Beschluss vom 21. August 2024 - 1 BvR 2106/22
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240821.1bvr210622 |
Judgement Number | 1 BvR 2106/22 |
Date | 21 August 2024 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. August 2024 - 1 BvR 2106/22 -, Rn. 1-25, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2106/22 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
der Frau (…), |
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2. |
der Frau (…), |
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3. |
der Frau (…), |
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4. |
der Frau (…), |
- Bevollmächtigte:
-
(…) -
gegen |
§ 3 Absatz 2 bis 4 des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (MuSchG) vom 23. Mai 2017 (Bundesgesetzblatt I, Seite 1228), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt I, Seite 2652) |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Härtel
und den Richter Eifert
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 21. August 2024 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz – MuSchG), zuletzt geändert durch Art. 57 Abs. 8 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12. Dezember 2019 (BGBl I S. 2652 <2721>). § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 MuSchG traten in der Fassung vom 23. Mai 2017 durch Art. 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts (BGBl I S. 1228 <1244>) zum 1. Januar 2018 in Kraft. Sie lauten wie folgt:
§ 3 Schutzfristen vor und nach der Entbindung
(1) 1 Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist vor der Entbindung), soweit sie sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. 2 Sie kann die Erklärung nach Satz 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. 3 Für die Berechnung der Schutzfrist vor der Entbindung ist der voraussichtliche Tag der Entbindung maßgeblich, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt. 4 Entbindet eine Frau nicht am voraussichtlichen Tag, verkürzt oder verlängert sich die Schutzfrist vor der Entbindung entsprechend.
(2) 1 Der Arbeitgeber darf eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist nach der Entbindung). 2 Die Schutzfrist nach der Entbindung verlängert sich auf zwölf Wochen
1. bei Frühgeburten,
2. bei Mehrlingsgeburten und,
3. wenn vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt wird. 3 Bei vorzeitiger Entbindung verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nach Satz 1 oder nach Satz 2 um den Zeitraum der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung nach Absatz 1 Satz 4. 4 Nach Satz 2 Nummer 3 verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nur, wenn die Frau dies beantragt.
(3) 1 Die Ausbildungsstelle darf eine Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 bereits in der Schutzfrist nach der Entbindung im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen, wenn die Frau dies ausdrücklich gegenüber ihrer Ausbildungsstelle verlangt. 2 Die Frau kann ihre Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.
(4) 1 Der Arbeitgeber darf eine Frau nach dem Tod ihres Kindes bereits nach Ablauf der ersten zwei Wochen nach der Entbindung beschäftigen, wenn
1. die Frau dies ausdrücklich verlangt und
2. nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht.
2 Sie kann ihre Erklärung nach Satz 1 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.
Die Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 4. sind angestellte beziehungsweise verbeamtete Frauen, deren Schwangerschaften zwischen August 2019 und Februar 2022 jeweils nach der 12., aber vor der 24. Schwangerschaftswoche endeten. Sie ließen sich infolge der erlittenen Fehlgeburten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen und blieben der Arbeit fern.
Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass die angegriffenen Regelungen mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 GG unvereinbar seien. Schwangere Frauen, die zwischen der 12. und der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt mit einem weniger als 500 Gramm schweren Kind erlitten, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen wie Entbindende zu behandeln, die in den Anwendungsbereich der angegriffenen Regelungen fielen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG), da sie unzulässig ist.
1. Soweit sich die Rechtssatzverfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 4. gegen § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 MuSchG richtet, ist sie bereits verfristet.
a) Nach § 93 Abs. 3 Alt. 1 BVerfGG kann eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Norm richtet, nur binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Das Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz – MuSchG) wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts am 23. Mai 2017 verkündet und ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 – vorbehaltlich der Sätze 2 und 3 – am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Die Frist aus § 93 Abs. 3 Alt. 1 BVerfGG endete folglich mit Ablauf des 31. Dezember 2018 und war bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde am 4. November 2022 abgelaufen.
b) Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist auch keine andere Bewertung deshalb geboten, weil die Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 4. die Fehlgeburten erst im Zeitraum August 2019 bis Februar 2022 erlitten haben. Für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt der erstmaligen Beschwer durch eine Norm grundsätzlich unerheblich (vgl. BVerfGE 23, 153 <164>; 30, 112 <126>). Bei der Jahresfrist des § 93 Abs. 3...
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