BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 208/93 -
des Herrn Dr. B... |
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. A. Joppich, W. Deckers, P. Nickol, M. Peter und J. Kaimeyer, Theodor-Pyls-Straße 40, Essen -
gegen |
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a) |
das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. Dezember 1992 - 10 S 351/92 -, |
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b) |
das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 3. Juli 1992 - 25 C 376/91 - |
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und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Dieterich,
Kühling
und der Richterin Seibert
am 26. Mai 1993 beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen
- Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Urteile, durch die einer auf Eigenbedarf gestützten Räumungsklage stattgegeben worden ist.
A.
I.
Der Beschwerdeführer ist Mieter einer Wohnung im zweiten Obergeschoß einer Doppelhaushälfte. Deren Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung ist die 1912 geborene Klägerin; sie bewohnt die Wohnung im ersten Obergeschoß desselben Hauses. Der Sohn der Klägerin bewohnt eine Wohnung im ersten Obergeschoß der anderen Doppelhaushälfte; seine Wohnung liegt auf derselben Ebene wie diejenige der Klägerin. Beide Wohnungen grenzen unmittelbar aneinander. Die Klägerin kündigte dem Beschwerdeführer das Mietverhältnis und führte zur Begründung aus:
Sie benötige die Wohnung für ihren Sohn, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage sei, ihren Haushalt allein zu versorgen, und weil sie darauf angewiesen sei, ihren Sohn in nächster Nähe zu haben, damit dieser ihr helfen und sie pflegen könne. In einem früheren Räumungsrechtsstreit hatte sie vorgetragen, beide Wohnungen sollten durch eine Innentreppe miteinander verbunden werden.
Der Beschwerdeführer widersprach der Kündigung und räumte die Wohnung nicht. In dem anschließenden Räumungsrechtsstreit gab das Amtsgericht der Räumungsklage statt. Angesichts des Alters der Klägerin sowie ihrer gesundheitlichen Beschwerden, die insbesondere bei Gleichgewichtsstörungen schnelle Hilfe erforderlich machten, sei es nachvollziehbar, daß sie mit ihrem Sohn in einer verbundenen Wohnung leben wolle.
In der Berufungsinstanz erläuterte die Klägerin den geltend gemachten Eigenbedarf näher:
Sie habe die Absicht aufgegeben, ihre Wohnung mit derjenigen des Beschwerdeführers durch Einbau einer Innentreppe zu verbinden, weil das technisch nicht möglich sei. Über das Treppenhaus könne ihr Sohn sie aus der Wohnung des Beschwerdeführers ebenso schnell erreichen. Um aus der angrenzenden Doppelhaushälfte in ihre Wohnung zu gelangen, benötige er jedoch, selbst wenn er sich beeile, vier bis fünf Minuten. Entscheidend sei aber nicht, ob er einige Sekunden schneller in ihre Wohnung gelangen könne, sondern daß sie wisse, er wohne nicht im Nachbarhaus, sondern über ihr, könne aus diesem Grund häufiger nach ihr sehen und sei für sie schneller erreichbar, so daß sie jederzeit mit der schnellstmöglichen Hilfe durch ihn rechnen könne, falls ihr in ihrer Wohnung etwas zustoßen sollte.
Der Beschwerdeführer machte demgegenüber geltend, es sei abwegig anzunehmen, der Sohn benötige für den Weg zu seiner Mutter über zwei Treppen etwa vier bis fünf Minuten. Wenn die Klägerin in ihrer Wohnung einen Unfall erlitte, wäre ihr Sohn in der Wohnung darüber ebenso schwer zu verständigen wie in der Nachbarwohnung.
Das Landgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück:
Die Klägerin habe hinreichend substantiiert vorgetragen, daß sie aufgrund schwerwiegender Erkrankungen nicht mehr in der Lage sei, für sich zu sorgen, und infolgedessen auf eine Pflegeperson in unmittelbarer räumlicher Nähe zu der von ihr bewohnten Wohnung angewiesen sei. Der geltend gemachte Bedarfsgrund sei demgemäß nachvollziehbar und vernünftig. Um der Klägerin die notwendige Pflege zuteil werden zu lassen, müsse ihr Sohn die vom Beschwerdeführer gemietete Wohnung beziehen. Zwar bewohne dieser in der anderen Doppelhaushälfte eine Wohnung, die unmittelbar an diejenige der Klägerin angrenze. Dennoch sei ein Umzug notwendig, da nur auf diese Weise die räumliche Trennung verringert und eine Betreuung der Klägerin erleichtert werden könne. Dem stehe nicht entgegen, daß es technisch nicht möglich sei, beide Wohnungen durch eine zusätzliche Treppe miteinander zu verbinden. Denn es mache einen erheblichen Unterschied, ob die Versorgung der pflegebedürftigen Klägerin aus demselben Haus oder aus dem Nachbarhaus erfolgen könne. Die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf sei grundsätzlich zu achten, insbesondere dürfe das Gericht seine eigene Planung nicht an die Stelle derjenigen des Eigentümers setzen, es sei denn, der Nutzungswunsch sei als mißbräuchlich zu bewerten. Da hierfür keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, müsse der verständliche Wunsch der pflegebedürftigen Klägerin respektiert werden, ihren Sohn in unmittelbarer räumlicher Nähe, und zwar in ihrem eigenen Haus, zu wissen.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 13 und Art. 14 GG.
Das Urteil des Amtsgerichts, insbesondere aber die Entscheidung des Landgerichts verletzten das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Sohn der Klägerin könne diese ebenso pflegen, wenn er im Nachbarhaus wohne. Er brauche nur einige Stufen hinunter-, durch die unmittelbar daneben gelegene Tür in das Nachbarhaus hinein- und einige Stufen zur Wohnung der Klägerin hinaufzugehen. Daß ihr Sohn über ihr wohne, sei nicht notwendig. Eine unmittelbare räumliche Nähe sei auch dann gegeben, wenn der Sohn im Nachbarhaus wohne. Das Landgericht stelle in seinem Urteil lediglich fest, es mache einen erheblichen Unterschied, ob die Versorgung der pflegebedürftigen Klägerin aus demselben Haus oder aus dem Nachbarhaus erfolge. Diese Begründung sei nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hätte seine Auffassung eingehend begründen müssen, zumal sie den Schwerpunkt des Rechtsstreits betroffen habe und der Sohn der Klägerin auch bei Einzug in die Wohnung des Beschwerdeführers von seiner Mutter räumlich getrennt wohne. Das Landgericht lasse für eine Eigenbedarfskündigung einen Selbstnutzungswunsch ausreichen, den es lediglich daraufhin nachprüfe, ob er mißbräuchlich sei. Das reiche nicht aus. Vielmehr sei die Vernünftigkeit und Nachvollziehbarkeit des Selbstnutzungswunsches zu prüfen. Dies sei hier nicht geschehen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihn außerdem in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 2 GG, der die Belange des Mieters schütze und dem Erlangungsinteresse des Eigentümers entgegengesetzt werden könne. Ebenso werde er in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG verletzt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es sich mit seinen Belangen angemessen auseinandergesetzt hätte.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts richtet. Sie genügt insoweit nicht dem Begründungserfordernis aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
Das Amtsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, die Wohnung des Beschwerdeführers und diejenige der Klägerin sollten und könnten durch eine innen gelegene Treppe miteinander verbunden werden. Durch diese Verbindung beider Wohnungen werde die Pflege und Betreuung der Klägerin wesentlich erleichtert. Deshalb hat das...