Beschluss vom 27. September 2024 - 2 BvR 375/24
| ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240927.2bvr037524 |
| Judgement Number | 2 BvR 375/24 |
| Date | 27 September 2024 |
| Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2024 - 2 BvR 375/24 -, Rn. 1-26, |
| Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 375/24 -
über
die Verfassungsbeschwerde
| des Herrn (…), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
gegen | a) | den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2024 - 639 Qs 4/24 OWi -, |
b) | den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 15. September 2023 - 728a OWi 35/23 -, | |
c) | den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 7. September 2023 - 728a OWi 35/23 - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Maidowski,
die Richterin Wallrabenstein
und den Richter Frank
am 27. September 2024 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 7. September 2023 - 728a OWi 35/23 - verletzt den Beschwerdeführer – soweit darin über seine notwendigen Auslagen entschieden ist – in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
- Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 15. September 2023 - 728a OWi 35/23 - und des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2024 - 639 Qs 4/24 OWi - werden damit gegenstandslos.
- Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslagenentscheidung nach gerichtlicher Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens.
I.
1. Gegen den Beschwerdeführer erging ein Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften in Höhe von 143,75 €. Nach fristgerecht eingelegtem Einspruch setzte das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek (im Folgenden: Amtsgericht) Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2023 fest, zu dem es das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers anordnete. Der vom Beschwerdeführer mandatierte Verteidiger nahm Akteneinsicht, konnte aber zwischen der auf dem Beweisfoto abgebildeten Person und dem Beschwerdeführer eine Übereinstimmung nicht feststellen. Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer in Begleitung seines Verteidigers. Zur Sache befragt gab der Verteidiger eine Erklärung ab, wonach der Beschwerdeführer nicht der Fahrer sei. Daraufhin verkündete das Amtsgericht folgenden Beschluss: „Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse nicht.“ Gründe enthielt der Beschluss nicht.
2. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erhob gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. September 2023 mit Schreiben vom 14. September 2023 „(sofortige) Beschwerde“, zudem beantragte er beim Amtsgericht mit gesondertem Schreiben vom selben Tag „sowohl im Wege der Gegenvorstellung, als auch im Wege der Anhörungsrüge“ die Aufhebung des Beschlusses, jedenfalls auch die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das Amtsgericht verwarf mit Beschluss vom 15. September 2023 die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung als unzulässig. Eine Begründung erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2023 begründete der Beschwerdeführer seine Beschwerde unter Verweis auf den Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 - dahingehend, dass hier die Beschwerde nach Ablehnung der Anhörungsrüge statthaft sei und zum Rechtsweg gehöre, der vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfen sei. Das Landgericht Hamburg (im Folgenden: Landgericht) verwarf mit Beschluss vom 18. Januar 2024 die sofortige Beschwerde als unzulässig. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass nach § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen nicht anfechtbar sei, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung nicht statthaft sei. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit des Einstellungsbeschlusses ausdrücklich aus. Im Übrigen sei die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar.
II.
Mit seiner am 19. Februar 2024 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) durch die ihn belastende Auslagenentscheidung.
Das Amtsgericht sei angesichts der Beweislage verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer freizusprechen, ihn jedenfalls vor Erlass der Einstellungs- und Kostenentscheidung hierzu anzuhören. Dies sei nicht erfolgt. Zudem habe das Amtsgericht gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen, weil sich dem Beschluss des Amtsgerichts nicht einmal im Ansatz entnehmen lasse, aus welchem Grund es die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer auferlegt habe. Der erkennende Richter sei gegenüber dem Beschwerdeführer voreingenommen gewesen, weshalb dieser in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt sei.
III.
Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
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