsoption bis zum 31. Dezember 2009 verlängert. Durch Bekanntmachung vom 22. August 2006 (BGBl I S. 2043) wurde die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung neu gefasst. Nach Inkrafttreten der Dritten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 30. November 2006 (BGBl I S. 2759) waren die für die Legehennenhaltung maßgeblichen, in der Sache bis heute unveränderten Übergangsvorschriften in § 33 Abs. 3 und Abs. 4 TierSchNutztV a.F. (heute: § 38 Abs. 3 und Abs. 4 TierSchNutztV in der Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 1. Oktober 2009
4. a) Im Dezember 2002 erhob die Beschwerdeführerin Klage vor dem Verwaltungsgericht und begehrte die Feststellung, dass sie befugt sei, ihre Legehennenhaltungsanlage in der genehmigten Form weiter zu betreiben, bis die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 7. März 1996 aufgehoben werde.
Mit (nicht veröffentlichtem) Urteil vom 7. Juni 2005 (7 K 1992/02) stellte das Verwaltungsgericht Leipzig fest, dass die Beschwerdeführerin befugt sei, ihre Legehennenhaltungsanlage auch nach dem 1. Januar 2007 nach Maßgabe des Bescheides des Regierungspräsidiums vom 7. März 1996 fortzuführen, solange der Bescheid nicht geändert oder aufgehoben werde.
b) Auf die Berufung des Freistaates Sachsen hin änderte das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Februar 2008 (4 B 553/05, veröffentlicht in juris) das Urteil des Verwaltungsgerichts ab und wies die Klage der Beschwerdeführerin ab.
Die Feststellungsklage sei nicht begründet. Die Beschwerdeführerin sei trotz der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 7. März 1996 nach Ablauf der Übergangsfrist des § 33 Abs. 4 Satz 1 TierSchNutztV a.F. am 31. Dezember 2008 nicht mehr berechtigt, ihre Käfighaltungsanlage für Legehennen in bisheriger Form weiter zu betreiben. Inhalt und Reichweite des der Beschwerdeführerin für die Haltungsanlage zustehenden passiven Bestandsschutzes richteten sich nach dem Regelungsgehalt der Genehmigung vom 7. März 1996. Aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Adressaten enthalte die Genehmigung weder in ihrem Verfügungssatz noch in ihrer zur Auslegung ergänzend heranzuziehenden Begründung tierschutzrechtliche Regelungen zur Legehennenhaltung.
c) Mit Urteil vom 30. April 2009 (BVerwG 7 C 14.08, veröffentlicht in juris), den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugestellt am 20. Mai 2009, wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung, dass sie ihre Legehennenanlage unter Weiterverwendung der Käfiganlagen so lange fortführen dürfe, bis die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 7. März 1996 geändert oder aufgehoben worden sei.
Der Senat habe bereits mit Urteil vom 23. Oktober 2008 (BVerwG 7 C 48.07 - NVwZ 2009, S. 650) entschieden, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung keinen Schutz vor nachträglichen Änderungen der tierschutzrechtlichen Anforderungen vermittle. Im Immissionsschutzrecht gebe es keinen Grundsatz, dass dem Betreiber eingeräumte Rechtspositionen zu belassen seien und nur gegen Entschädigung entzogen werden dürften (Verweis auf BVerwGE 124, 47 <61>).
Die Anpassung bestehender Anlagen an nachträgliche Rechtsänderungen könne nicht nur im Wege einer konkretisierenden behördlichen Anordnung, sondern auch durch eine unmittelbar anwendbare, hinreichend konkrete Rechtsvorschrift erfolgen. Aus Wortlaut und Regelungszweck der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gehe eindeutig hervor, dass sie die Pflichten der Betreiber von Haltungsanlagen für Legehennen zu Erwerbszwecken und die Anforderungen an die Haltungseinrichtungen unmittelbar gestalte.
Die durch die unmittelbar wirkende Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung begründete Anpassungspflicht für Altanlagen bewege sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Es habe in § 2a Abs. 1 TierSchG keiner ausdrücklichen Ermächtigung an den Verordnungsgeber bedurft, auch Übergangsvorschriften für Altanlagen zu regeln. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlange nicht, dass der Gesetzgeber Ermächtigungen zum Erlass von rückwirkenden Verordnungen oder Übergangsregelungen ausdrücklich erteile. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt weder wegen der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs noch der berührten Grundrechte oder der Eingriffsintensität verpflichtet, den gesamten Sachbereich einschließlich der Übergangsregelungen für Altanlagen selbst zu regeln. Die Übergangsvorschriften in § 33 Abs. 4 TierSchNutztV a.F. verstießen nicht gegen die Grundrechte der Anlagenbetreiber aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
5. Mit ihrer am 23. Juni 2009 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin unmittelbar die Urteile des...