Beschluss vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 995/95
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:1999:rs19990714.1bvr099595 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 995/95 - Rn. (1-202), |
Date | 14 Julio 1999 |
Judgement Number | 1 BvR 995/95 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 995/95 -
- 1 BvR 2288/95 -
- 1 BvR 2711/95 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. 1. des Herrn B...,
2. der Frau K...,
3. der Frau L...,
4. des Herrn N...,
5. des Herrn W...,
Schlüterstraße 37, Berlin -
gegen | § 12, § 14 Satz 1, § 20 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet (Schuldrechtsanpasungsgesetz - SchuldRAnpG) vom 21. September 1994 (BGBl I S. 2538) in Verbindung mit § 3 der Nutzungsentgeltverordnung vom 22. Juli 1993 (BGBl I S. 1339), geändert durch die Verordnung vom 24. Juli 1997 (BGBl I S. 1920), und § 23 Abs. 1 bis 6 SchuldRAnpG |
- 1 BvR 995/95 -,
II. der Frau D...,
gegen | § 23 Abs. 1, 2 und 6 des Gesetzes zur Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet (Schuldrechtsanpassungsgesetz - SchuldRAnpG) vom 21. September 1994 (BGBl I S. 2538) |
- 1 BvR 2288/95 -,
III. des Herrn R...,
Possartstraße 6, München -
gegen | § 23 Abs. 6 des Gesetzes zur Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet (Schuldrechtsanpassungsgesetz - SchuldRAnpG) vom 21. September 1994 (BGBl I S. 2538) |
- 1 BvR 2711/95 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des
Vizepräsidenten Papier,
der Richter Grimm,
Kühling,
der Richterinnen Jaeger,
Haas,
der Richter Hömig,
Steiner
und der Richterin Hohmann-Dennhardt
am 14. Juli 1999 beschlossen:
- a) § 14 Satz 1 des Gesetzes zur
Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an
Grundstücken im Beitrittsgebiet
(Schuldrechtsanpassungsgesetz - SchuldRAnpG) vom 21.
September 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 2538) ist, soweit
er Vertragsverhältnisse nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 und
ihre vorzeitige Beendigung nach § 23 Absatz 2 Satz 1
Nummer 1, auch in Verbindung mit Absatz 6 Satz 1, und nach
Absatz 3 dieses Gesetzes betrifft, mit Artikel 14 Absatz 1
des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
b) § 20 Absatz 1 und 2 des Schuldrechtsanpassungsgesetzes in Verbindung mit § 3 Absatz 1 der Nutzungsentgeltverordnung vom 22. Juli 1993 (Bundesgesetzblatt I Seite 1339), auch in der Fassung der Verordnung vom 24. Juli 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 1920), ist, soweit er eine angemessene Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten des Grundstücks ausschließt, mit Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.
§ 23 Absatz 1 bis 3, 5 und 6 des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ist mit Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er nicht die Möglichkeit vorsieht, bei besonders großen Erholungs- und Freizeitgrundstücken die Verträge hinsichtlich einer Teilfläche zu kündigen.
Die verfassungswidrigen Regelungen sind spätestens bis zum 30. Juni 2001 durch verfassungsgemäße Regelungen zu ersetzen.
c) Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu I zurückgewiesen.
d) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern zu I die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. - a) § 23 Absatz 6 Satz 1 und 3 des
Schuldrechtsanpassungsgesetzes ist, soweit er die
Eigentümer von Garagengrundstücken für die Zeit vom 1.
Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2002 auf die
Kündigungsgründe des § 23 Absatz 2 und 6 Satz 3 dieses
Gesetzes beschränkt, mit Artikel 14 Absatz 1 des
Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
b) Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu II und III zurückgewiesen.
c) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern zu II und III drei Achtel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen Vorschriften des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, durch das Rechtsverhältnisse über die Nutzung fremder Grundstücke, die in der Deutschen Demokratischen Republik begründet wurden, in das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs übergeleitet werden.
I.
1. a) In der Deutschen Demokratischen Republik waren Grund und Boden im Dienste der sozialistischen Gesellschaftsordnung einer gesellschaftlichen Nutzung zuzuführen (vgl. dazu und zum folgenden BTDrucks 12/7135, S. 26 ff., 35; Klaus Heuer, Grundzüge des Bodenrechts der DDR 1949-1990, 1991, Rn. 1 ff.; Leutheusser-Schnarrenberger, DtZ 1993, S. 322). Das geschah durch die Schaffung von sogenanntem sozialistischem Eigentum, zu dem neben dem genossenschaftlichen Grundeigentum vor allem das gesamtgesellschaftliche Volkseigentum gehörte, das weder übertragen noch belastet werden konnte. Für die Grundstücksnutzungen gewannen gleichzeitig die staatliche Verleihung und die Zuweisung von Nutzungsrechten an volkseigenen und genossenschaftlich genutzten Grundstücken an Bedeutung (vgl. auch BVerfGE 98, 17 ). Daneben wurden Grundstücke privaten Nutzern, zum Beispiel zum Zwecke der Erholung oder Freizeitgestaltung, auch auf vertraglicher Grundlage überlassen. Soweit die Grundstücke staatlich verwaltet wurden, schloß der Verwalter die Verträge vielfach ohne oder gegen den Willen der Grundstückseigentümer.
b) Die Rechtsgrundlagen für die vertragliche Grundstücksnutzung zu Erholungs- und Freizeitzwecken wechselten im Laufe der Zeit.
aa) Bis Ende 1975 ergaben sie sich hauptsächlich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, vor allem aus den Vorschriften über das Pachtrecht. Daneben wurden über Grundstücke, die in den alten Bundesländern und in Berlin (West) lebenden Eigentümern gehörten und staatlicher Verwaltung unterlagen, insbesondere im Berliner Umland sogenannte Überlassungsverträge geschlossen. Sie sahen eine Überlassung der Grundstücke für 20 oder 30 Jahre, in Einzelfällen auch auf Lebenszeit, vor. Der Überlassungsnehmer hatte eigentümerähnliche Rechte und Pflichten; ein Nutzungsentgelt mußte er nicht entrichten.
bb) Am 1. Januar 1976 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch in der Deutschen Demokratischen Republik durch das Zivilgesetzbuch vom 19. Juni 1975 (GBl I S. 465; im folgenden: ZGB) abgelöst. Es regelte in den §§ 312 ff. die vertragliche Nutzung von Bodenflächen unter anderem zur Erholung und Freizeitgestaltung.
Nach § 313 Abs. 2 ZGB konnte vereinbart werden, daß der Nutzungsberechtigte auf der ihm überlassenen Bodenfläche ein Wochenendhaus oder andere Baulichkeiten errichtet, die der Erholung oder Freizeitgestaltung dienen. An ihnen entstand, soweit nichts anderes vereinbart war, nach § 296 Abs. 1 Satz 1 ZGB unabhängig vom Eigentum am Grundstück Eigentum des Nutzungsberechtigten.
Die Zahlung eines Nutzungsentgelts war gesetzlich nicht vorgeschrieben, wurde aber im Regelfall vereinbart (vgl. Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik und zum Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Ministerium der Justiz, 1. Aufl. 1983, § 313 ZGB Anm. 3.1.). Die Entgelte lagen erheblich unter den Preisen, die sich unter Marktbedingungen ergeben hätten (vgl. BTDrucks 12/7135, S. 52).
Gekündigt werden konnten die Nutzungsverhältnisse vom Überlassenden nach § 314 Abs. 3 ZGB nur aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der Nutzungsberechtigte seine Pflichten wiederholt gröblich verletzt, andere Nutzungsberechtigte erheblich belästigt oder sich auf andere Weise gemeinschaftsstörend verhalten hatte; wurde das Grundstück außerhalb einer Kleingartenanlage genutzt, war eine Kündigung auch bei dringendem Eigenbedarf möglich. Hatte der Nutzungsberechtigte in Ausübung seines Nutzungsrechts ein Wochenendhaus oder eine Garage errichtet, konnte das Nutzungsverhältnis gegen seinen Willen nur durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden (§ 314 Abs. 4 Satz 2 ZGB). Voraussetzung war auch hier, daß Gründe im Sinne des § 314 Abs. 3 ZGB vorlagen.
Machte der Grundstückseigentümer dringenden Eigenbedarf geltend, wurden in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: OG) an die Dringlichkeit des Bedarfs strenge Anforderungen gestellt. Dem Eigenbedarf kam dann besonderes Gewicht zu, wenn der Eigentümer das Grundstück zum Bau eines Eigenheims benötigte. Doch waren auch in diesem Fall die beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten zu prüfen und gegeneinander abzuwägen (vgl. OG, NJ 1978, S. 360 ). Dem Bau eines Eigenheims stand die vom Grundstückseigentümer beabsichtigte Errichtung eines Wochenendhauses zum Zwecke der Erholung in der gesellschaftlichen Wertung nicht gleich. Die Erholungsbedürfnisse der Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigten wurden zwar grundsätzlich als gleichwertig angesehen; jedoch gab in der Regel zugunsten des Nutzungsberechtigten den Ausschlag, daß er das Grundstück bereits besaß und Aufwendungen erbracht hatte. Bezog sich der geltend gemachte Eigenbedarf des Grundstückseigentümers nur auf einen Teil des Grundstücks, war unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, der Grundstücksgröße und der Nutzungsart zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Grundstücksteilung und einer entsprechenden Änderung des Nutzungsvertrags nach § 78 ZGB bestand (vgl. OG, NJ 1978, S. 362; NJ 1983, S. 507; NJ 1987, S. 209 ).
Die §§ 312 ff. ZGB hatten, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:
§ 312
Abschluß des Vertrages
(1) Land- und forstwirtschaftlich nicht genutzte Bodenflächen können Bürgern zum Zwecke der kleingärtnerischen Nutzung, Erholung und Freizeitgestaltung...
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