Beschluss vom 21. September 2024 - 1 BvQ 57/24
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:qk20240921.1bvq005724 |
Judgement Number | 1 BvQ 57/24 |
Date | 21 September 2024 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. September 2024 - 1 BvQ 57/24 -, Rn. 1-22, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvQ 57/24 -
über den Antrag,
im Wege der einstweiligen Anordnung
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg |
Antragsteller: |
Rundfunk Berlin-Brandenburg Anstalt des öffentlichen Rechts, (...) |
- Bevollmächtigter:
- (...)
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Härtel
und den Richter Eifert
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 21. September 2024 einstimmig beschlossen:
- Die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. September 2024 - OVG 3 S 109/24 - wird bis zu einer Entscheidung über eine erhobene Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten ausgesetzt.
A.
Der Antragsteller als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wendet sich gegen den oberverwaltungsgerichtlichen Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der er verpflichtet worden ist, in seinen Ergebnispräsentationen zu der am 22. September 2024 in Brandenburg stattfindenden Landtagswahl unter bestimmten Voraussetzungen Wahlergebnisse der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) in seinem Landesfernsehprogramm auszuweisen.
I.
1. Der Landesverband Brandenburg der Tierschutzpartei beantragte beim Verwaltungsgericht Berlin am 28. August 2024 den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit ihr sollte der Antragsteller verpflichtet werden, in allen Ergebnispräsentationen zur brandenburgischen Landtagswahl in seinem Landesfernsehprogramm am 22. und 23. September 2024 die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse des Antragstellers auszuweisen, sofern er gemäß der jeweils präsentierten Prognose beziehungsweise Hochrechnung beziehungsweise dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mindestens zwei Prozent erreicht und dadurch insgesamt nicht mehr als zehn Landeslisten gesondert ausgewiesen werden müssen.
Zur Begründung verwies die Tierschutzpartei unter anderem auf die Chancengleichheit der Parteien außerhalb von Wahlkampfzeiten. Die Mobilisierung von neuen Mitgliedern und Spenden sei von Verfassungs wegen geschützt, während eine Sperrklausel allein der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments diene. Der Staat sei verpflichtet, den negativen Effekt der Sperrklausel auf kleine Parteien aktiv auszugleichen. Der Rundfunk sei verpflichtet, bedeutende Meinungen in seiner Berichterstattung zu berücksichtigen. Bedeutsam seien auch Parteien, die nicht über die Sperrklausel gekommen seien. Die Nachwahlberichterstattung sei dazu geeignet, die zukünftigen Chancen der Parteien zu beeinflussen. Für das Offenhalten einer kurzfristigen Anpassung des redaktionellen Konzepts könne sich der Antragsteller nicht pauschal auf seine Rundfunkfreiheit beziehen. Eine Anpassung nach den ersten Hochrechnungen indiziere eine Ergebnisabhängigkeit des redaktionellen Vorgehens, das weder mit dem Anspruch auf Chancengleichheit der Tierschutzpartei noch mit ihrem Anspruch auf willkürfreie Entscheidung in Einklang zu bringen sei. Ein Eingriff in die publizistische Freiheit des Antragstellers verkürze diese nicht dauerhaft. Ohnehin bestehe bei der Präsentation von Prognosen und Hochrechnungen ein deutlich geringerer Gestaltungsspielraum.
2. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte den Antrag mit Beschluss vom 10. September 2024 - VG 2 L 119/24 - ab. Der Anordnungsanspruch ergebe sich weder aus § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG noch aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG. Der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit sei allenfalls in geringem Maße berührt, wenn der Antragsteller nach seinem Konzept das (voraussichtliche) Wahlergebnis der Tierschutzpartei erst ab einem Wert von drei Prozent gesondert ausweise. Selbst wenn der Tierschutzpartei ein Ergebnis von mindestens zwei Prozent gelingen sollte, seien die Auswirkungen einer unterbleibenden Nennung in der Nachwahlberichterstattung auf die erst in fünf Jahren anstehenden Landtagswahlen nicht greifbar. Dass das Fernsehpublikum das Ergebnis in Erinnerung behalte, sei eher fernliegend. Die Benachteiligung beim Einwerben von Spenden und Mitgliedsbeiträgen stelle eine bloße Vermutung dar. Der Eingriff in die Programmgestaltung berühre sie umgekehrt nur in einem Randbereich und ihm komme nur ein geringes Gewicht zu. Praktische Schwierigkeiten zur technischen Umsetzung der Darstellung des (voraussichtlichen) Wahlergebnisses seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Allerdings berufe sich der Antragsteller mit Erfolg auf die redaktionelle Ausgestaltung seines Sendekonzepts, grundsätzlich nur über mandatsrelevante Aspekte zu berichten beziehungsweise auf Ergebnisse reagieren zu können, die nach seiner redaktionellen Vorstellung von öffentlichem Interesse seien. Die von der Tierschutzpartei erstrebte Ergebnisdarstellung verlagere den Fokus der Nachwahlberichterstattung und schränke die vom Sendekonzept angestrebte Flexibilität ein. Zu denken sei an das Erreichen eines Wahlergebnisses über zwei Prozent von zehn der 14 zur Wahl stehenden Landeslisten. Die damit erforderlichen Ergebnisauswertungen führten zur Verschiebung des redaktionellen Fokus. Im Übrigen sei dem Anspruch auf Chancengleichheit unter Berücksichtigung des wahlbezogenen Gesamtprogramms des Antragstellers genüge getan, wofür auch sein Internetauftritt zu berücksichtigen sei.
3. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts änderte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit seinem Beschluss vom 18. September 2024 - OVG 3 S 109/24 - ab. Es verpflichtete den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung, in allen Ergebnispräsentationen zur brandenburgischen Landtagswahl in seinem Landesfernsehprogramm am 22. und 23. September 2024 die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse des Antragstellers auszuweisen, sofern er gemäß der jeweils präsentierten Prognose beziehungsweise Hochrechnung beziehungsweise dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mindestens zwei Prozent erreicht und dadurch insgesamt nicht mehr als zehn Landeslisten gesondert ausgewiesen werden müssen.
Zur Begründung führte das...
Um weiterzulesen
FORDERN SIE IHR PROBEABO AN