Beschluss vom 24.03.2021 - BVerwG 4 VR 2.20

Judgment Date24 Marzo 2021
ECLIDE:BVerwG:2021:240321B4VR2.20.0
Neutral CitationBVerwG 4 VR 2.20
CitationBVerwG, Beschluss vom 24.03.2021 - 4 VR 2.20
Registration Date31 Mayo 2021
Record Number240321B4VR2.20.0
Applied RulesNABEG § 15 Abs. 3,GG Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 2,UmwRG § 1 Abs. 1
Subject MatterNABEG - Recht des Ausbaues von Energieleitungen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 4 VR 2.20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Anträge werden abgelehnt.
  2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller je zu 1/4.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe I

1 Die Antragsteller - ein Landkreis (Antragsteller zu 1), zwei anerkannte Umweltvereinigungen (Antragsteller zu 2 und 3) und eine Kreisstadt (Antragstellerin zu 4) - begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Bundesfachplanungsentscheidung, mit der ein Trassenkorridor für eine Höchstspannungsleitung bestimmt wurde.

2 Die beigeladenen Vorhabenträger planen, eine vorwiegend als Erdkabel auszuführende Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung zwischen den Netzverknüpfungspunkten Wolmirstedt und Isar zu errichten (sog. SuedOstLink). Diese Leitung ist als Vorhaben Nr. 5 in der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) aufgeführt. Das Gesamtvorhaben hat eine Länge von ca. 537 km. Es wurde von den Vorhabenträgern für die Bundesfachplanung in vier Abschnitte unterteilt.

3 Am 18. Dezember 2019 erließ die Bundesnetzagentur die von den Beigeladenen beantragte Bundesfachplanung für den Abschnitt C (Raum Hof - Raum Schwandorf), mit der ein ca. 136 km langer und ca. 1000 m breiter Trassenkorridor im Bereich zwischen den Koppelpunkten im Raum Hof und im Raum Schwandorf sowie entsprechende Landesübergangspunkte (Übergang vom Freistaat Thüringen zum Freistaat Bayern sowie von diesem zum Freistaat Sachsen) festgelegt wurden. Die Beigeladenen haben zwischenzeitlich die Planfeststellung für den Teilabschnitt C1 (Münchenreuth - Marktredwitz) und für den Teilabschnitt C2 (Marktredwitz - Pfreimd) beantragt. Die Bundesnetzagentur hat für den hier in Rede stehenden Abschnitt C auf dem Gebiet mehrerer Gemeinden Veränderungssperren erlassen. Planfeststellungsbeschlüsse liegen noch nicht vor.

4 Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen die Bundesfachplanungsentscheidung, gegen die sie zugleich Klage erhoben haben (BVerwG 4 A 1.20 ). Sie machen geltend, der Ausschluss direkten Rechtsschutzes gegen die Bundesfachplanungsentscheidung in § 15 NABEG sei verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig. Gegen die formell und materiell rechtswidrige Bundesfachplanungsentscheidung müsse Eilrechtsschutz gewährt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht sowie dem EuGH vorgelegt werden.

5 Die Antragsteller beantragen,
1. festzustellen, dass die am 20. Januar 2020 erhobene Klage gegen die Bundesfachplanungsentscheidung der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2019 für den Abschnitt C: Raum Hof - Raum Schwandorf des Vorhabens Nummer 5 des Bundesbedarfsplans, Az 6.07.00.02/5-2-3/25.0, aufschiebende Wirkung hat,
hilfsweise, für den Fall, dass keine aufschiebende Wirkung eingetreten sein sollte,
die aufschiebende Wirkung der am 20. Januar 2020 erhobenen Klage gegen die Bundesfachplanungsentscheidung der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2019 für den Abschnitt C: Raum Hof - Raum Schwandorf des Vorhabens Nummer 5 des Bundesbedarfsplans, Az. 6.07.00.02/5-2-3/25.0, anzuordnen,
2. zusätzlich zu den Anträgen zu 1 festzustellen, dass die Antragsgegnerin jegliche weiteren Folgemaßnahmen, insbesondere die Fortführung des Planfeststellungsverfahrens, zu unterlassen hat, bis über die Hauptsache abschließend gerichtlich entschieden worden ist,
3. hilfsweise für den Fall, dass die Anträge zu 1 und zu 2 unzulässig sein sollten,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Fortführung des Verfahrens und die Vollziehung der Bundesfachplanungsentscheidung vom 18. Dezember 2019 für den Abschnitt C: Raum Hof - Raum Schwandorf des Vorhabens Nummer 5 des Bundesbedarfsplans, Az. 6.07.00.02/5-2-3/25.0, insbesondere die Fortführung des Planfeststellungsverfahrens auszusetzen, bis über die Hauptsache abschließend gerichtlich entschieden worden ist.

6 Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.

7 Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Anträge abzulehnen.

8 Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen halten die Anträge für unzulässig und treten ihnen in der Sache entgegen.

II

9 Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes - über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 6 Satz 1 BBPlG i.V.m. §§ 80, 80a, 123 VwGO entscheidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 4 VR 1.19 - NVwZ 2019, 1357 Rn. 13) - sind unzulässig.

10 Es kann offen bleiben, ob die Anträge zu 1 und 2 im Hinblick auf die gewählte Antragsart statthaft und die Antragsteller antragsbefugt sind. Zweifel bestehen daran schon deshalb, weil die Bundesfachplanungsentscheidung gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 NABEG keine "unmittelbare Außenwirkung" haben soll, also insbesondere keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG i.V.m. §§ 80, 80a VwGO darstellen soll. Darauf kommt es aber nicht an. Unabhängig von der Antragsbefugnis der Antragsteller und der von ihnen aufgeworfenen Frage, ob der Bundesfachplanungsentscheidung entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers Außenwirkung zukommt sowie welcher (einfachgesetzlichen) äußeren Handlungsform sie zuzuordnen ist, steht einer Sachentscheidung jedenfalls der in § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG geregelte Ausschluss des direkten Rechtsschutzes gegen die Bundesfachplanungsentscheidung entgegen. Dies betrifft sowohl die gestellten Haupt- als auch die Hilfsanträge.

11 Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG kann die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Bundesfachplanung nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung für die jeweilige Ausbaumaßnahme überprüft werden. Damit sind Rechtsbehelfe unzulässig, die sich isoliert gegen die Bundesfachplanung als prozessualen Streitgegenstand wenden und diese unmittelbar zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle machen. Dieser Ausschluss prinzipalen Rechtsschutzes gegen die Bundesfachplanungsentscheidung gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift unabhängig von der Verfahrensart, also hier neben den Anträgen zu 1 und zu 2 auch für die weiteren Hilfsanträge. Er betrifft Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenso wie Hauptsacheverfahren und erstreckt sich auf Verfahren von Individualklägern gleichermaßen wie auf Klagen kommunaler Gebietskörperschaften, d.h. hier des Antragstellers zu 1 und der Antragstellerin zu 4. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz - UmwRG -) gilt der Ausschluss unmittelbaren Rechtsschutzes ferner für Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, hier also die Anträge der Antragstellerinnen zu 2 und 3.

12 Der Ausschluss der isolierten Anfechtbarkeit der Bundesfachplanungsentscheidung in § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG und § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 UmwRG ist verfassungsgemäß (1.). Auch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung dieser Bestimmungen führt nicht zur Eröffnung direkten Rechtsschutzes gegen die Bundesfachplanungsentscheidung (2.). Unionsrecht steht der Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG und § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 UmwRG ebenfalls nicht entgegen (3.).

13 1. Das Rechtsschutzkonzept des § 15 Abs. 3 NABEG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

14 Nach der Konzeption des Gesetzgebers ist der Planungsprozess als gestuftes Verfahren ausgestaltet: Auf der ersten Stufe erfolgt die gesetzliche Bedarfsplanung, an die sich auf der zweiten Stufe die Bundesfachplanung anschließt (§§ 4 ff. NABEG). Durch sie werden Trassenkorridore bestimmt (vgl. § 4 Satz 1 und § 5 Abs. 1 NABEG), also Gebietsstreifen, in denen die Trasse der Stromleitung verläuft (vgl. § 3 Nr. 7 NABEG). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind diese Trassenkorridore in der Regel zwischen 500 m und 1000 m breit (BT-Drs. 17/6073 S. 19). Die Bundesfachplanung endet mit einer Entscheidung der Bundesnetzagentur (§ 12 NABEG), die nach dem Willen des Gesetzgebers "keine unmittelbare Außenwirkung" (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 1 NABEG), aber im Verhältnis zu ihr nachfolgenden Landesplanungen und Bauleitplanungen "grundsätzlich Vorrang" (§ 15 Abs. 1 Satz 2 NABEG) haben soll. Die Bundesfachplanungsentscheidung ist für das auf der nächsten Stufe folgende Planfeststellungsverfahren nach §§ 18 ff. NABEG verbindlich (§ 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG), lässt das Vorhaben als solches aber noch nicht zu (keine Gestattungswirkung) und kann nach § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung für die jeweilige Ausbaumaßnahme überprüft werden.

15 Der Gesetzgeber hat sich damit für eine Ausgestaltung des Rechtsschutzes als konzentrierten Rechtsschutz am Ende eines gestuften Verfahrens und somit für das gesetzliche Regelmodell des Rechtsschutzes entschieden, wie es in § 44a VwGO zum Ausdruck kommt und auch in der komplexen Infrastrukturplanung z.B. von Verkehrswegen üblich ist (vgl. zur Linienbestimmung nach § 16 FStrG und § 13 WaStrG die Regelung in § 47 Abs. 4 UVPG sowie BVerwG, Urteil vom 10. April 1997 - 4 C 5.96 - BVerwGE 104, 236 ). Das konzentrierte Rechtsschutzmodell ist auch in solchen komplexen Verfahren nicht von vornherein verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. "Garzweiler II" - BVerfGE 134, 242 Rn. 194). Das Verfassungsrecht gibt nicht grundsätzlich vor, auf welche Weise...

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