BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 928/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
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des Herrn A…, |
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des Herrn A…, |
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des Herrn C…, |
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des Herrn G…, |
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des Herrn H…, |
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der Frau M…, |
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7. |
der Frau D…, |
- Bevollmächtigte:
- … -
gegen |
das in § 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 802) enthaltene Verbot der Öffnung von Theatern, Opern und Konzerthäusern und entsprechender Veranstaltungen („Kulturveranstaltungsverbot“) |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Paulus,
Christ
und die Richterin Härtel
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 20. Mai 2021 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG)
I.
Die Beschwerdeführenden sind Interpretinnen und Interpreten klassischer Musik von Weltruf. Sie wenden sich gegen die in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl I S. 802) enthaltene Untersagung der Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie entsprechender Veranstaltungen. Sie rügen die Verletzung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und des Gleichheitsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) und beantragen zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte zuvor einen Antrag von Mitgliedern der Initiative „Aufstehen für die Kunst“, der auch die Beschwerdeführenden angehören, abgelehnt, durch Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Normenkontrollklage Regelungen der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. April 2021 - 20 NE 21.919 -).
1. Die angegriffene Regelung hat folgenden Wortlaut:
§ 28b IfSG
Bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei besonderem Infektionsgeschehen, Verordnungsermächtigung
(1) 1 Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die durch das Robert Koch-Institut veröffentlichte Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) den Schwellenwert von 100, so gelten dort ab dem übernächsten Tag die folgenden Maßnahmen:
[…]
5. die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie entsprechende Veranstaltungen sind untersagt; dies gilt auch für Kinos mit Ausnahme von Autokinos; die Außenbereiche von zoologischen und botanischen Gärten dürfen geöffnet werden, wenn angemessene Schutz- und Hygienekonzepte eingehalten werden und durch die Besucherin oder den Besucher, ausgenommen Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ein negatives Ergebnis einer innerhalb von 24 Stunden vor Beginn des Besuchs mittels eines anerkannten Tests durchgeführten Testung auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgelegt wird; […]
Die Gesetzesbegründung (BTDrucks 19/28444, S. 13) führt dazu unter anderem aus:
„Die Schließung von Kultureinrichtungen dient der derzeit notwendigen Kontaktreduzierung, da andernfalls das Infektionsgeschehen droht, außer Kontrolle zu geraten. …“
2. a) Die Beschwerdeführenden tragen zur Begründung vor, sie seien durch das „Kulturveranstaltungsverbot“ dadurch in der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt, dass sie in den nächsten Wochen und Monaten keine Konzerte und Aufführungen im gesamten Bundesgebiet geben könnten. Dies komme einem Kunstausübungsverbot gleich. Kunst erfordere Publikum, da sie auf eine geistige Interaktion mit dem Publikum gerichtet sei. Ziel der Musik sei gerade, durch die Interpretation bestimmter Werke eine künstlerische Botschaft an die Zuhörer zu senden, um dadurch Spannung im Publikum aufzubauen. Dieser Aspekt gehöre zum Kern des geschützten Wirkbereichs der Kunstfreiheit. Für ausübende Künstler wie die Beschwerdeführenden sei die Aufführung von Kunst vor Publikum der maßgebliche Bestandteil ihrer künstlerischen Tätigkeit und letztlich ihrer Grundrechtsausübung.
Die alleinige Anknüpfung an den Inzidenzwert als Tatbestandsvoraussetzung für das „Kulturveranstaltungsverbot“ in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lfSG sei im Hinblick auf die fehlende Aussage zu der tatsächlichen Infektionsgefahr ungeeignet. Pauschale „Kulturveranstaltungsverbote“ seien zur Verhinderung der Verbreitung von COVlD-19 nicht erforderlich und unangemessen. Für Kulturveranstaltungen, die in modern belüfteten Veranstaltungsstätten durchgeführt würden, lägen mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, die allesamt zu dem Ergebnis kämen, dass ein signifikantes lnfektionsrisiko bei Einhaltung von Hygiene- und Schutzkonzepten nicht festgestellt werden könne.
Die Beeinträchtigung der Kunstfreiheit könne nicht allein durch das abstrakte Ziel des Schutzes von Leben und Gesundheit pauschal gerechtfertigt werden. Vielmehr sei der konkrete Beitrag, den die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels Ieisteten, mit den konkreten Freiheitseinbußen ins Verhältnis zu setzen. Der Inzidenzwert enthalte keine Aussage darüber, wie das Infektionsgeschehen im Konzertsaal oder Opernhaus tatsächlich sei und welche konkreten Gefahren von der Durchführung von Kulturveranstaltungen ausgingen. Ein bloßes Streaming von Kunstveranstaltungen könne den unmittelbaren Austausch der Künstler mit dem Publikum nicht kompensieren. Konzerte, Opern oder sonstige Aufführungen könnten in einer bestimmten Besetzung nicht einfach nachgeholt werden.
In vergleichbaren Konkordanz-Situationen wie zum Beispiel der Religionsfreiheit oder im Bereich wirtschaftlicher Betätigung habe der Gesetzgeber Regelungen getroffen, die zwar zu erheblichen Einschränkungen führten, die aber einem gegenseitigen Ausgleich der Betroffenheiten zu dienen bestimmt seien. Im Bereich der nur verfassungsunmittelbar einschränkbaren Kunstfreiheit nehme der Gesetzgeber dagegen eine einseitige Bevorzugung eines Grundrechts unter Zurückdrängung des anderen Grundrechts vor, obwohl von der grundrechtlich geschützten künstlerischen Tätigkeit keine spezifische Gefahr ausgehe.
b) Das verstoße auch gegen das Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Trotz ihrer Gleichartigkeit würden Gottesdienste in § 28b Abs. 4 IfSG ohne sachlichen Grund privilegiert. Die Annahme, der Besuch von Kulturveranstaltungen würde im Vergleich zum Besuch von Gottesdiensten eine erhöhte Infektionsgefahr aufweisen, sei durch nichts belegt.
c) Die ausübende Kunstszene liege faktisch seit über einem halben Jahr vollständig brach, tausende Musiker unterlägen einem faktischen „Kunstausübungsverbot“. Die Verlängerung des jetzigen Zustands, der nunmehr bereits seit November 2020 andauere, um weitere zwei Monate sei wegen Reichweite, Dauer und Absolutheit des „Kulturveranstaltungsverbots“ für die...