Beschluss vom 16. Juli 2016 - 2 BvR 1614/14
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160716.2bvr161414 |
Date | 16 Julio 2016 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juli 2016 - 2 BvR 1614/14 - Rn. (1-25), |
Judgement Number | 2 BvR 1614/14 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1614/14 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L …, |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Ulrich Mark,
Breslauer Straße 1, 23683 Scharbeutz -
gegen |
a) |
den Beschluss des Amtsgerichts Lübeck |
vom 4. Juni 2014 - 33 C 1132/14 -, |
||
b) |
das Urteil des Amtsgerichts Lübeck |
|
vom 19. Mai 2014 - 33 C 1132/14 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 16. Juli 2016 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 19. Mai 2014 - 33 C 1132/14 - und der Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 4. Juni 2014 - 33 C 1132/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Das Urteil sowie der Beschluss werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Lübeck zurückverwiesen
- Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten
I.
1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung, durch die er zur Zahlung der Kosten einer ärztlichen Behandlung verurteilt worden ist.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens erwirkte zunächst einen Mahnbescheid über die streitige Summe, den das Amtsgericht Schleswig - zentrales Mahngericht - gegen den Beschwerdeführer erließ. Dieser ließ durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch erheben. Das Verfahren wurde sodann gemäß § 696 Abs. 1 und 2 ZPO an das zuständige Amtsgericht Lübeck - Zivilabteilung - abgegeben.
2. Nach dem Eingang der Klagebegründung forderte das Amtsgericht Lübeck den Beschwerdeführer gemäß § 697 Abs. 2, § 276 ZPO auf, eine etwaige Verteidigungsabsicht binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung der Anspruchsbegründung schriftlich anzuzeigen und binnen weiterer zwei Wochen nach Ablauf dieser Notfrist auf das Klagevorbringen gegebenenfalls schriftlich zu erwidern. Es wies darauf hin, dass das Gericht das Verfahren gemäß § 495a ZPO nach billigem Ermessen bestimmen und dass ein Endurteil nach Aktenlage ergehen könne, wenn eine Verteidigungsanzeige nicht fristgerecht eingehe. Die Verfügung des Amtsgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 30. April 2014 persönlich an seiner Wohnanschrift durch Einlegung in den Briefkasten, nicht aber dem aus dem Widerspruchsformular ersichtlichen und auch im Aktenausdruck des Mahngerichts aufgenommenen Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt. Dieser erhielt - anders als die Prozessbevollmächtigte des Klägers - auch keine formlose Abschrift der Verfügung. Zum Zeitpunkt der Zustellung hielt sich der Beschwerdeführer bereits für einen längeren Zeitraum in Thailand auf. Ein nach seinen Angaben bereits bestehender Nachsendeauftrag an die Anschrift seiner Mutter sei offenbar nicht beachtet worden.
3. Da keine Verteidigungsanzeige des Beschwerdeführers eingegangen war, hat das Amtsgericht Lübeck den Beschwerdeführer durch das angegriffene Urteil vom 19. Mai 2014 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO zur Zahlung der im Streit stehenden Summe verurteilt; die Berufung wurde nicht zugelassen. Einwendungen, die dem klägerischen Anspruch entgegenstehen könnten, habe der Beschwerdeführer binnen der gesetzten Frist nicht erhoben, obgleich er auf die möglichen Folgen einer Fristversäumnis hingewiesen worden sei. Das Urteil wurde dem Beklagten am 27. Mai 2014 persönlich - nunmehr an die Anschrift seiner Mutter -, nicht jedoch seinem Prozessbevollmächtigten übermittelt.
4. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 3. Juni 2014 hat der Beschwerdeführer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben und beantragt, den Prozess vor dem Amtsgericht fortzuführen, das Endurteil vom 19. Mai 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Anspruchsbegründung des Klägers und der prozessleitende Beschluss des Gerichts seien ihm nicht wirksam zustellt worden und auch nicht bekannt gewesen. Sein für den Rechtszug bestellter Prozessbevollmächtigter habe entgegen § 172 Abs. 1 ZPO keinerlei Zustellungen erhalten. Er selbst habe sich seit Januar 2014 im Ausland befunden und erst am 27. Mai 2014 Kenntnis von dem ergangenen Urteil erlangt. Nach Fortsetzung des Verfahrens werde er gegen den geltend gemachten Anspruch des Klägers Erfüllung einwenden, da er die Rechnung bezahlt habe.
5. Das Amtsgericht Lübeck wies die Gehörsrüge mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juni 2014, dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 17. Juni 2014 zugestellt, als unbegründet zurück. Dem Beschwerdeführer sei die gerichtliche Verfügung mit Klagebegründung zugestellt worden; dieser habe seinen Auslandsaufenthalt in keiner Weise belegt, noch habe er mit gerichtlichen Schreiben auf Grund des vorangegangenen Mahnverfahrens rechnen müssen.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103...
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