Beschluss vom 24.05.2024 - BVerwG 5 BN 1.23

JurisdictionGermany
Judgment Date24 May 2024
Neutral CitationBVerwG 5 BN 1.23
ECLIDE:BVerwG:2024:240524B5BN1.23.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 24.05.2024 - 5 BN 1.23 -
Record Number240524B5BN1.23.0
Registration Date25 July 2024
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 5 BN 1.23

  • OVG Greifswald - 13.06.2023 - AZ: 1 K 727/20 OVG

In der Normenkontrollsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Mai 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Juni 2023 wird zurückgewiesen
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben
Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, weil sie teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet ist. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

2 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 12. Januar 2017 - 5 B 75.16 - juris Rn. 4 m. w. N.). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. April 2009 - 5 B 64.08 - juris Rn. 5 und vom 11. August 2020 - 3 BN 1.19 - NVwZ-RR 2020, 979 Rn. 6, jeweils m. w. N.). Gemessen an den vorstehenden Anforderungen kommt eine Revisionszulassung wegen Grundsatzbedeutung hier nicht in Betracht.

3 1. Die Beschwerde wirft als erste Rechtsfrage von vermeintlich grundsätzlicher Bedeutung auf:
"Ist eine Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts im Rahmen von § 47 VwGO dann gegeben, wenn das Landesverfassungsgericht zu einer Entscheidung ausdrücklich nicht berufen ist; folgt also aus § 47 Abs. 3 VwGO eine (Auffang-)Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts kraft landesgesetzlicher Regelung, die die Normverwerfungskompetenz für eine Rechtsverordnung eröffnet und dem Landesverfassungsgericht zugleich verschließt, wobei § 47 Abs. 1 VwGO gegebenenfalls einschränkend auszulegen und § 47 Abs. 3 VwGO eine Spezialvorschrift hierzu ist?"

4 Diese Frage bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur ohne Weiteres nach den üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantwortet werden kann. Denn auf dieser Grundlage erschließt sich, dass - wie die Vorinstanz zu Recht angenommen hat - ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO nicht ungeachtet der Einhaltung der sogenannten Gerichtsbarkeitsklausel des § 47 Abs. 1 VwGO zulässig ist, wonach das Oberverwaltungsgericht "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" entscheidet. Allein der Umstand, dass das Landesrecht dem Landesverfassungsgericht keine ausschließliche Normverwerfungskompetenz hinsichtlich einer angegriffenen Norm einräumt, führt nicht dazu, dass eine Normenkontrolle zum Oberverwaltungsgericht auch dann zulässig ist, wenn die Voraussetzung der Gerichtsbarkeitsklausel des § 47 Abs. 1 VwGO nicht vorliegt.

5 Die Beschwerde ist demgegenüber der Ansicht, aus der von ihr für den vorliegenden Fall angenommenen Unzuständigkeit des Landesverfassungsgerichts nach Art. 53 Nr. 8 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993 (GVOBl. M-V S. 372) - LV MV - für die Überprüfung der hier in Rede stehenden Landesverordnung zum Ersatz eines Landesrahmenvertrages für Mecklenburg-Vorpommern nach § 131 Absatz 1 SGB IX vom 17. Dezember 2019 (GVOBl. M-V S. 858) folge anhand eines Umkehrschlusses aus § 47 Abs. 3 VwGO, dass die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts immer dann - jedenfalls in Form einer Auffangzuständigkeit - gegeben sei, wenn es um die Vereinbarkeit einer Rechtsvorschrift mit Landesrecht gehe. § 47 Abs. 1 VwGO sei insoweit einschränkend auszulegen. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu, wie die Auslegung des § 47 Abs. 1 und 3 VwGO ergibt.

6 a) Nach § 47 Abs. 1 VwGO steht dem Oberverwaltungsgericht die Entscheidungskompetenz über die Gültigkeit untergesetzlicher Rechtsvorschriften nur insoweit zu, als die diesbezügliche Prüfung "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" erfolgt. Diese Bestimmung bezweckt, eine Präjudizierung der Entscheidungen anderer Gerichtsbarkeiten durch die Oberverwaltungsgerichte zu verhindern, sofern solche anderen Gerichtszweige für die Entscheidung bestimmter Streitigkeiten im Einzelfall ausschließlich zuständig sind. Insoweit besteht auch ein Bezug zu der allgemeinen Zwecksetzung der Normenkontrolle nach § 47 VwGO, die Verwaltungsgerichte (nicht aber die Gerichte anderer Gerichtsbarkeiten) durch die Vermeidung von Einzelklagen zu entlasten (vgl. BT-Drs. 3/55 S. 33). Die Gerichtsbarkeitsklausel dient damit der Abgrenzung gegenüber anderen gleichrangigen Gerichtsbarkeiten. Sie verknüpft als Sachurteilsvoraussetzung die sachliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte mit der sachlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Nur wenn die Verwaltungsgerichte über Streitigkeiten um die zu kontrollierende Norm im konkreten Einzelfall - gegebenenfalls auch inzident - zu entscheiden haben, ist auch die sachliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts für die abstrakte Normenkontrolle gegeben. Nur dann kann die abstrakte Normenkontrolle die ihr zugedachte Entlastungsfunktion für eine Mehrzahl verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 5 CN 1.12 - BVerwGE 146, 217 Rn. 11). Der Bezug der Gerichtsbarkeitsklausel zur sachlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 7/4324 S. 8). Es geht daher fehl, wenn die Beschwerde (Beschwerdeschrift, S. 23 f.) geltend macht, die Gerichtsbarkeitsklausel des § 47 Abs. 1 VwGO befasse sich nicht mit der sachlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts (so aber auch Ziekow, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 39).

7 b) Nach § 47 Abs. 3 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht die Vereinbarkeit einer Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, dass diese ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist. Entgegen der Auffassung der Beschwerde handelt es sich hierbei nicht um eine Spezialvorschrift, die den Gehalt der Gerichtsbarkeitsklausel des § 47 Abs. 1 VwGO als Sachurteilsvoraussetzung einschränkt.

8 aa) Schon dem Wortlaut nach ("prüft [...] nicht") hat diese Vorschrift eine Beschränkung des materiellen Prüfungsmaßstabs des Normenkontrollgerichts zum Inhalt (vgl. Unruh, in: Fehling/​Kastner/​Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 98; Kopp/​Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 47 Rn. 101; Giesberts, in: Posser/​Wolff/​Decker, BeckOK VwGO, Stand April 2024, § 47 Rn. 66; Ziekow, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 332; Kerkmann/​Huber, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 47 Rn. 124; Panzer/​Schoch, in: Schoch/​Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 47 VwGO Rn. 90), die die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags auch nach Maßgabe der Gerichtsbarkeitsklausel gerade voraussetzt. Das Bestehen einer ausschließlichen Kompetenz eines Landesverfassungsgerichts führt daher grundsätzlich nicht zur Abweisung eines Normenkontrollantrags als unzulässig (Panzer/​Schoch, in: Schoch/​Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 47 VwGO Rn. 90 Fn. 538; Wysk, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 47 Rn. 59; a. A. VGH Kassel, Beschluss vom 15. Januar 1991 - 11 N 62/91 - NVwZ 1991, 1098 <1099>; VGH München, Beschluss vom 12. August 1977 - 88 VIII 77 - DVBl. 1978, 113 <114>; Ziekow, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 332), zumal der Prüfungsumfang des Normenkontrollgerichts durch das...

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