Leitsätze
zum Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. April 2021
2 BvR 1543/20
- In Strafsachen werden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher ist substantiierter Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten – oder die Klarstellung, dass der Beschluss nur einem der Beteiligten bekanntgegeben wurde – jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO findet im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung
- Die Vorgaben an die Transparenz des Verständigungsverfahrens erfordern, dass Angeklagter und Staatsanwaltschaft einem gerichtlichen Verständigungsvorschlag ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – zustimmen. Nur in Ausnahmefällen wird ein Urteil nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1543/20 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn B…, |
- Bevollmächtigter:
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… -
gegen |
a) |
den Beschluss des Bundesgerichtshofs |
vom 1. Juli 2020 - 6 StR 96/20 -, |
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b) |
das Urteil des Landgerichts Lüneburg |
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vom 11. November 2019 - 22 KLs/8106 Js 11236/19 (20/19) - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 29. April 2021 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafrechtliche Verurteilung durch das Landgericht Lüneburg und den seine Revision verwerfenden Beschluss des Bundesgerichtshofs. Er macht die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch eine willkürliche Anwendung der Vorschriften zur Verständigung im Strafprozess geltend.
In dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer unterbreitete der Kammervorsitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verständigungsvorschlag, dem der Beschwerdeführer zustimmte. Die Staatsanwaltschaft gab keine ausdrückliche Zustimmungserklärung ab. Auf Grundlage des Verständigungsvorschlags gestand der Beschwerdeführer (§ 257c Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Landgericht legte dem Urteil die Verständigung zugrunde.
Mit der Revision rügte der Beschwerdeführer, die Verständigung sei verfahrensfehlerhaft gewesen. Da die Staatsanwaltschaft einer Verständigung nicht ausdrücklich zugestimmt habe, sei keine wirksame Verständigung zustande gekommen. Die Zustimmung zu einer Verständigung nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO müsse ausdrücklich und nicht nur konkludent erklärt werden. Die Strafkammer sei mithin zu Unrecht von einer wirksamen Verständigung ausgegangen. Auf diesem Verfahrensfehler beruhe das Urteil, da das Geständnis durch das rechtsfehlerhafte Verfahren beeinflusst gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe auf die Wirksamkeit der Verständigung – insbesondere den Schutz durch § 257c Abs. 4 StPO – vertraut, als er nach Maßgabe des § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO ein Geständnis abgelegt habe.
Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO, ohne zu den Verfahrensrügen auszuführen. Er folgte damit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, der es als ausreichend erachtete, dass sich „unzweifelhaft“ eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Insbesondere folge die Zustimmung hier aus dem Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensabtrennung, weil diese in Zusammenhang mit dem verständigungsbasierten Geständnis des Beschwerdeführers gestanden habe. Zudem habe die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Hauptverhandlung eine Strafe beantragt, die sich im Rahmen des Verständigungsvorschlages gehalten habe. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf dem gerügten Verfahrensverstoß, weil der Beschwerdeführer so gestellt sei, als wenn die Verständigung wirksam gewesen wäre. Alle Verfahrensbeteiligten hätten sich im weiteren Verfahrensgang an den Verständigungsvorschlag des Gerichts gehalten, und das Urteil sei dem Verständigungsvorschlag entsprechend ausgefallen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da sie unzulässig ist. Der Beschwerdevortrag genügt den Substantiierungs- und Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht.
1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt, dass ein Beschwerdeführer zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen seiner Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Hierzu gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten ist (vgl. BVerfGK 14, 468 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 3; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2018 - 2 BvR 1548/14 -, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 2).
2. Diesen Vorgaben wird der Beschwerdevortrag nicht gerecht. Der Beschwerdeführer legt nur dar, wann die das fachgerichtliche Verfahren abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2020 seinem im Revisionsverfahren mandatierten Verteidiger zugegangen ist. Vortrag dazu, ob und wann ihm selbst die Entscheidung bekanntgegeben wurde, lässt er vermissen. Da die erste Bekanntgabe der Entscheidung im Hinblick auf die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG fristauslösend wirkt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 8; Jahn, in: Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, 2. Aufl. 2017, Rn. 290) und die Revisionsentscheidung regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben wird, ist die Angabe aller Zugangszeitpunkte – mithin sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) sowie bei dem Beschuldigten – jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist – wie hier – nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Ohne substantiierten Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten – oder die Klarstellung, dass der Beschluss nur einem der Beteiligten bekanntgegeben wurde – kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR...