Beschluss vom 23. Juni 2021 - 2 BvE 1/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:es20210623a.2bve000117 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Juni 2021 - 2 BvE 1/17 -, Rn. 1-23, |
Date | 23 Junio 2021 |
Judgement Number | 2 BvE 1/17 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 1/17 -
über
den Antrag festzustellen,
dass der Antragsgegner durch den am 22. Juni 2017 erfolgten Beschluss von Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/12357 und 18/12846) die Rechte der Antragstellerin aus Artikel 21 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1, 2 und Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt hat |
Antragstellerin: |
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), |
- Bevollmächtigter:
- … -
Antragsgegner: |
Deutscher Bundestag, |
hier: | Antrag auf Richterablehnung |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Huber,
Hermanns,
Kessal-Wulf,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein
am 23. Juni 2021 beschlossen:
- Die Ablehnung des Richters Müller wird als unbegründet zurückgewiesen
I.
1. Mit Antragsschrift vom 13. September 2017 hat die Antragstellerin das vorliegende Organstreitverfahren initiiert und zugleich den Richter Müller wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs trägt sie im Wesentlichen vor:
a) Richter Müller habe sich in seiner Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes von 1999 bis 2011 mehrfach abwertend über die Antragstellerin geäußert. In einem Artikel des Handelsblatts vom 29. Januar 2005 mit dem Titel „Müller gegen staatliche Finanzierung der NPD“ werde berichtet, dass er sich dafür ausgesprochen habe, verfassungsfeindlichen Parteien generell die staatliche Finanzierung zu entziehen. Dem Artikel zufolge habe er gefordert, zu prüfen, ob es rechtlich möglich sei, dass verfassungsfeindliche Parteien keine staatliche Finanzierung erhielten, und gesagt, dass dann die Antragstellerin, die unstreitig verfassungsfeindliche Ziele verfolge, von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden könne.
Auf ZEIT ONLINE finde sich ein Artikel aus dem Jahr 2003, laut dem Richter Müller sich zustimmend zu einer bayerischen Initiative betreffend ein Verbot der Antragstellerin geäußert habe. Schließlich behaupte die taz in einem Artikel aus dem Jahr 2016, dass Richter Müller sich gegenüber der Berliner Zeitung im Jahr 2000 wie folgt über die Antragstellerin geäußert habe:
Es ist unstreitig, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und rassistische Inhalte vertritt. Das Gedankengut der NPD finde ich Ekel erregend.
b) Diese Äußerungen begründeten die Besorgnis der Befangenheit. Richter Müller lasse keinen Zweifel daran, dass er der Antragstellerin zutiefst ablehnend gegenüberstehe und sie als „Ekel erregend“ ansehe. Eine solche derbe Wortwahl lasse auf eine emotional-feindselige Haltung des Richters gegenüber der Antragstellerin schließen. Dies gelte umso mehr, als Richter Müller die Forderung erhoben habe, die Antragstellerin im Bereich der staatlichen Parteienfinanzierung zu diskriminieren. Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit dieser Forderung und ihrer Umsetzung stelle die zentrale Rechtsfrage des vorliegenden Verfahrens dar. Die Annahme, ein Richter ziehe es in Betracht, die Umsetzung seiner politischen Forderungen für verfassungswidrig zu erklären, erscheine abwegig. Es dürfte einleuchten, dass die Unvoreingenommenheit eines Richters, der einen Verfahrensbeteiligten als „Ekel erregend“ bezeichne, dessen Verfassungswidrigkeit als unstreitig ansehe und offen zu dessen parteienfinanzierungsrechtlicher Diskriminierung auffordere, durchgreifenden Bedenken ausgesetzt sei.
c) Der Beschluss des Senats vom 1. März 2016 in dem Verfahren 2 BvB 1/13 (BVerfGE 142, 18 ff.) nötige zu keiner abweichenden Beurteilung. Er sei bereits unwirksam, weil er unter Mitwirkung des damals ebenfalls abgelehnten Richters Huber gefasst worden sei. Zudem sei die psychologische Hemmschwelle, sich aufgrund verfestigter Rechtsmeinungen zum Ausspruch eines Parteiverbots hinreißen zu lassen, deutlich höher als beim Ausspruch eines bloßen Entzugs der Parteienfinanzierung. Soweit der Senat im damaligen Verfahren eine Befangenheitsbesorgnis bezüglich des Richters Müller mit dem Argument abgelehnt habe, er habe sich gerade gegen ein Verbot und stattdessen für einen Entzug der Parteienfinanzierung ausgesprochen, kehre sich dies hier in sein Gegenteil.
2. Richter Müller hat in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 29. Oktober 2020 mitgeteilt, dass die von der Antragstellerin zur Begründung des Ablehnungsgesuchs in Bezug genommenen Zitate inhaltlich zutreffend wiedergegeben seien. Er sehe sich deswegen nicht als befangen an. Er habe diese mehr als 15 Jahre zurückliegenden Äußerungen in seinem früheren Amt als Ministerpräsident des Saarlandes im Rahmen des politischen Meinungskampfes getätigt. Eine verfassungsrechtliche Bewertung hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen sei darin weder enthalten, noch sei diese intendiert gewesen. Dies dokumentiere insbesondere der Artikel des Handelsblatts vom 29. Januar 2005, in dem lediglich die rechtliche Prüfung der Möglichkeit eines Ausschlusses der Antragstellerin von der staatlichen Parteienfinanzierung gefordert werde.
3. Der Antragsgegner hat unter dem 18. Dezember 2020 mitgeteilt, dass er von einer Stellungnahme insbesondere zu dem Ablehnungsgesuch absehe.
4. a) Die Antragstellerin hat zu der dienstlichen Stellungnahme des Richters Müller mit Schriftsatz vom 12. Januar 2021 insbesondere vorgetragen, dem Umstand, dass die beanstandeten Verlautbarungen schon geraume Zeit zurücklägen...
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