Beschluss vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 3084/06
Court | Bundesverfassungsgericht (Deutschland) |
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2007:rk20070720.1bvr308406 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 3084/06 - Rn. (1-29), |
Date | 20 t 2007 |
Judgement Number | 1 BvR 3084/06 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3084/06 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau B...,
Uerdinger Straße 267, 47800 Krefeld -
gegen a) | das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. November 2006 - II-4 UF 68/06 -, |
b) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Oktober 2006 - II-4 UF 68/06 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und den Richter Hoffmann-Riem
am 20. Juli 2007 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Oktober 2006 - II-4 UF 68/06 - und das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. November 2006 - II-4 UF 68/06 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Beide Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, dass die von ihr in einem Unterhaltsprozess abgelehnten Richter selbst über die Befangenheitsanträge der Beschwerdeführerin entschieden haben.
1. Die Beschwerdeführerin klagte gegen ihren inzwischen geschiedenen Ehemann auf rückständigen und laufenden Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht Krefeld sprach ihr durch Urteil vom 10. Februar 2006 einen laufenden monatlichen Unterhalt beginnend ab Februar 2006 zu und wies die weitergehende Klage ab. Beide Eheleute beantragten Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil. Die Beschwerdeführerin erstrebte damit einen höheren Unterhalt und die Zuerkennung von Unterhaltsrückständen. Der geschiedene Ehemann machte mit seiner Berufung geltend, dass die Ehe bereits am 19. Januar 2006 rechtskräftig geschieden worden sei, weshalb kein Trennungsunterhalt für den danach liegenden Zeitraum hätte zugesprochen werden dürfen. Mit Beschluss vom 26. April 2006 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf beide Prozesskostenhilfeanträge zurück. Die Rechtsverfolgung des Ehemannes sei mutwillig, da diesem zur Behebung des Rechtsfehlers ein einfacherer Weg zur Verfügung stehe. Er habe zur Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung einen Antrag auf Berichtigung des Tenors stellen können. Der Beschwerdeführerin könne mangels Bedürftigkeit keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Sie sei nach dem Tod ihrer Mutter Miterbin zu einem Drittel eines Hausgrundstücks, welches sie nicht selbst bewohne.
2. In dem sodann beiderseits ohne Prozesskostenhilfe durchgeführten Berufungsverfahren berichtigte das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 17. August 2006 den Tenor des amtsgerichtlichen Urteils dahingehend, dass die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen wurde. Dem Ehemann wurde zur Verteidigung gegen die Berufung der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Beschwerdeführerin wurde darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils sei gemäß § 319 ZPO zu berichtigen. Das Amtsgericht habe nur den streitbefangenen Trennungsunterhalt zusprechen wollen, dabei aber übersehen, dass die Ehe bereits geschieden gewesen sei. Dies begründe eine offenbare Unrichtigkeit des Tenors, weshalb der Senat im Berufungsverfahren die Berichtigung vornehmen könne. Dem Ehemann sei Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung zu bewilligen, weil er trotz der Miteigentümerstellung an einem ererbten Grundstück nicht in der Lage sei, die Prozesskosten zu tragen. Das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin habe weder grundsätzliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg. Ihre Berufung genüge soeben noch den Begründungserfordernissen. Zwar erfülle ihr Rechtsmittelvortrag ebenso wie ihr erstinstanzliches Vorbringen nicht einmal die Mindestanforderungen an eine schlüssige Unterhaltsklage. Da das Amtsgericht sich hierdurch aber nicht an einer Unterhaltsberechnung gehindert gesehen habe, könne die Zulässigkeit der Berufung nicht verneint werden. Dasselbe gelte, soweit sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin in einer weitgehenden Wiederholung erstinstanzlichen Prozessvortrags oder Bezugnahme hierauf sowie der Beifügung längst aktenkundiger erstinstanzlicher Schriftsätze erschöpfe, weil die Berufungsbegründung immerhin spurenweise eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der angegriffenen Entscheidung erkennen lasse. Auf deren Haltlosigkeit komme es nicht an. Der Senat betrachte es allerdings als Zumutung, wenn eine Unterhaltsklage ohne jede nachvollziehbare Darlegung der errechneten Rente unter Berufung auf einen vorgerichtlichen Schriftsatz begründet, sodann mit der Berufung die dort eingestellten Positionen als bloße Schätzung disqualifiziert und abschließend der selbe Schriftsatz dann wieder als Begründung für das unverändert aufrechterhaltene Zahlungsbegehren ins Feld geführt werde. Dies gelte um so mehr, als die Berufungsbegründung nicht einmal eine nachvollziehbare Berechnung der weiter verfolgten Rückstände enthalte und es offenbar dem Rätselraten des Senats überlassen bleiben solle, für welche Monate noch welche offenen Beträge geltend gemacht werden sollten. In der Sache seien die Berufungsangriffe der Beschwerdeführerin ebenso haltlos wie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie zeugten zudem von einem grundsätzlichen Fehlverständnis von Vortragsobliegenheiten und gerichtlichen Aufklärungspflichten im Unterhaltsprozess. Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit der vom Ehemann vorgelegten Gewinnermittlungen seien nicht ersichtlich. Es errechne sich bereits bei kursorischer Ermittlung eine Unterhaltsforderung der Beschwerdeführerin, die deutlich niedriger sei als die vom Ehemann tatsächlich geleisteten Beträge.
Die Beschwerdeführerin wechselte sodann ihren Prozessbevollmächtigten und nahm die Berufung zurück. Der Ehemann erklärte den Rechtsstreit aufgrund der Berichtigung des amtsgerichtlichen Urteils für erledigt und beantragte, der Beschwerdeführerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beschwerdeführerin schloss sich der Erledigungserklärung des Ehemannes nicht an und berief sich darauf, das Rechtsmittel der Berufung des Ehemannes sei von vornherein unzulässig gewesen. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 bewilligte das Oberlandesgericht dem Ehemann Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf Feststellung der Erledigung seiner Berufung.
3. Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2006...
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