Beschluss vom 23. Juni 2021 - 2 BvR 2216/20
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rs20210623.2bvr221620 |
Judgement Number | 2 BvR 2216/20 |
Date | 23 Junio 2021 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Juni 2021 - 2 BvR 2216/20 -, Rn. 1-81, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2216/20 -
- 2 BvR 2217/20 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. |
1. des Herrn Dr. W…, |
|
2. |
der N… GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Dr. W…, |
|
3. |
des F… e.V., vertreten durch den Vorstand H…, |
- Bevollmächtigte:
- … -
gegen |
Artikel 1 und Artikel 3 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (Beschluss des Bundestages vom 26. November 2020, Plenarprotokoll 19/195 S. 24661 |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 2216/20 -,
II. |
des Herrn Dr. S…, |
gegen |
Artikel 1 und Artikel 3 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (Beschluss des Bundestages vom 26. November 2020, Plenarprotokoll 19/195 S. 24677 |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 2217/20 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein
am 23. Juni 2021 beschlossen:
- Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden zurückgewiesen.
A.
I.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden und Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen das am 18. Dezember 2020 zustande gekommene Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: EPGÜ-ZustG II; vgl. BTDrucks 19/22847; BRDrucks 448/20), mit dem die Voraussetzungen für die Ratifikation des genannten Übereinkommens geschaffen werden sollen.
1. Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: Übereinkommen – EPGÜ; vgl. ABl EU Nr. C 175 vom 20. Juni 2013, S. 1 ff.) ist Teil eines umfassenderen europäischen Regelungspakets zum Patentrecht, dessen Kern die Einführung eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung als neues Schutzrecht auf der Ebene der Europäischen Union ist, und welches im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 20 EUV, Art. 326 ff. AEUV (vgl. BTDrucks 19/22847, S. 82) beschlossen wurde. Das Übereinkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Vertragsmitgliedstaaten; vgl. Art. 2 Buchstaben b und c EPGÜ) und steht ausschließlich Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen (vgl. Art. 84 Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. Art. 2 Buchstabe b EPGÜ). Mit ihm soll ein von der Mehrheit der Mitgliedstaaten getragenes Einheitliches Patentgericht (EPG) errichtet werden. Zu dem Regelungspaket gehören ferner die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (vgl. ABl EU Nr. L 361 vom 31. Dezember 2012, S. 1; Nr. L 307 vom 28. Oktober 2014, S. 83) sowie die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen (vgl. ABl EU Nr. L 361 vom 31. Dezember 2012, S. 89). Diese sind nicht Gegenstand der vorliegenden Verfahren.
Zur weiteren Erläuterung wird auf den Beschluss des Senats vom 13. Februar 2020 Bezug genommen (vgl. BVerfGE 153, 74 ).
2. Das Übereinkommen sieht die Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts als gemeinsames Gericht der Vertragsmitgliedstaaten für Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung vor (Art. 1 EPGÜ). Dieses soll in jedem Vertragsmitgliedstaat eigene Rechtspersönlichkeit besitzen (Art. 4 Abs. 1 EPGÜ). Nach Art. 32 Abs. 1 EPGÜ soll dem Einheitlichen Patentgericht in Bezug auf die Patente im Sinne des Art. 2 Buchstabe g EPGÜ – europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Schutzwirkung – die ausschließliche Zuständigkeit für einen umfangreichen Katalog von Streitigkeiten übertragen werden. Dieser umfasst insbesondere Klagen wegen Patentverletzungen, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts in Ausübung der ihm gemäß Art. 9 Verordnung (EU) 1257/2012 übertragenen Aufgaben.
II.
Das nunmehr angefochtene EPGÜ-ZustG II ersetzt das vom Deutschen Bundestag am 10. März 2017 beschlossene EPGÜ-ZustG I (vgl. BTDrucks 18/8826), das der Senat mit Beschluss vom 13. Februar 2020 für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 153, 74 ).
III.
1. Den Regierungsentwurf für das EPGÜ-ZustG II leitete die Bundesregierung dem Bundesrat am 7. August 2020 zu (vgl. BRDrucks 448/20, S. 7). Dieser erhob in seiner Sitzung am 18. September 2020 keine Einwendungen (vgl. BRPlenarprotokoll Nr. 993 vom 18. September 2020, S. 297, 338 f.). Daraufhin brachte die Bundesregierung den Gesetzentwurf am 25. September 2020 in den Bundestag ein (vgl. BTDrucks 19/22847, S. 7). Dieser stimmte dem EPGÜ-ZustG II nach Beteiligung der zuständigen Ausschüsse am 26. November 2020 in dritter Lesung mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages zu (vgl. BTPlenarprotokoll 19/195 vom 26. November 2020, S. 24668, 24677). Der Zustimmungsbeschluss des Bundesrates wurde am 18. Dezember 2020 einstimmig gefasst (vgl. BRDrucks 723/20 ; BRPlenarprotokoll Nr. 998 vom 18. Dezember 2020, S. 498).
2. Das EPGÜ-ZustG II hat folgenden Wortlaut (vgl. BTDrucks 19/22847, S. 9):
Artikel 1
(1) Dem in Brüssel am 19. Februar 2013 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht sowie dem in Luxemburg am 1. Oktober 2015 unterzeichneten Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung wird zugestimmt. Das Übereinkommen und das Protokoll werden nachstehend veröffentlicht.
(2) Die Bundesregierung ist verpflichtet, einer Änderung des Übereinkommens durch Beschluss des Verwaltungsausschusses nach Artikel 87 Absatz 1 des Übereinkommens nach Artikel 87 Absatz 3 des Übereinkommens zu widersprechen, sofern sie nicht hinsichtlich der Änderung zuvor durch Gesetz zur Zustimmung ermächtigt wurde.
Artikel 2
Die Änderungen des Übereinkommens durch Beschluss des Verwaltungsausschusses nach Artikel 87 Absatz 2 des Übereinkommens sind vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen.
Artikel 3
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
(2) Der Tag, an dem das Übereinkommen nach seinem Artikel 89 Absatz 1 sowie das Protokoll nach seinem Artikel 3 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft treten, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.
Der Begründung zu dem Entwurf des EPGÜ-ZustG II ist folgende Feststellung vorangestellt (vgl. BTDrucks 19/22847, S. 2 f.):
Das Gesetz enthält die Zustimmung zu dem Übereinkommen und dem Protokoll nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes unter Beachtung der qualifizierten Mehrheit gemäß Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 2 des Grundgesetzes.
Der Wortlaut des Gesetzes ist unverändert; die Begründung enthält jedoch notwendige Aktualisierungen.
Die Tatsache, dass Großbritannien das Übereinkommen in Folge des Brexit verlässt, steht dessen Durchführung nicht entgegen:
Die Regelungen zum Inkrafttreten im Übereinkommen und seinen Protokollen sollten sicherstellen, dass alle drei am Vertrag beteiligten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien, bereits beim Start des Einheitlichen Patentgerichts am Gerichtssystem teilnehmen. Insofern sollte vermieden werden, dass zum Beispiel aufgrund der unterschiedlichen Dauer der Ratifikationsverfahren der Vertrag zunächst nur mit einem oder zwei der drei Staaten in Kraft tritt. Die Bezugnahme auf diese hat damit den Zweck, den Zeitpunkt des Inkrafttretens unter den am Vertrag tatsächlich Beteiligten zu koordinieren.
Unabhängig davon, dass die britische Zustimmung derzeit vorliegt, hat ein Ausscheiden von Großbritannien auf die Anwendbarkeit der Regelungen zum Inkrafttreten jedenfalls deshalb keinen Einfluss, weil diese so auszulegen sind, dass ein von niemandem vorhersehbares Ausscheiden einer dieser drei Staaten das gesamte Inkrafttreten für die verbleibenden Beteiligten nicht hindert.
Das Übereinkommen sieht im Übrigen ausdrücklich vor, dass neben dem Sitz der erstinstanzlichen Zentralkammer des Gerichts in Paris und dem Standort München auch eine Abteilung in London angesiedelt ist. Es kann aber nicht so verstanden werden, dass es einen Kammerstandort in einem Nicht-Vertragsmitgliedstaat errichten beziehungsweise belassen möchte. Bei einem...
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