Beschluss vom 23. Juni 2021 - 2 BvB 1/19
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:bs20210623a.2bvb000119 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Juni 2021 - 2 BvB 1/19 -, Rn. 1-26, |
Date | 23 Junio 2021 |
Judgement Number | 2 BvB 1/19 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvB 1/19 -
über
den Antrag festzustellen,
dass die Nationaldemokratische Partei Deutschlands von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen ist. Mit dieser Feststellung entfällt die steuerliche Begünstigung der Antragsgegnerin und von Zuwendungen an die Antragsgegnerin |
Antragsteller: |
1. |
Deutscher Bundestag, vertreten durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
2. |
Bundesrat, vertreten durch den Präsidenten des Bundesrates, Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin, |
|
3. |
Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, |
- Bevollmächtigte:
1. …,
2. … -
Antragsgegnerin: |
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), vertreten durch den Bundesvorsitzenden Frank Franz, Seelenbinderstraße 42, 12555 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
- … -
hier: | Antrag auf Richterablehnung |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König
Huber,
Hermanns,
Kessal-Wulf,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein
am 23. Juni 2021 beschlossen:
- Die Ablehnung des Richters Müller wird als unbegründet zurückgewiesen
I.
1. Mit Antragsschrift vom 17. Juli 2019 haben die Antragsteller einen Antrag auf Ausschluss der Antragsgegnerin von staatlicher Finanzierung gestellt.
2. Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020 hat die Antragsgegnerin auf den Antrag erwidert und den Richter Müller wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs im Wesentlichen vor:
a) Richter Müller habe sich in seiner Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes von 1999 bis 2011 mehrfach abwertend über die Antragsgegnerin geäußert. In einem Artikel des Handelsblatts vom 29. Januar 2005 mit dem Titel „Müller gegen staatliche Finanzierung der NPD“ werde berichtet, dass er sich dafür ausgesprochen habe, verfassungsfeindlichen Parteien generell die staatliche Finanzierung zu entziehen. Dem Artikel zufolge habe er gefordert, zu prüfen, ob es rechtlich möglich sei, dass verfassungsfeindliche Parteien keine staatliche Finanzierung erhielten, und gesagt, dass dann die Antragsgegnerin, die unstreitig verfassungsfeindliche Ziele verfolge, von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden könne.
Auf ZEIT ONLINE finde sich ein Artikel aus dem Jahr 2003, laut dem Richter Müller sich zustimmend zu einer bayerischen Initiative betreffend ein Verbot der Antragsgegnerin geäußert habe. Schließlich behaupte die taz in einem Artikel aus dem Jahr 2016, dass Richter Müller sich gegenüber der Berliner Zeitung im Jahr 2000 wie folgt über die Antragsgegnerin geäußert habe:
Es ist unstreitig, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und rassistische Inhalte vertritt. Das Gedankengut der NPD finde ich Ekel erregend.
b) Diese Äußerungen begründeten die Besorgnis der Befangenheit. Richter Müller lasse keinen Zweifel daran, dass er der Antragsgegnerin zutiefst ablehnend gegenüberstehe und sie als „Ekel erregend“ ansehe. Eine solche derbe Wortwahl lasse auf eine emotional-feindselige Haltung des Richters gegenüber der Antragsgegnerin schließen. Dies gelte umso mehr, als Richter Müller die Forderung erhoben habe, die Antragsgegnerin im Bereich der staatlichen Parteienfinanzierung zu diskriminieren. Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit dieser Forderung und ihrer Umsetzung stelle die zentrale Rechtsfrage des vorliegenden Verfahrens dar. Die Annahme, ein Richter ziehe es in Betracht, die Umsetzung seiner politischen Forderungen für verfassungswidrig zu erklären, erscheine abwegig. Es dürfte einleuchten, dass die Unvoreingenommenheit eines Richters, der einen Verfahrensbeteiligten als „Ekel erregend“ bezeichne, dessen Verfassungswidrigkeit als unstreitig ansehe und offen zu dessen parteienfinanzierungsrechtlicher Diskriminierung auffordere, durchgreifenden Bedenken ausgesetzt sei.
c) Der Beschluss des Senats vom 1. März 2016 in dem Verfahren 2 BvB 1/13 (BVerfGE 142, 18 ff.) nötige zu keiner abweichenden Beurteilung. Er sei bereits unwirksam, weil er unter Mitwirkung des damals ebenfalls abgelehnten Richters Huber gefasst worden sei. Zudem sei die psychologische Hemmschwelle, sich aufgrund verfestigter Rechtsmeinungen zum Ausspruch eines Parteiverbots hinreißen zu lassen, deutlich höher als beim Ausspruch eines bloßen Entzugs der Parteienfinanzierung. Soweit der Senat im damaligen Verfahren eine Befangenheitsbesorgnis bezüglich des Richters Müller mit dem Argument abgelehnt habe, er habe sich gerade gegen ein Verbot und stattdessen für einen Entzug der Parteienfinanzierung ausgesprochen, kehre sich dies hier in sein Gegenteil.
3. Die Antragsteller haben in einer Replik vom 11. März 2020 mitgeteilt, dass sie die Besorgnis der Befangenheit des Richters Müller nicht teilen.
4. Richter Müller hat in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 4. März 2020 mitgeteilt, dass die von der Antragsgegnerin zur Begründung des Ablehnungsgesuchs in Bezug genommenen Zitate inhaltlich zutreffend wiedergegeben seien. Er sehe sich deswegen nicht als befangen an. Er habe diese mehr als 15 Jahre zurückliegenden Äußerungen in seinem früheren Amt als Ministerpräsident des Saarlandes im Rahmen des politischen Meinungskampfes getätigt. Eine verfassungsrechtliche Bewertung hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen sei darin weder enthalten, noch sei diese intendiert gewesen. Dies dokumentiere insbesondere der Artikel des Handelsblatts vom 29. Januar 2005, in dem lediglich die rechtliche Prüfung der Möglichkeit eines Ausschlusses der Antragsgegnerin von der staatlichen Parteienfinanzierung gefordert werde.
5. a) Hierauf hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2020 insbesondere vorgetragen, dem Umstand, dass die beanstandeten Verlautbarungen schon geraume Zeit zurücklägen, komme keine gesteigerte Bedeutung zu, wie der Beschluss des Senats vom 12. Februar 2018 (BVerfGE 148, 1 ff.) anschaulich...
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