Beschluss vom 24. November 2009 - 2 BvR 1387/04
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2009:rs20091124.2bvr138704 |
Judgement Number | 2 BvR 1387/04 |
Date | 24 Noviembre 2009 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 2009 - 2 BvR 1387/04 - Rn. (1-98), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 2009
- 2 BvR 1387/04 -
Zur Verfassungsmäßigkeit der Jahresbeiträge nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1387/04 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Firma I... AG, (vormals I... AG),
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden R...,
- Prof. Dr. Fritz Ossenbühl,
Im Wingert 12, 53340 Meckenheim, - Sozietät Rechtsanwälte Jones Day,
Grüneburgweg 102, 60323 Frankfurt am Main -
I. | unmittelbar gegen |
a) | das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 2004 - BVerwG 6 C 20.03 -, |
b) | den Bescheid der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen vom 27. Juli 2001, |
c) | den Bescheid der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen vom 9. November 2000, |
d) | den Bescheid der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen vom 27. Dezember 1999, |
II. | mittelbar gegen § 8 Abs. 1, Absatz 2 Satz 1 und Satz 3, Absatz 3 Satz 1 und Satz 2 des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes (Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie vom 16. Juli 1998, BGBl I S. 1842) in der Fassung des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266) in Verbindung mit den §§ 1, 2 und 3 der Verordnung über die Beiträge zu der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 19. August 1999 (BGBl I S. 1891) in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Beiträge zu der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 7. September 2000 (BGBl I S. 1376) |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Voßkuhle,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 24. November 2009 beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Erhebung von „Beiträgen“ nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz mit dem Grundgesetz, insbesondere mit den sich aus der bundesstaatlichen Finanzverfassung ergebenden Anforderungen an die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben, vereinbar ist.
I.
1. Mit Wirkung vom 1. August 1998 ist in Deutschland das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (im Folgenden: EAEG) als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie vom 16. Juli 1998 (BGBl I S. 1842) in Kraft getreten, das für die angegriffene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Fassung des Gesetzes vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266) maßgeblich war (vgl. BVerwGE 120, 311 <312>). Nach § 2 EAEG sind die in § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 EAEG aufgeführten Institute verpflichtet, ihre Einlagen und Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften durch die Zugehörigkeit zu einer Entschädigungseinrichtung zu sichern. Dies betrifft nach Nr. 1 Einlagenkreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG sowie nach Nrn. 2, 3 und 4 Kreditinstitute und andere Finanzdienstleistungsinstitute mit bestimmten Erlaubnissen im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a KWG.
a) Für die Anleger dieser Institute regeln die §§ 3 bis 5 EAEG das Entschädigungsverfahren. Der Entschädigungsfall liegt nach § 1 Abs. 5 EAEG vor, wenn das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen feststellt, dass ein Institut nicht in der Lage ist, Einlagen zurückzuzahlen oder Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu erfüllen. Der Entschädigungsanspruch des Gläubigers des Instituts richtet sich nach Höhe und Umfang der Einlagen des Gläubigers oder der ihm gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften unter Berücksichtigung etwaiger Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des Instituts. Der Entschädigungsanspruch ist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EAEG der Höhe nach begrenzt auf 90% der Einlagen und den Gegenwert von 20.000 Euro sowie 90% der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften und den Gegenwert von 20.000 Euro.
b) Nach dem gesetzlichen Regelfall in § 6 Abs. 1 Satz 1 EAEG werden bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau Entschädigungseinrichtungen als nicht rechtsfähige Sondervermögen des Bundes errichtet, denen jeweils eine Institutsgruppe zugeordnet ist. § 6 Abs. 1 Satz 2 EAEG unterscheidet zwischen drei Institutsgruppen - erstens privatrechtliche und, zweitens, öffentlichrechtliche Einlagenkreditinstitute sowie, drittens, „andere Institute“. Mit den Aufgaben und Befugnissen einer Entschädigungseinrichtung kann unter den Voraussetzungen des § 7 EAEG auch eine juristische Person des Privatrechts beliehen werden. Auf dieser Grundlage sind die Institute der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH (dazu Verordnung des Bundesministers der Finanzen vom 24. August 1998, BGBl I S. 2391), der Entschädigungseinrichtung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands GmbH (dazu Verordnung des Bundesministers der Finanzen vom 24. August 1998, BGBl I S. 2390) oder der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet.
Nach § 6 Abs. 3 EAEG haben die Entschädigungseinrichtungen die Aufgabe, die Beiträge der ihnen zugeordneten Institute einzuziehen, die Mittel nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 EAEG anzulegen und im Entschädigungsfall die Gläubiger eines ihnen zugeordneten Instituts für nicht zurückgezahlte Einlagen oder für nicht erfüllte Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu entschädigen. Die Mittel zur Finanzierung der Entschädigung werden gemäß § 8 Abs. 1 EAEG nach dem Kostendeckungsprinzip durch Beiträge der Institute erbracht, die der Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Jahresbeiträgen nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EAEG, den Einmalzahlungen erstmals zugeordneter Institute nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EAEG, den Erstbeiträgen nach § 19 EAEG sowie den Sonderbeiträgen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EAEG mit der Bestimmung: „Die Entschädigungseinrichtung hat Sonderbeiträge und Kredite aufzunehmen, wenn dies zur Durchführung des Entschädigungsverfahrens erforderlich ist.“
c) Zu den Jahresbeiträgen ermächtigt § 8 Abs. 3 Satz 1 EAEG das Bundesministerium der Finanzen, das Nähere durch Rechtsverordnung nach Anhörung der Entschädigungseinrichtungen „unter besonderer Berücksichtigung von Art und Umfang der gesicherten Geschäfte sowie der Anzahl, Größe und Geschäftsstruktur“ der der Entschädigungseinrichtung zugeordneten Institute zu regeln. Nach Satz 2 des § 8 Abs. 3 EAEG kann die Rechtsverordnung auch Bestimmungen zu den Sonderbeiträgen, zur Kreditaufnahme und zur Anlage der Mittel enthalten.
Auf dieser Grundlage wurde die Verordnung über die Beiträge zu der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 19. August 1999 (BGBl I S. 1891) erlassen (im Folgenden: Beitragsverordnung - BeitragsVO), die vorliegend in der Fassung der ersten Änderungsverordnung vom 7. September 2000 (BGBl I S. 1376) für alle Streitjahre anzuwenden war (§ 5 Abs. 4 BeitragsVO).
Die Beitragsverordnung sieht in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 6 je nach Art der gesicherten Geschäfte gestaffelte Jahresbeiträge vor, die an der den Instituten erteilten Geschäftserlaubnis orientiert sind sowie daran, inwieweit diese risikobehaftet ist. Hierzu wird wesentlich danach unterschieden, ob die Institute nach ihrem Erlaubnisbestand befugt sind, sich Eigentum und Besitz an Geldern oder Wertpapieren der Kunden zu verschaffen, Eigenhandel zu betreiben oder auf eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten zu handeln. Bemessungsgrundlage sind jeweils die Bruttoprovisionserträge und die Bruttoerträge aus Finanzgeschäften. Von diesen sind - gestaffelt je nach angenommener Risikobehaftung der vom Erlaubnistatbestand umfassten Tätigkeiten - Beiträge in Höhe von 0,35%, 1,1% oder 2,2% an die Entschädigungseinrichtung abzuführen.
Während die Jahresbeiträge grundsätzlich dem Grunde und der Höhe nach an den Erlaubnistatbeständen, nicht am tatsächlichen, potentiell engeren Geschäftsfeld orientiert sind, bestimmt § 2 Abs. 2 BeitragsVO insoweit eine wesentliche Modifikation durch eine mögliche Verringerung der Bemessungsgrundlage. Danach können bei Erfüllung bestimmter Nachweisanforderungen bei der Ermittlung der Bruttoprovisionserträge und Bruttoerträge aus Finanzgeschäften 90% der Bruttoerträge aus Geschäften mit Kunden, die nach § 3 Abs. 2 EAEG keinen Anspruch auf Entschädigung haben, unberücksichtigt bleiben. Generell werden die Jahresbeiträge der Höhe nach durch die Kappungsgrenze in § 1 Abs. 1 Satz 2 BeitragsVO auf höchstens 10% des Jahresüberschusses zuzüglich bestimmter Gewinnabführungen begrenzt.
d) Das Nähere zu den Sonderbeiträgen regelt § 3 BeitragsVO. Nach dessen Abs. 2 wird die Höhe der Sonderbeiträge nicht absolut begrenzt, sondern lediglich als eine Beteiligungsquote an einem noch unbestimmten Kostendeckungsbedarf formuliert: Die Höhe der Sonderbeiträge der einzelnen Institute bemisst sich grundsätzlich nach dem Verhältnis ihrer jeweils zuletzt zu zahlenden Jahresbeiträge zur Summe der zuletzt von allen aktuell zahlungspflichtigen Instituten zu leistenden Jahresbeiträge. § 3 Abs. 4 BeitragsVO eröffnet die Möglichkeit der vollständigen oder teilweisen Befreiung von der Sonderbeitragspflicht. Eine solche Befreiung kann die Entschädigungseinrichtung mit Zustimmung des Bundesaufsichtsamts...
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