BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2435/18 -
- 1 BvR 2520/18 -
- 1 BvR 908/19 -
über
die Verfassungsbeschwerden
der A… UG (haftungsbeschränkt), vertreten durch den Geschäftsführer K…, |
- Bevollmächtigter:
-
… -
gegen |
I. a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
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b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
- 1 BvR 2435/18 -,
II. a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
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b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
- 1 BvR 2520/18 -,
III. a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
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b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
- 1 BvR 908/19 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Paulus,
Christ
und die Richterin Härtel
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 15. September 2020 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen
A.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Zurückweisung dreier aufeinanderfolgender Befangenheitsanträge im Rahmen eines laufenden Kapitalanleger-Musterverfahrens (im Folgenden: Musterverfahren) nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die Musterklägerin.
I.
1. Innerhalb des für das Musterverfahren zuständigen Senats des Oberlandesgerichts fanden nach Beginn des Musterverfahrens mehrere aufeinanderfolgende Richterwechsel statt; auch der Berichterstatter wechselte mehrfach. Im Zusammenhang mit einem Richterablehnungsgesuch, das nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist, bat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin für die Verfassungsbeschwerdeverfahren den Vorsitzenden des Senats um Übersendung der senatsinternen Geschäftsverteilungspläne. Daraufhin übersandte der Senatsvorsitzende Geschäftsverteilungspläne vom 1. September 2017, 1. Januar 2018 und 1. April 2018. Einen weiteren Beschluss über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 erhielten die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin für das Musterverfahren, nicht aber der Bevollmächtigte für die Verfassungsbeschwerdeverfahren, erst nach einem weiteren Ablehnungsgesuch wegen vermeintlicher Unstimmigkeiten, welche die an dem Musterverfahren beteiligten Richter betrafen. Die Geschäftsverteilungspläne weisen das Musterverfahren jeweils einem der Beisitzer als Berichterstatter zu, zuletzt einem neu in den Senat eingetretenen Richter am Oberlandesgericht, der nach dem Beschluss über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 ausschließlich mit dem Musterverfahren befasst war. In dem Beschluss über die senatsinterne Geschäftsverteilung ab dem 1. April 2018 heißt es wörtlich: „Zuständig für das Musterverfahren (…) ist nunmehr RiOLG K. (Sitzgruppe II) “. Außerdem geht aus den Beschlüssen hervor, dass der Senat mit fünf, beziehungsweise − im März 2018 − mit sechs Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt war.
2. Die Beschwerdeführerin lehnte daraufhin den Senatsvorsitzenden sowie den Berichterstatter für das Musterverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie vertritt die Ansicht, der Beschluss vom 1. März 2018 sei entweder dem Bevollmächtigten bewusst vorenthalten oder nachträglich gefälscht worden, um zum einen eine unzulässige Überbesetzung des Senats im März 2018 und zum anderen die ebenfalls unzulässige Zuweisung der Berichterstattung zu verschleiern; dies begründe Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden.
Mit angegriffenem Beschluss vom 10. September 2018, der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2435/18 ist, wies der Senat durch eine Richterin sowie zwei weitere Richter den Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin gegen den Senatsvorsitzenden und den Berichterstatter für das Musterverfahren zurück. Die Zuweisung der Berichterstattung beruhe auf dem sachlichen Grund, dass dem neu eingetretenen Senatsmitglied die Möglichkeit zur Einarbeitung in das Musterverfahren unter Freistellung von den übrigen Senatsgeschäften gegeben worden sei. Ohnehin hätten die Parteien keinen Anspruch auf die Berichterstattung durch eine bestimmte Person innerhalb der Sitzgruppe. Eine bewusste Zurückhaltung oder nachträgliche Fälschung des Geschäftsverteilungsplans vom 1. März 2018 sei nicht ersichtlich.
3. Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin die Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Es liege nahe, dass in ihrer Person ein Ausschließungsgrund gemäß § 41 Nr. 6 ZPO vorliege, der sie hindere, an der Entscheidung über das vorangegangene Ablehnungsgesuch mitzuwirken. Denn die Richterin habe an den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 und ab dem 1. April 2018 mitgewirkt.
Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Oktober 2018, der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2520/18 ist, wies der Senat das Ablehnungsgesuch betreffend die Richterin als unbegründet zurück. Sie sei nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO analog von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen, da es sich bei den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäftsverteilung nicht um mit einem ordentlichen Rechtsmittel angreifbare Entscheidungen handele. Eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO komme nicht in Betracht.
4. Im Zusammenhang mit einem weiteren, hier nicht gegenständlichen Ablehnungsgesuch gab der Senatsvorsitzende eine dienstliche Stellungnahme ab, in der er unter anderem auf die Versendung der Geschäftsverteilungspläne einging. Daraufhin lehnte eine der Beigeladenen des Musterverfahrens den Senatsvorsitzenden erneut wegen der Besorgnis der Befangenheit ab; die Beschwerdeführerin schloss sich dem Befangenheitsantrag an. Der Vorsitzende habe eine unwahre Erklärung des Inhalts abgegeben, der Senat habe die senatsinterne Geschäftsverteilung für den Monat März 2018 an den Bevollmächtigten im Verfassungsbeschwerdeverfahren nachgesandt. Damit stelle der Senatsvorsitzende die unterlassene Versendung als ein korrigiertes Versehen und damit als eine „unbedeutende Lappalie“ dar. Dies werde den Umständen jedoch nicht gerecht.
Mit angegriffenem Beschluss vom 28. März 2019, der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 908/19 ist, wies der Senat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück, ohne zuvor eine...