Beschluss vom 20.12.2023 - BVerwG 10 BN 3.23
Jurisdiction | Germany |
Judgment Date | 20 Diciembre 2023 |
Neutral Citation | BVerwG 10 BN 3.23 |
ECLI | DE:BVerwG:2023:201223B10BN3.23.0 |
Citation | BVerwG, Beschluss vom 20.12.2023 - 10 BN 3.23 - |
Record Number | 201223B10BN3.23.0 |
Registration Date | 07 Febrero 2024 |
Subject Matter | Naturschutzrecht und Landschaftsschutzrecht |
Court | Das Bundesverwaltungsgericht |
BVerwG 10 BN 3.23
- OVG Weimar - 07.09.2022 - AZ: 1 N 781/18
In der Normenkontrollsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 7. September 2022 wird zurückgewiesen
- Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt
1 Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Thüringer Verordnung über das Naturschutzgebiet "Winkelberg" - Naturschutzgebietsverordnung -. Die Antragstellerin ist ein Unternehmen, das Gips abbaut. Aufgrund der Naturschutzgebietsverordnung ist der Abbau mineralischer Rohstoffe verboten. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin abgelehnt und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
2 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
4 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
5 Diesen Maßgaben genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
6 a) Die Frage
"Führen die Unterschiede der Schutzregime Natura 2000 und Naturschutzgebiet (§ 23 BNatSchG) dazu, dass es regelmäßig einer differenzierten Ausgestaltung der Ver- und Gebote und Ausgleichsregelungen einer Schutzgebietsverordnung bedarf, um den rechtlichen Anforderungen der Art. 4 und 6 der FFH-Richtlinie i. V. m. § 32 Abs. 2 und 3 BNatSchG und dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einerseits und den rechtlichen Anforderungen der §§ 20 Abs. 2, 22 Abs. 1, 23 BNatSchG und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit andererseits zu genügen, wenn mit der Schutzgebietsverordnung räumlich deckungsgleich sowohl nationale Schutzzwecke als auch gemeinschaftsrechtliche Schutzzwecke verfolgt werden?"
verleiht der Sache keine grundsätzliche Bedeutung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass im Bundesrecht für Natura 2000-Gebiete keine eigene Schutzkategorie geschaffen worden ist.
7 aa) Die Wahl der Form und des Mittels zur Erfüllung der Schutzverpflichtung gemäß Art. 4 Abs. 4 FFH-RL, ein aufgrund des in Art. 4 Abs. 2 FFH-RL genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnetes Gebiet so schnell wie möglich als besonderes Schutzgebiet auszuweisen, ist den Mitgliedstaaten überlassen (Art. 288 Abs. 3 AEUV). In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die Unterschutzstellung nach Maßgabe des § 32 Abs. 2 bis 4 BNatSchG. Dabei trifft § 32 Abs. 2 BNatSchG die grundlegende Entscheidung, dass trotz der besonderen europarechtlichen Schutzanforderungen für Natura 2000-Gebiete keine neue Schutzkategorie geschaffen wird, sondern die bestehenden Schutzkategorien nach § 20 Abs. 2 i. V. m. §§ 22 ff. BNatSchG zu verwenden sind. Die Unterschutzstellung erfolgt daher gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG durch Erklärung der gelisteten Gebiete zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft, regelmäßig in der Form der Rechtsverordnung (BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2017 - 4 CN 8.16 - Buchholz 406.403 § 29 BNatSchG 2010 Nr. 1 Rn. 14 f.).
8 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenso geklärt, dass es erforderlich sein kann, für die einzelnen Teilflächen eines Natura 2000-Gebiets räumlich nebeneinander unterschiedliche Schutzregime vorzusehen. Die Wahl einer der in § 20 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 BNatSchG bereitgestellten Schutzkategorien hängt davon ab, ob im konkreten Fall die in §§ 23 bis 29 BNatSchG normierten Voraussetzungen für eine Unterschutzstellung vorliegen. Das kann es erforderlich machen, ein nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL gelistetes Gebiet in Teilbereichen unterschiedlichen Schutzregimen zu unterwerfen, weil sich das Gebiet keiner Schutzkategorie in der Gänze zuordnen lässt und nur so die Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 4 FFH-RL insgesamt erfüllt werden kann (BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2017 - 4 CN 8.16 - Buchholz 406.403 § 29 BNatSchG 2010 Nr. 1 Rn. 16).
9 bb) Soweit die Antragstellerin Klärungsbedarf aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Januar 2021 (- 4 BN 41.20 -) ableiten will, gelingt ihr dies nicht. Der Vorbehalt spezieller Vorschriften (vgl. § 32 Abs. 2 und 4 BNatSchG) weist nicht auf grundsätzliche Fragen hin. Die Beschwerde legt anderes auch nicht hinreichend dar.
10 cc) Soweit die Antragstellerin bemängelt, dass über das Schutzregime Natura 2000 hinausgehende nationale Regelungen und Verbote für das streitgegenständliche Schutzgebiet nicht durch sonstige nationale Schutzgüter gerechtfertigt seien, weil Letztere nicht in den Schutzzweck der angegriffenen Verordnung aufgenommen worden seien, rügt sie eine fehlerhafte Handhabung. Dies kann die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht belegen. Die konkrete Ausgestaltung der Ge- und Verbote und Ausgleichsregelungen einer Schutzgebietsverordnung gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz und der FFH-Richtlinie sind Gegenstand des jeweiligen Einzelfalls und entziehen sich einer grundsätzlichen Betrachtung. Dies gilt auch für den Einfluss des Unionsrechts, insbesondere bei der Umsetzung der Vorgaben aus Art. 4 und 6 der FFH-Richtlinie i. V. m. dem Bundesnaturschutzgesetz und bei der Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei einer räumlichen Überlagerung unterschiedlicher Schutzzwecke und zugehöriger unterschiedlicher Schutzregime.
11 b) Auch die Frage
"Ist es mit Art. 4 und 6 der FFH-Richtlinie und mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie mit dem Anwendungs- und Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vereinbar, dass eine Schutzgebietsverordnung, die auch der nationalen Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten dienen soll, für bestimmte Projekte gänzlich auf eine Ausgleichsregelung in Gestalt einer Ausnahme/Abweichung entsprechend Art. 6 Abs. 3 bis 4 der FFH-Richtlinie und §§ 33 Abs. 1, 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG verzichtet und nur das Instrument Befreiung nach § 67 BNatSchG vorsieht?"
führt nicht zur Zulassung der Revision. Ob es wegen der Ausnahmeregelung im gemeinschaftsrechtlichen Habitatrecht (§ 33 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG) eine entsprechende Ausnahme in der streitgegenständlichen Naturschutzgebietsverordnung bedarf, lässt sich nur im jeweiligen Einzelfall beantworten. Eine generelle Klärung, wie von der Beschwerde verlangt, ist nicht möglich.
12 Die streitgegenständliche Thüringer Verordnung über das Naturschutzgebiet "Winkelberg" - Naturschutzgebietsverordnung - vom 11. Oktober 2018 (Thüringer Staatsanzeiger S. 322) sieht in § 4 Ausnahmen von den Verboten der Schutzgebietsverordnung vor. Dass in der Verordnung, wie die Antragstellerin moniert, keine Ausnahme vom Verbot des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, mineralische Rohstoffe oder Bodenbestandteile ober- oder unterirdisch abzubauen, enthalten ist, weist nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Sache hin, sondern betrifft die Frage, ob die Verordnung rechtmäßige Regelungen enthält.
13 c) Die Frage
"Ist eine Schutzgebietsverordnung nach § 32 Abs. 2 und 3 BNatSchG, die auch der nationalen Unterschutzstellung eines Natura 2000-Gebietes dienen soll, dafür erforderlich im Sinn des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wenn bereits eine sog. Grundschutzverordnung (hier: Thüringer Natura 2000-Erhaltungsziele-Verordnung) im Sinne von § 32 Abs. 4 BNatSchG (n. F.) bzw. identisch § 33 Abs. 4 BNatSchG (a. F. 2002) mit Regelungen zur Gebietsbezeichnung, zu den Gebietsgrenzen und zu den Erhaltungszielen existiert und parallel weiterhin Geltung beansprucht sowie für sog. Nichtprojekte und Projekte im Sinn der FFH-Richtlinie ohnehin die gesetzliche Zulässigkeitsschranke der §§ 31 Abs. 1, 34 BNatSchG gilt?"
zeigt gleichfalls die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht auf.
14 Wiederum betrifft die Frage nicht die grundsätzliche Bedeutung der Sache, sondern eine Frage des Einzelfalls. Die Antragstellerin stellt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Naturschutzgebietsverordnung vor dem Hintergrund der Thüringer Natura...
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