Beschluss vom 24. Oktober 2023 - 1 BvR 1160/19
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rs20231024.1bvr116019 |
Judgement Number | 1 BvR 1160/19 |
Date | 24 Octubre 2023 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Oktober 2023 - 1 BvR 1160/19 -, Rn. 1-40, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1160/19 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
der Frau (…), |
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2. |
der Frau (…), |
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3. |
der Frau (…), |
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4. |
des Herrn (…), |
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5. |
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
- 1. (…),
- 2. (…) -
gegen |
§ 16 Absatz 1 in Verbindung mit § 12 Absatz 1 Satz 1, |
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§ 16 Absatz 6 Nummer 2 (auch in Verbindung mit § 29 Absatz 4 |
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Satz 2), § 18 Absätze 1, 2 und 5 (auch in Verbindung mit |
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§ 29 Absatz 4 Satz 2), § 45 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4, § 49, |
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§ 51 Absatz 2 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und |
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die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminal- |
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polizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) |
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in der Fassung des Gesetzes zur Neustrukturierung des |
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Bundeskriminalamtgesetzes vom 1. Juni 2017 (Bundesgesetz- |
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blatt I Seite 1354) |
h i e r : Ausschluss von der Ausübung des Richteramts |
hat das Bundesverfassungsgericht – Erster Senat –
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Harbarth,
Ott,
Christ,
Radtke,
Härtel,
Eifert,
Meßling
am 24. Oktober 2023 beschlossen:
- Richter Wolff ist nicht von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.
- Die Besorgnis der Befangenheit von Richter Wolff ist nicht begründet.
A.
Das Zwischenverfahren betrifft ein Ersuchen des Richters Wolff vom 31. Juli 2023, das Anlass gibt, seinen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts in diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu prüfen.
I.
Gegenstand des zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist die Vereinbarkeit verschiedener Regelungen des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes vom 1. Juni 2017 (BGBl I S. 1354) mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
Zum einen rügen die Beschwerdeführenden die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 2 BKAG) zum Zweck der Terrorismusabwehr. Zum anderen beanstanden sie die Regelungen zur Weiterverarbeitung personenbezogener Daten im Datenbestand des Bundeskriminalamts (§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 sowie § 16 Abs. 6 Nr. 2 auch i.V.m. § 29 Abs. 4 Satz 2 BKAG als auch § 18 Abs. 1, 2 und 5 auch i.V.m. § 29 Abs. 4 Satz 2 BKAG). Soweit die Beschwerdeführenden ursprünglich noch gerügt hatten, die Befugnisse zu Online-Durchsuchungen (§ 49 BKAG) und Quellen-Telekommunikationsüberwachungen (§ 51 Abs. 2 BKAG) begründeten nicht mehr hinnehmbare Risiken für die Informationssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, haben sie ihre Verfassungsbeschwerde zurückgenommen.
II.
1. Richter Wolff hat unter Bezugnahme auf die vorliegende Verfassungsbeschwerde in einem Schreiben an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts als Vorsitzenden des Ersten Senats vom 31. Juli 2023 um eine Entscheidung des Senats gemäß § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) gebeten.
Zur Begründung hat er ausgeführt:
1. Das Verfahren
In dem oben genannten Verfahren werden sowohl die Regelungen zu den besonderen Mitteln der Datenerhebung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG), zu dem verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme (§ 49 BKAG) und zur Überwachung der Telekommunikation (§ 51 BKAG) als auch die Regelungen zur Datenweiterverarbeitung auch im Informationssystem unter Einbezug der Zweckbindungsbestimmung (§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 sowie § 16 Abs. 6 Nr. 2 auch i.V.m. § 29 Abs. 4 Satz 2 BKAG) und zur Datenweiterverarbeitung von Verurteilten, Beschuldigten, Tatverdächtigen und sonstigen Anlasspersonen auch im Informationsverbund (§ 18 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 auch i.V.m. § 29 Abs. 4 Satz 2 BKAG) angegriffen. Die Normen wurden vom Bund im Wesentlichen zur Umsetzung des sogenannten BKA-Urteils des Bundesverfassungsgerichts erlassen beziehungsweise abgeändert (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 - BVerfGE 141, 220, im Folgenden: BKA-Urteil).
2. Begründung des Anlasses des Zweifels
Sowohl zu dem BKA-Urteil selbst als auch zu dessen Umsetzung habe ich mich in verschiedenen Formen geäußert, die für sich genommen nach meiner Einschätzung nicht zu dem oben genannten Verfassungsbeschwerdeverfahren dieselbe Sache i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG bilden, sondern ganz oder teilweise jeweils § 18 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 BVerfGG zuzuordnen sind. Es erscheint aber die Frage berechtigt, ob nicht im Sinne einer ‚zusammenfassenden Betrachtung‘ etwas ‚Zusätzliches‘ gegeben ist, das mir eine Art Urheberschaft für die im oben genannten Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen Normen zuweist (vgl. BVerfGE 135, 248 <259>), beziehungsweise ein Fall gegeben ist, in dem es sich zwar nicht formell, aber materiell um dieselbe Sache i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG handelt (vgl. BVerfGE 109, 130 <132>), oder ein sonstiger Fall eines über § 18 Abs. 3 BVerfGG überschießenden Bezugs zu dem konkreten oben genannten Verfahren vorliegt, der eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnte.
Ich bitte daher, dass der Senat entscheiden möge, ob die unten aufgeführten Gründe nachvollziehbaren Anlass bieten, an der Unvoreingenommenheit von mir als Richter zu zweifeln.
3. Tätigwerden in unterschiedlicher Funktion
Das BKA-Urteil stellt im Bereich des Sicherheitsrechts eine Art ‚Kopernikanische Wende‘ dar, die der Sache nach eine Überarbeitung sämtlicher Sicherheitsgesetze auf Bundes- und Landesebene nach sich zog. Ich selbst sah, wie fast die gesamte akademische Gemeinschaft in Deutschland, die allgemeine Linie, in der das Urteil stand, und das Urteil selbst, grundsätzlich positiv, hatte aber in Einzelbereichen Zweifel an der Überzeugungskraft der Argumentation. So stellte ich etwa in meinem Vortrag auf der Deutschen Staatsrechtslehrertagung im Jahr 2021 die Notwendigkeit infrage, für die Situation der sogenannten konkretisierten Gefahr einen eigenen Begriff zu schaffen.
Aufgrund der weitreichenden Aussagen und der daraus resultierenden Folgen für die Sicherheitsgesetzgebung insgesamt bestand in Wissenschaft und Praxis ein großes Diskussions- und Beratungsbedürfnis. Zu der Interpretation der Entscheidung und ihren Folgen habe ich nach dem Urteil bis zu meiner Ernennung als Richter, wie viele der öffentlich-rechtlichen Kolleginnen und Kollegen, die auf diesem Gebiet arbeiten, in sehr unterschiedlicher Funktion Stellung genommen: als Wissenschaftler, als Lehrender, als Politikberater, als Gutachter und als Verfahrensbevollmächtigter. In diesen Äußerungen habe ich trotz ihrer großen Anzahl keine besondere pointierte und einheitliche Position bezogen. Vielmehr waren die Äußerungen stark von der jeweiligen Funktion geprägt, in der ich die Aussagen formuliert habe, und oft auch durch vorherige Abstimmung mit weiteren Personen, meist den Auftraggebern, beeinflusst. Hierzu im Einzelnen:
4. Entwurf eines Bundestagspolizeigesetzes
In der letzten Legislaturperiode (19. WP) trat die Bundestagsverwaltung mit der Bitte an mich heran, ihr bei der Formulierung eines Entwurfs für ein Bundestagspolizeigesetz zu helfen. Sie wollte nicht die Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium des Innern, um Hilfe bitten. Ziel war es, ein Polizeigesetz zu schaffen, das sich im Rahmen der anderen Bundespolizeigesetze bewegte und nur zu spezifischen Fragen der Bundestagsverwaltung einen eigenen Gedanken enthielt. Die erbetene Unterstützung war dabei nicht verfassungsrechtlicher, sondern einfachrechtlicher und gesetzgebungstechnischer Natur. Der Entwurf wurde von einem größeren Kreis, der aus Mitgliedern der Bundestagsverwaltung und mir bestand, vorbesprochen. Bestimmungen, die nicht spezifisch die Bundestagspolizei betrafen, wurden aus anderen Polizeigesetzen übernommen, insbesondere dem Bundespolizeigesetz sowie einem intern vorliegenden Entwurf zur Änderung des Bundespolizeigesetzes mit dem Zweck der Umsetzung des BKA-Urteils und der Umstellung des Dateiensystems beim BKA und auch dem BKAG. Den gemeinsam erarbeiteten Entwurf, um dessen vertrauliche Behandlung die Verwaltung bat, fasste ich unter meinem Namen zu einem Entwurf zusammen. § 41 des Entwurfs ist den §§ 12, 16 und 18 BKAG beziehungsweise den Randnummern 277 ff. des BKA-Urteils nachempfunden. Er unterscheidet sich von der Regelung der §§ 16 ff. BKAG insbesondere durch die sehr unterschiedliche Aufgabenstellung der Bundestagspolizei und die fehlende zentrale Stellung bei der Schaffung eines Informationsverbundes. Befugnisnormen zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme sieht der Entwurf in der Form vor, als der Bundestagspolizei gestattet wird, das Bundeskriminalamt zu beauftragen (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 Entwurf). Eine zusammenfassende Regelung zu den besonderen Mitteln der Datenerhebung kennt der Entwurf nicht.
Dem Entwurf lag zugleich eine an den damaligen Bundestagspräsidenten adressierte...
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