BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2047/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
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des Herrn A…, |
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des Herrn Dr. B…, |
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3. |
des Herrn B…, |
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sowie 60 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
- … -
gegen |
die Stellungnahme des Deutschen Bundestages vom 22. September 2016 (BTDrucks 18/9663 v. 20.09.2016) und die damit verbundene Unterlassung einer konstitutiven und verfassungsrechtlich zulässigen Zustimmung zur vorläufigen Anwendung des CETA |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 14. September 2020 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Die Beschwerdeführer wenden sich – wie auch die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag in dem gesonderten Organstreitverfahren 2 BvE 4/16 – gegen die Stellungnahme des Deutschen Bundestages vom 22. September 2016 (vgl. Plenarprotokoll 18/190 vom 22. September 2016, S. 18777 ff.; BTDrucks 18/9663) und das Unterlassen weiterer Maßnahmen im Zusammenhang mit der vorläufigen Anwendung und Ratifikation des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA).
I.
1. Am 10. Mai 2016 beantragten die Fraktion DIE LINKE und zehn ihrer Abgeordneten, der Bundestag wolle eine Stellungnahme zu CETA beschließen und die Bundesregierung auffordern, im Rat der Europäischen Union den Beschluss über die vorläufige Anwendung von CETA abzulehnen (vgl. BTDrucks 18/8391).
Am 5. Juli 2016 beantragten die Fraktion DIE LINKE und acht ihrer Abgeordneten darüber hinaus, der Bundestag wolle beschließen, festzustellen, dass CETA mitgliedstaatliche Kompetenzen berühre und in die Angelegenheiten der Länder eingreife. Der Bundestag solle daher die Bundesregierung auffordern, dafür Sorge zu tragen, dass CETA als gemischtes Abkommen neben dem Bundestag auch dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt werde (vgl. BTDrucks 18/9030).
Der Ausschuss für Energie und Wirtschaft hörte in seiner 87. Sitzung am 5. September 2016 Sachverständige zu verfassungs- und europarechtlichen Fragen und zu inhaltlichen Aspekten des CETA an und beschloss in seiner 88. Sitzung am 21. September 2016, die Ablehnung der oben genannten Anträge zu empfehlen (vgl. BTDrucks 18/9697 und 18/9703).
Die Fraktion DIE LINKE und elf ihrer Abgeordneten beantragten sodann am 20. September 2016 unter dem Titel „Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA stoppen“ (vgl. BTDrucks 18/9665), der Bundestag wolle beschließen, nach Art. 23 Abs. 3 GG Stellung zu nehmen und festzustellen, dass die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung von CETA in seiner bestehenden Form gegen das Unionsrecht und auch das Grundgesetz verstoße. Weiter solle der Bundestag die Bundesregierung auffordern, den deutschen Vertreter im Ministerrat anzuweisen, den Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA und den Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung von CETA abzulehnen, und für den Fall, dass die Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit getroffen würden und der deutsche Vertreter im Rat überstimmt werde, juristisch gegen diese Beschlüsse vorzugehen. Zur Begründung verwies der Antrag unter anderem darauf, dass die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ratsbeschlüsse ultra-vires ergingen und die Verfassungsidentität verletzten (vgl. BTDrucks 18/9665, S. 1). Insbesondere sei die vorläufige Anwendung von CETA nur zulässig, soweit die ausschließlichen Zuständigkeiten der Europäischen Union reichten. Es reiche daher nicht, das Kapitel zum Investitionsschutz von der vorläufigen Anwendung auszunehmen. Auch für Verkehrsdienstleistungen, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen, den Arbeitnehmerschutz und die im CETA vorgesehenen Vertragsorgane mit ihren weitreichenden Zuständigkeiten sowie die Regulierungskooperation besitze die Europäische Union keine ausschließliche Zuständigkeit. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages habe dies zumindest für die Bestimmungen über Verkehrsdienstleistungen bestätigt. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum das im Frühjahr 2017 erwartete Ergebnis des Gutachtens des Gerichtshofs der Europäischen Union zum EU-Singapur-Abkommen (EUSFTA) – dieses liegt inzwischen vor (vgl. EuGH, Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017, Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur, EU:C:2017:376) – nicht abgewartet werde, das eine erste Klärung zur Reichweite der handelspolitischen Zuständigkeiten der Europäischen Union bringen könne (vgl. BTDrucks 18/9665, S. 4).
Die Anträge der Fraktion DIE LINKE beziehungsweise von Abgeordneten dieser Fraktion wurden abgelehnt (vgl. BT-Plenarprotokoll 18/190 vom 22. September 2016, S. 18794, 18800 ff.).
Der Bundestag nahm sodann den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD an, die streitgegenständliche Stellungnahme abzugeben (vgl. BT-Plenarprotokoll 18/190 vom 22. September 2016, S. 18803 ff.).
Mit dieser stellte der Bundestag „in Wahrnehmung seiner Integrationsverantwortung“ unter anderem fest (BTDrucks 18/9663, S. 3):
Auf Grundlage des Lissaboner Vertrags entscheiden die Mitgliedstaaten im EU-Rat auch über die vorläufige Anwendung von CETA. Die in der EU-Zuständigkeit liegenden Teile von CETA dürfen jedoch erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments vorläufig angewendet werden. Dies ist wichtig, um dem Abkommen eine demokratische Legitimation auf EU-Ebene zu verschaffen. Keinesfalls darf die vorläufige Anwendung in den Bereichen erfolgen, die nationalstaatliche Kompetenzen umfassen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der Europäischen Kommission und der Bundesregierung im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindliche...