Beschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09
Datum der Entscheidung: | 2009/02/25 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 120/09 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau S...
Am Brambusch 24, 44536 Lünen -
gegen a) | den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2008 - L 11 B 23/08 KR ER -, |
b) | den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 10. September 2008 - S 11 KR 147/08 ER - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof
am 25. Februar 2009 einstimmig beschlossen:
- Die Beschlüsse des Sozialgerichts Duisburg vom 10. September 2008 - S 11 KR 147/08 ER - und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2008 - L 11 B 23/08 KR ER - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht zurückverwiesen.
- Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, betrifft die Versorgung der Beschwerdeführerin mit einem Elektrorollstuhl.
I.
Die 1961 geborene Beschwerdeführerin leidet an der Krankheit ALS (amyotrophe Lateralsklerose) mit nahezu vollständiger Lähmung der Muskulatur, wodurch sie komplett an den Rollstuhl gefesselt ist. Sprechen ist ihr kaum noch möglich; die Kommunikation erfolgt über einen Sprachcomputer. Es besteht nur noch eine Restfunktion im Bereich der Arme, die das Halten eines Stifts, nicht aber den Betrieb eines Rollstuhls aus eigenen Kräften erlaubt. Bei der Beschwerdeführerin ist die Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) festgestellt. Die Beschwerdeführerin lebt zusammen mit ihrem Ehemann im eigenen Haushalt.
Im September 2007 beantragte die Beschwerdeführerin bei ihrer Krankenkasse unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung ihres behandelnden Arztes die Versorgung mit einem speziell für sie hergerichteten Elektrorollstuhl samt elektronischer Mundsteuerung. Die Krankenkasse veranlasste eine medizinisch-psychologische Begutachtung der Beschwerdeführerin durch den TÜV Rheinland, der zu dem Ergebnis kam, bei der Beschwerdeführerin bestehe keine Fahrtauglichkeit für einen Elektrorollstuhl im Straßenverkehr. Hierauf lehnte die Krankenkasse die begehrte Versorgung ab und wies den Widerspruch der Beschwerdeführerin nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zurück.
Die Beschwerdeführerin hat beim Sozialgericht Duisburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und unter anderem ausgeführt, dass es ihr nicht um die Teilnahme am Straßenverkehr, sondern darum gehe, den Elektrorollstuhl im häuslichen Umfeld nutzen zu können. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 10. September 2008 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Begehren der Beschwerdeführerin ziele auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, da der begehrte Elektrorollstuhl mit Joystick-Mundsteuerung speziell für sie hergestellt werden müsse. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache komme nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch offensichtlich vorlägen. Hier seien aber umfangreiche medizinische Ermittlungen erforderlich, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssten. Aufgrund der ärztlicherseits festgestellten Einschränkung der Mobilität und des Reaktionsvermögens sei eine Selbst- als auch eine Fremdgefährdung bei der Benutzung des Elektrorollstuhls nicht auszuschließen. Soweit vorgetragen werde, dass die Antragstellerin von ihrem Ehemann in der Wohnung allein gelassen werden müsse, mache dies zwar auf der einen Seite das Begehren der Beschwerdeführerin nachvollziehbar, es verdeutliche aber auch, dass im Fall eines Unfalls mit dem Elektrorollstuhl nur verspätet Hilfe möglich sei. Diese Gefahr müsse sicher ausgeschlossen sein, bevor die begehrte Versorgung in Betracht komme.
Die dagegen erhobene Beschwerde hat...
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