Beschluss vom 16.07.2003 - BVerwG 6 VR 10.02

JurisdictionGermany
Judgment Date16 Julio 2003
Neutral CitationBVerwG 6 VR 10.02
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Registration Date22 Enero 2013
Record Number160703B6VR10.02.0

BVerwG 6 VR 10.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. G e r h a r d t und V o r m e i e r
beschlossen:

  1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 31. Juli 2002 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin über die Verwendung seiner Mittel gemäß Ab-
  2. schnitt II.2 dieses Beschlusses zu berichten hat.
  3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Anordnungsverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes im Anordnungsverfahren wird auf 12 500 € festgesetzt.

Gründe

I
Das Bundesministerium des Innern stellte mit Verfügung vom 31. Juli 2002 fest, dass die Tätigkeit des Antragstellers Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange unterstütze, befürworte und hervorrufe, eine Vereinigung außerhalb des Bundesgebiets, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlasse, unterstütze und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Der Antragsteller wurde verboten und aufgelöst. Die Verwendung von Kennzeichen des Antragstellers wurde verboten ebenso die Bildung von Ersatzorganisationen und die Fortführung bestehender Organisationen als Ersatzorganisationen. Das Vermögen des Antragstellers sowie bestimmte Forderungen und Sachen Dritter wurden beschlagnahmt und zu Gunsten der Bundesrepublik Deutschland eingezogen. Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen mit Ausnahme der Vermögenseinziehung wurde angeordnet
Der Antragsteller hat am 30. August 2002 Klage gegen die Verfügung vom 31. Juli 2002 erhoben und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt. Die Antragsgegnerin ist der Klage und dem Antrag entgegengetreten
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen
II
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet. Die Erfolgsaussichten der Klage sind offen. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen und der mit der gerichtlichen Zwischenentscheidung verbundenen Folgen führt zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit einer Maßgabe
1. Der gegenwärtige Sach- und Streitstand erlaubt dem beschließenden Senat auf der Grundlage der in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung keine hinreichende Prognose über den Erfolg der Klage.
a) Die Verfügung vom 31. Juli 2002 ist in erster Linie auf die Verbotstatbestände des § 14 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 VereinsG gestützt. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller Ausländerverein ist. Es spricht Überwiegendes dafür, dass dies der Fall ist. Allerdings ist eine abschließende Beurteilung erst im Hauptsacheverfahren möglich.
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG sind Ausländervereine Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 VereinsG gelten nicht als Ausländervereine Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind. Für die Beantwortung der Frage, ob Ausländer in der Leitung eines Vereins überwiegen, kommt es nicht auf den zahlenmäßigen Anteil der Ausländer im Vorstand, sondern darauf an, ob Ausländer das Vereinsgeschehen von außen oder innen maßgeblich beeinflussen und für den Verein maßgebliche Funktionen ausüben; es kommt auf die "materielle Leitungsfunktion" an (vgl. Beschluss vom 6. September 1995 - BVerwG 1 VR 2.95 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 23 = NVwZ 1997, 68; s. a. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 2000 - BVerfG 1 BvR 1539/94 u.a. - NVwZ 2000, 1281).
Da der Antragsteller nach den Angaben der Beteiligten nicht im Hinblick auf die Struktur und das Wirken seiner Mitglieder als Deutschen- oder als Ausländerverein eingestuft werden kann, kommt es darauf an, wer im Vorstand des Antragstellers die materielle Leitungsfunktion ausübt. Der Vorstand besteht aus dem Jordanier A. als Vorsitzenden, dem Deutschen T. als stellvertretenden Vorsitzenden und dem Belgier E. als Schatzmeister. Die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller werde im Wesentlichen von Herrn A. geleitet, während der Antragsteller vorträgt, die Vorstandsmitglieder wirkten bei der Leitung des Vereins arbeitsteilig zusammen.
Auf die zwischen den Beteiligten strittigen Tatsachenfragen kommt es möglicherweise nicht an. Denn der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 VereinsG spricht dagegen, dass der Gesetzgeber ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union vereinsrechtlich Deutschen vollständig gleichgestellt hat. Vielmehr könnte er aus der Gruppe der Ausländervereine lediglich diejenigen von der Anwendung des § 14 VereinsG ausgenommen haben, die überwiegend von ausländischen EU-Mitgliedstaatsangehörigen gebildet sind ("gelten nicht als Ausländervereine"). Dies würde bedeuten, dass bei der Qualifizierung eines "gemischten" Vereins als Ausländerverein EU-Mitgliedstaatsangehörige und Drittstaatsangehörige gleich zu behandeln sind. Der Antragsteller wäre danach aufgrund seines eigenen Vortrags Ausländerverein, weil die Vorstandsarbeit in arbeitsteiligem Zusammenwirken erledigt wird und die Ausländer im Vorstand in der Mehrzahl sind.
Allerdings erscheint die vorstehende Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 2 VereinsG nicht zwingend. Insbesondere im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, die den Eindruck vermittelt, die ausländischen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollten Deutschen vereinsrechtlich gleichgestellt werden (vgl. BTDrucks 14/7386 S. 49 f.), bedarf sie der Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren. Ist ihr nicht zu folgen, ist aufzuklären, ob die Behauptung der Antragsgegnerin zutrifft, dass die materielle Leitungsfunktion im Wesentlichen von Herrn A. ausgeübt wird. Zwar trifft es nach den dem Senat vorliegenden Asservaten zu, dass im Schriftverkehr nach außen allein Herr A. in Erscheinung getreten ist. Auch hat der Senat - insbesondere im Hinblick auf das Fehlen konkreter Hinweise seitens des Antragstellers - keinen Anlass für die Annahme, dass die Antragsgegnerin, wie vom Antragsteller sinngemäß vorgetragen, nicht sämtliche für die Frage erheblichen Unterlagen ausgewertet und vorgelegt hat. In Betracht zu ziehen ist jedoch, dass die (interne) Geschäftsführung von den Vorstandsmitgliedern gemeinschaftlich wahrgenommen wird. Dagegen spricht insbesondere, dass auf den asservierten "Zahlungswunschformularen" die vorgedruckten Prüf- und Genehmigungsvermerke nicht von den weiteren Vorstandsmitgliedern ausgefüllt worden sind und auch sonst keine schriftlichen Belege für die vom Vorstand gefassten Beschlüsse vorliegen, obwohl dies in § 6 Abs. 5 Satz 3 der Satzung vorgesehen ist. Die Schlüsse, die die Antragsgegnerin namentlich im Schriftsatz vom 2. Juli 2003 aus den Asservaten zieht, haben Gewicht. Über Art und Umfang der Arbeitsteilung im Vorstand kann indes abschließend erst nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und ggf. Einvernahme des Geschäftsführers im Hauptsacheverfahren befunden werden. Soweit der Anmeldung des Antragstellers als Ausländerverein überhaupt die Bedeutung eines Indizes beizumessen ist, kann auf diesen Umstand jedenfalls nicht vor Ausschöpfung der Beweismittel abgestellt werden.
b) Nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand ist offen, ob der Antragsteller den Verbotsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 4 VereinsG erfüllt.
aa) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 VereinsG können Ausländervereine verboten werden, soweit ihr Zweck oder ihre Tätigkeit Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange unterstützt, befürwortet oder hervorrufen soll. Der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/7386 S. 51) ist zunächst zu entnehmen, dass die aufgeführten Handlungen nicht öffentlich erfolgen müssen. Sodann wird ausgeführt, mit diesem Verbotsgrund solle unter anderem das Spendensammeln für Terrorgruppen oder das Rekrutieren von Kämpfern erfasst werden; er werde auch für den Fall einschlägig sein, dass drittstaatsangehörige fundamental-islamistische Imame im Rahmen des Freitagsgebets in einer dem Ausländerverein zurechenbaren Weise das Existenzrecht des Staates Israel bestritten und zur Teilnahme am gewaltsamen Befreiungskampf oder zum Mord an Juden oder US-Amerikanern aufriefen; dabei werde eine eigene positive Stellungnahme des Vereins zur Anwendung von Gewalt vorausgesetzt. Dementsprechend ist der Verbotstatbestand dahin zu verstehen, dass er die gezielte Förderung von Gewaltanwendung betrifft, wobei diese nicht bereits durch bestimmte Aktionen, Aktionsformen oder Akteure konkretisiert sein muss.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbotsgrundes bedürfen voller behördlicher bzw. gerichtlicher Aufklärung. Ein dahin gehender Verdacht genügt nicht. Dem Recht etwa der Nachrichtendienste geläufige Wendungen, die einen Verdacht zum Anknüpfungspunkt staatlichen Handelns machen ("wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme bestehen"), hat der Gesetzgeber nicht benutzt. In der Gesetzesbegründung wird
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