Beschluss vom 28. Oktober 2020 - 2 BvR 764/20
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20201028.2bvr076420 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2020 - 2 BvR 764/20 -, Rn. 1-61, |
Judgement Number | 2 BvR 764/20 |
Date | 28 Octubre 2020 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 764/20 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau B…, |
- Bevollmächtigte:
- … -
gegen |
a) |
den Beschluss des Landgerichts Bremen |
vom 25. März 2020 - 6 T 84/20 -, |
||
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Bremen |
|
vom 24. Februar 2020 - 530 IN 7/18 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Maidowski
und die Richterin Langenfeld
am 28. Oktober 2020 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landgerichts Bremen vom 25. März 2020 - 6 T 84/20 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Bremen zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Die Freie Hansestadt Bremen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
A.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die unverzügliche Zurückweisung ihrer sofortigen Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung eines Insolvenzplans im Verfahren nach § 253 Abs. 4 InsO.
I.
1. Die Beschwerdeführerin schloss mit der späteren Insolvenzschuldnerin (nachfolgend: Schuldnerin) am 23. Juli 2015 einen notariellen Grundstückskaufvertrag mit Herstellungsverpflichtung (im Folgenden: Bauträgervertrag) ab. Darin verpflichtete sich die Schuldnerin eine Wohnanlage mit 22 Wohneinheiten sowie Tiefgaragenstellplätzen auf einem ihr gehörenden Grundstück in X… zu erstellen und dieses an die Beschwerdeführerin zu veräußern. Zur Sicherung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Auflassung des Grundstücks bewilligte die Schuldnerin zu deren Gunsten eine Vormerkung, die später im Grundbuch eingetragen wurde. Im Bauträgervertrag wurde ein Gesamtkaufpreis von 5,304 Mio. Euro vereinbart, von dem ein Teilbetrag von 446.700 Euro auf das Grundstück entfallen sollte; der Kaufpreis sollte nach Baufortschritt in Teilbeträgen gezahlt werden. Die Beschwerdeführerin leistete bis zum Frühjahr 2017 eine Teilzahlung in Höhe von 1,326 Mio. Euro an die Schuldnerin. Anfang des Jahres 2017 kam es zu Streit zwischen den Vertragsparteien; die Bautätigkeit kam nach Errichtung der Tiefgarage und einigen Wänden des Erdgeschosses zum Stillstand. Die Beschwerdeführerin sprach im Frühjahr 2017 eine Teilkündigung des Bauträgervertrages hinsichtlich der Bauleistungen aus und verlangte Auflassung des Grundstücks. Im Juli 2017 erhob sie hierauf Klage gegen die Schuldnerin vor dem Landgericht X…; das Landgericht verurteilte die Schuldnerin durch Urteil vom 14. August 2018 antragsgemäß zur Auflassung des Grundstücks an die Beschwerdeführerin und wies zugleich von der Schuldnerin nach eigenen Rücktrittserklärungen geltend gemachte Gegenansprüche auf Rückabwicklung des Vertrages zurück. Die Schuldnerin legte gegen dieses Urteil fristgemäß Berufung ein.
Auf Eigenantrag der Schuldnerin eröffnete das Amtsgericht Bremen am 18. Dezember 2019 ein Insolvenzverfahren über deren Vermögen und bestellte einen Verwalter. Der Rechtsstreit vor dem Landgericht X… war bereits durch Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots am 7. November 2019 noch während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist unterbrochen worden. Der Verwalter verkaufte das Grundstück zu einem Kaufpreis in Höhe von 2,55 Mio. Euro an einen Dritten. Der Kaufvertrag enthält einen Rücktrittsvorbehalt zugunsten des Verwalters bis zum 31. März 2021 für den Fall, dass bis zum 28. Februar 2021 keine Löschungsbewilligung für die zugunsten der Beschwerdeführerin im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung vorliegt.
Im Erörterungs- und Abstimmungstermin am 10. Februar 2020 wurde der vom Verwalter vorgelegte Insolvenzplan von allen Gruppen mit Ausnahme der – allein die Beschwerdeführerin umfassenden – Gruppe der „Vertragspartner des Bauträgervertrages“ angenommen. Der Plan sieht im gestaltenden Teil eine als „Vergleich“ bezeichnete Regelung zwischen der Beschwerdeführerin und der Schuldnerin vor. Danach wird der Bauträgervertrag einvernehmlich aufgehoben und der Rechtsstreit vor dem Landgericht X… für erledigt erklärt; die Beschwerdeführerin stimmt der Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Vormerkung in grundbuchförmlicher Weise zu. Im Gegenzug erhält sie „in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 InsO und zur Abgeltung der durch die Vormerkung gesicherten Rechte“ einen Betrag in Höhe von 492.000 Euro im Range einer sonstigen Masseverbindlichkeit. Der Betrag setzt sich zusammen aus dem nach dem Bauträgervertrag auf den Erwerb des Grundstücks entfallenden Teil des Kaufpreises und einem „pauschalen Zuschlag zur Abgeltung der Rechtsrisiken“ in Höhe von 10 %. Mit der Erfüllung des Vergleichs sollen alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Bauträgervertrag einschließlich solcher aus insolvenzrechtlicher Anfechtung dieses Vertrages abgegolten und erledigt sein.
Zu Art und Zielen des Plans ist im darstellenden Teil ausgeführt: Das Grundstück stelle den einzigen Vermögenswert der Schuldnerin dar. Es habe einen Wert, der deutlich oberhalb des Wertes liege, der ihm in dem Bauträgervertrag beigemessen worden sei. Bei Vollzug des Urteils des Landgerichts X… würde der Beschwerdeführerin der volle Mehrwert der teilfertigen Bebauung zugutekommen, obwohl sie grundpfandrechtlich insoweit nicht gesichert sei und ihr daher keine insolvenzrechtliche Vorrangposition zustehe. Der Insolvenzplan verfolge daher das Ziel, den in dem Grundstück gebundenen Mehrwert sowie den durch zwischenzeitliche teilweise Bebauung realisierten Wert durch freien Verkauf des Grundstücks zugunsten der Gläubigergesamtheit zu realisieren. Die Beschwerdeführerin sei als Insolvenzgläubigerin nach § 38 InsO Planbeteiligte. § 106 Abs. 1, § 254 Abs. 2 InsO stünden dem freien Verkauf der Immobilie nicht entgegen, weil der Plan nicht in einen nichtdispositiven Masseanspruch des Gläubigers eingreife, sondern unter Abwägung der beidseitigen rechtlichen Risiken die Erklärungen sowohl des Gläubigers als auch der Schuldnerin zur vergleichsweisen Aufhebung des Kausalgeschäfts vorsehe. Es werde nicht auf die Vormerkung eingewirkt, sondern das Kausalgeschäft unter Berücksichtigung seiner insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit durch Gestaltungserklärung der Parteien aufgehoben. Der Bauträgervertrag sei als teilweise unentgeltliche Leistung der Schuldnerin gemäß § 129, § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, so dass der durch die Auflassungsvormerkung gesicherte Anspruch der Beschwerdeführerin keinen Bestand haben könne. Der Bauträgervertrag sehe einen deutlich zu geringen anteiligen Kaufpreis für den Erwerb des Grundstücks vor. Der vereinbarte Kaufpreisanteil habe im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 27,5 % unter dem Bodenrichtwert gelegen; im Verhältnis zum tatsächlichen Wert des Grundstücks am Tag der Teilkündigung sei er ausweislich einer vom Verwalter veranlassten Begutachtung um rund 66 % zu niedrig angesetzt worden. Zusätzlich bestünden für die Beschwerdeführerin weitere Rechtsrisiken aus dem gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit vor dem Landgericht X… Der Plan nehme das Ergebnis der Anfechtung vorweg und regele die einvernehmliche Aufhebung des Bauträgervertrages gegen vollständige Rückzahlung des Kaufpreises nebst einem Zuschlag zur Abgeltung der diesseitigen Prozessrisiken. Hierdurch werde zugleich das Ziel erreicht, der Gläubigergesamtheit den der Beschwerdeführerin nicht zustehenden Mehrwert des Grundstücks zuzuweisen.
2. Mit Beschluss vom 24. Februar 2020 bestätigte das Amtsgericht den Insolvenzplan. Der Insolvenzplan enthalte eine Regelung der von § 217 Satz 1 InsO umfassten Regelungsgegenstände. Auch Anfechtungsansprüche seien einer Planregelung mit Zwangswirkung gegen Widersprechende zugänglich, weil sie zur Masse gehörten und ihre Durchsetzung eine Frage der Verwertung der Masse sei. Allerdings dürften keine neuen selbständigen Zahlungsverpflichtungen zu Lasten des Anfechtungsgegners begründet werden. Hierauf komme es aber letztlich nicht an, weil der Plan vorrangig gerade keine Anfechtungsansprüche regele, sondern eine Aufhebung des Bauträgervertrages vorsehe, neben den die Anfechtbarkeit trete. Eine solche Einigung sei der Regelung durch den Plan zugänglich. Hierdurch werde auch nicht unmittelbar auf die Auflassungsvormerkung eingewirkt, weil diese allein wegen ihrer gesetzlichen Akzessorietät zu der im Plan geregelten Vertragsaufhebung erlösche. Die Zustimmung der Beschwerdeführerin gelte gemäß § 245 Abs. 1 InsO als erteilt, weil eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Schlechterstellung der Beschwerdeführerin durch den Plan unabhängig davon, ob sie im Anfechtungsprozess obsiegen würde oder nicht, nach der Prognose des Gerichts („voraussichtlich“) nicht gegeben sei; ihre Zustimmung sei daher zu fingieren.
3. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin am 9. März 2020 sofortige Beschwerde ein, die sie am 11. März 2020 begründete. Aufgrund einer zuvor vom Verwalter beim Amtsgericht hinterlegten Schutzschrift vom 7. Februar 2020, mit der dieser eine Entscheidung im Freigabeverfahren gemäß § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO beantragt hatte, legte dieses dem Landgericht die Akten ohne Abhilfeprüfung vor.
Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 25. März...
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