Beschluss vom 18. August 2021 - 2 BvR 27/21
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210818.2bvr002721 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2021 - 2 BvR 27/21 -, Rn. 1-32, |
Judgement Number | 2 BvR 27/21 |
Date | 18 Agosto 2021 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 27/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
gegen |
a) den Beschluss des Kammergerichts |
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vom 14. Dezember 2020 - 2 Ws 166/20 Vollz -, |
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b) den Beschluss des Landgerichts Berlin |
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vom 4. Dezember 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz -, |
||
c) den Beschluss des Landgerichts Berlin |
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vom 14. Oktober 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz - |
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Vizepräsidentin König
und die Richter Müller,
Maidowski
am 18. August 2021 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 - 2 Ws 166/20 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und zur erneuten Entscheidung über die Kosten an das Kammergericht zurückverwiesen
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen
- Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten
Der inhaftierte Beschwerdeführer wendet sich gegen die unterbliebene Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung.
I.
1. Am 14. September 2020 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, wegen starker Rücken- und Beinschmerzen einem Arzt vorgeführt zu werden.
2. Mit Schreiben vom 23. September 2020 beantragte er im Eilverfahren eine umgehende ärztliche Untersuchung und schmerzlindernde Behandlung sowie im Hauptsacheverfahren festzustellen, dass die Nichtbehandlung am 23. September 2020 rechtswidrig gewesen sei. Er sei trotz enormer Schmerzen bereits seit zwei Wochen nicht beim Arzt vorgestellt worden, auch entgegen einer Zusage, am 23. September 2020 einen Arzttermin zu erhalten. Er leide seit Monaten unter Bein- und Rückenschmerzen.
3. Mit Beschluss vom 29. September 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz - gab das Landgericht Berlin dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statt. Der Beschwerdeführer sei umgehend ärztlich zu untersuchen und schmerzlindernd zu behandeln.
4. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 teilte der Beschwerdeführer dem Landgericht mit, dass der Beschluss vom 29. September 2020 am 30. September 2020 vor 9.00 Uhr gefaxt worden, er aber immer noch nicht ärztlich untersucht worden sei. Er beantragte deshalb beim Landgericht unter anderem, der Justizvollzugsanstalt ein Zwangsgeld aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 informierte er das Gericht darüber, dass eine ärztliche Untersuchung weiterhin nicht stattgefunden habe.
5. Die Justizvollzugsanstalt nahm mit Schreiben vom 8. Oktober 2020, das dem Beschwerdeführer zunächst nicht übersandt wurde, Stellung und teilte mit, der Beschwerdeführer habe das Angebot eines Arzttermins am 7. Oktober 2020 abgelehnt.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz -, dem Beschwerdeführer am 27. Oktober 2020 ausgehändigt, wies das Landgericht unter anderem den Antrag vom 23. September 2020 in der Hauptsache und den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds zurück. Der Hauptsacheantrag sei unbegründet, da ein Anspruch auf Vorstellung beim Arzt gerade am 23. September 2020 nicht bestanden habe. Eine aktuelle Krisensituation an diesem Tag sei nicht ersichtlich, zumal der Beschwerdeführer zunächst noch zu seiner Arbeitsstelle gegangen sei. Er sei unstreitig sowohl dem Anstaltsarzt als auch einem Facharzt vorgeführt und es seien eine Schmerz- und eine Physiotherapie angeordnet worden. Der Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds sei unbegründet, weil der Beschwerdeführer mit Schmerzmitteln behandelt werde und sein Anspruch auf Schmerztherapie somit erfüllt sei. Ein Zwangsgeld wegen einer unterlassenen Vorstellung beim Arzt könne das Gericht nicht anordnen. Zunächst wäre dafür eine entsprechende Androhung erforderlich gewesen. Für die Androhung eines Zwangsgelds habe aber kein Anlass bestanden, weil die Justizvollzugsanstalt dem Beschwerdeführer schon früher Arzttermine gewährt, ihn auf die Warteliste gesetzt und ihm nach eigenem Vorbringen am 7. Oktober 2020 einen Arzttermin angeboten habe.
7. Am 30. Oktober 2020 legte der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss ein. Die vom Landgericht in Bezug genommene Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 8. Oktober 2020 sei ihm nicht bekannt, so dass gegen sein Recht auf rechtliches Gehör verstoßen worden sei. Ihm sei am 7. Oktober 2020 kein Arzttermin angeboten worden. Das Landgericht habe die Argumente der Justizvollzugsanstalt ungeprüft übernommen und somit seine Aufklärungspflicht verletzt. Der Beschwerdeführer nehme in Eigenmedikation, also nicht ärztlich verordnet oder überwacht, Schmerzmittel ein. Der Beschluss des Landgerichts widerspreche überdies demjenigen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2020 - 2 BvR 1879/20 -, mit dem das Landgericht im Wege der einstweiligen Anordnung angewiesen worden sei, über seinen Antrag vom 2. Oktober 2020 gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG unverzüglich zu entscheiden. Er beantrage ausdrücklich, seine Anträge vom 2. und vom 9. Oktober 2020 an das Landgericht umgehend zu bescheiden, also der Justizvollzugsanstalt ein Zwangsgeld anzudrohen und festzusetzen, da er nach wie vor keine Arztvorstellung oder...
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