BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2072/10 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…
Waisenstraße 13, 09111 Chemnitz -
gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juli 2010 - 2 Ss-OWi 527/10 -, |
b) | das Urteil des Amtsgerichts Friedberg vom 17. Mai 2010 - 45 a OWi - 204 Js 20229/09 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Mellinghoff,
die Richterin Lübbe-Wolff
und den Richter Huber
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. Mai 2011 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbotes für eine Videoaufzeichnung in einem Bußgeldverfahren wegen Unterschreitens des erforderlichen Abstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 21. April 2009 auf der Bundesautobahn A 5 dabei gefilmt, als er bei einer Geschwindigkeit von 145 km/h den erforderlichen Abstand von 60,40 m unterschritt. Das Regierungspräsidium Kassel erließ gegen den Beschwerdeführer einen Bußgeldbescheid, setzte eine Geldbuße in Höhe von 100,- € fest und ordnete die Eintragung von zwei Punkten im Verkehrszentralregister an. Den dagegen gerichteten Einspruch begründete der Beschwerdeführer damit, er sei nicht als Fahrer zu identifizieren. Am 3. September 2009 beantragte der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers, das Verfahren aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009 - 2 BvR 941/08 - einzustellen.
2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer am 17. Mai 2010 zu einer Geldbuße in Höhe von 100,- € wegen fahrlässigen Unterschreitens des erforderlichen Abstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Abstand lediglich 30 Meter und damit weniger als 5/10 des halben Tachowertes betragen habe. Bei der Geschwindigkeitsmessung seien am Tatort zur Tatzeit mit einer stationären Videokamera (Typ VKS 1.0 der Fa. Vidit GmbH, Herdecke) zunächst verdachtsunabhängige Videoaufnahmen gefertigt und später analysiert worden. Der konkrete Abstandsverstoß stehe aufgrund der Inaugenscheinnahme des Messvideos fest. Zwar handele es sich bei der verdachtsunabhängigen Überwachung des Straßenverkehrs unter Zuhilfenahme von Videoaufnahmen um einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Fahrer, für die es - wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 11. August 2009 (2 BvR 941/08) dargelegt habe - derzeit keine Ermächtigungsgrundlage gebe.
Aus dem Beweiserhebungsverbot folge jedoch kein Beweisverwertungsverbot. Im zu entscheidenden Fall würden Besonderheiten vorliegen, die das Gewicht des Verstoßes gegen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG so weitgehend minderten, dass dem im Rechtsstaat wichtigen Allgemeininteresse an der Aufklärung und gerechten Ahndung der Tat beziehungsweise dem Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrsvorschriften der Vorrang im Sinne der Verwertbarkeit der Beweise zukommen müsse. Bei der Abwägung der Güter - einerseits informationelles Selbstbestimmungsrecht, andererseits Unversehrtheit von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer - müsse die Unversehrtheit von Leib und Leben Vorrang haben. Zu einer funktionstüchtigen Rechtspflege gehöre insbesondere auch, gravierende Geschwindigkeits- oder Abstandsüberschreitungen, die eine erhebliche Gefährdung für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer bedeuteten, zu ermitteln und zu sanktionieren. Im Rahmen der Abwägung sei zu beachten, dass der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die mit der Messung gewonnenen Aufzeichnungen von vergleichsweise geringer Intensität gewesen sei. Die Videoaufzeichnung sei auf einer Strecke von etwa 300 Metern erfolgt, wobei der Fahrzeugführer lediglich auf einer Strecke von zehn Metern individualisiert werden könne. Bei der an der Messstelle erlaubten Geschwindigkeit von 100 km/h sei der Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf den Bruchteil einer Sekunde begrenzt. Dabei verkenne das Gericht nicht, dass es die Aufzeichnung gerade ermögliche, den Film anzuhalten und das so gewonnene Standbild aufzubereiten und zu analysieren. Der in dieser Weise aufgezeichnete und festgehaltene Lebensvorgang sei jedoch derart kurz, dass die hierdurch verletzten Belange des Beschwerdeführers hinter den Interessen der Allgemeinheit zurückträten. Dies gelte auch deshalb, weil die aufgezeichneten Daten nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung des Beschwerdeführers oder dessen enge Privatsphäre beträfen. Vielmehr setze sich der Beschwerdeführer durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei und Ordnungsbehörden aus, so dass der verfahrensgegenständliche Verstoß ohne weiteres durch eine...