Beschluss vom 30.09.2021 - BVerwG 1 WB 18.21

JurisdictionGermany
Judgment Date30 Septiembre 2021
Neutral CitationBVerwG 1 WB 18.21
ECLIDE:BVerwG:2021:300921B1WB18.21.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 30.09.2021 - 1 WB 18.21 -
Registration Date03 Noviembre 2021
Subject MatterVorlagen, Anträge und Beschwerden nach der WBO in truppendienstl. Angelegenheiten
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number300921B1WB18.21.0

BVerwG 1 WB 18.21

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Nies und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Hege
am 30. September 2021 beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 10. September 2020 und der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 15. Februar 2021 werden aufgehoben
  2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen
  3. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt
Gründe I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung für den Bereich Verschlusssachenschutz (Ü 2-VS).

2 Der 1974 geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit dem März 2034 enden. Im März 2020 wurde er zum Oberstleutnant befördert und zum Januar 2020 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 eingewiesen. Seit Januar 2017 wird er - ... - bei der ... verwendet. Dort wird er nicht in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt.

3 2008 wurde für den Antragsteller eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung für den Bereich Verschlusssachenschutz (Ü 2) ohne Feststellung eines Sicherheitsrisikos abgeschlossen.

4 2013 wurde gegen ihn wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafrechtlich ermittelt. Nach seiner Vernehmung als Beschuldigter wurde das Strafverfahren am 28. Juni 2013 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Beschuldigte gebe an, den Unfall nicht bemerkt zu haben. Dies könne nicht widerlegt werden. Der Schaden sei gering. Aufgrund der konkreten Verkehrssituation sei der Anstoß nur schwer wahrnehmbar gewesen.

5 2014 wurde für ihn eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) in Auftrag gegeben. Nachdem im Juli 2015 bekannt wurde, dass sich der Antragsteller in verschiedenen Situationen abwertend über Ausländer, Einwanderer und Asylsuchende geäußert hatte, wurde wegen dieser und verschiedener beleidigender Äußerungen gegenüber von Kameraden gegen ihn durch Disziplinargerichtsbescheid vom 8. März 2016 ein Beförderungsverbot verhängt. Anschließend wurde die Sicherheitsüberprüfung am 1. Juni 2016 ohne Ergebnis eingestellt. Zuvor ergangene Mitteilungen über das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung seien damit ungültig und berechtigten nicht mehr zur Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Eine erneute Sicherheitsüberprüfung sei frühestens ab Oktober 2018 zuzulassen.

6 Dem Disziplinargerichtsbescheid liegen folgende tatsächliche Feststellungen zugrunde: Am 13. Mai 2015 sagte der Antragsteller in einem von ihm durchgeführten Unterricht in Anwesenheit von Rekruten und weiteren Soldaten zumindest sinngemäß: "Nicht jedes Negerlein, das nach Deutschland kommt, ist ein gutes Negerlein." Am 28. April 2015 äußerte er anlässlich einer Fußballübertragung gegenüber einem Hauptmann und einem Feldwebel über einen Fußballspieler sinngemäß "Scheiß Drecksslovene" und "Scheiß Drecksslovake". Am 7. Juli 2015 sagte er zu einem Hauptmann und einem Leutnant sinngemäß: "Irgendjemand muss ja für die Drecksneger bezahlen, die durchs Mittelmeer kommen." Weiter hat das Truppendienstgericht festgestellt, aus den Akten ergebe sich, dass der Soldat nicht als "böswilliger Schleifer" oder ähnliches zu bewerten sei, sondern als "Raubatz", der den Aufstieg zum Offizier nicht ausreichend verarbeitet habe. Sein Fehlverhalten sei von familiären Belastungen und einer daraus folgenden psychischen Überforderung begünstigt. Zweifel an der Verfassungstreue des Mannes stütze der Akteninhalt nicht.

7 Von der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen der Äußerungen sah die zuständige Staatsanwaltschaft ab, weil der Vorwurf keinen Straftatbestand erfülle.

8 Unter dem 17. Mai 2018 wurde das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst erneut mit der Durchführung einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung für den Bereich Verschlusssachen beauftragt.

9 In diesem Rahmen gab der Antragsteller unter dem 8. Mai 2018 eine schriftliche Sicherheitserklärung ab. In dieser verneinte er - wie schon in seiner Sicherheitserklärung vom 27. Juli 2014 in dem eingestellten Verfahren - die Fragen unter Punkt 8 zu Wohnsitzen und Aufenthalten in Staaten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG. Der Antragsteller war 1998 und 2002/2003 jeweils im Rahmen von KFOR-Einsätzen in den Kosovo kommandiert.

10 Am 21. Mai 2019 wurde er durch den MAD befragt. In diesem Gespräch berichtete er im Hinblick auf straf- oder disziplinarrechtliche Verfehlungen der Vergangenheit von einer strafrechtlich mit einer Geldstrafe und disziplinarisch mit einer Ermahnung geahndeten Trunkenheitsfahrt im Jahr 2004. 2009 sei gegen ihn disziplinarrechtlich ein Beförderungsverbot und eine Bezügekürzung sowie strafrechtlich eine Geldstrafe verhängt worden, weil er sich zu Unrecht drei Stunden Dienst zu ungünstigen Zeiten zuerkannt habe. Weitere strafrechtliche Verfehlungen habe er nicht begangen und es sei aktuell auch kein weiteres Verfahren anhängig. Außerdem äußerte er sich zu seiner finanziellen Situation, seinem Alkoholkonsum und einer psychotherapeutischen Behandlung.

11 Im Rahmen der Ermittlungen wurden auch Auskünfte vom Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers, von der Leiterin des Sanitätsversorgungszentrums, seiner Truppenärztin sowie eines Facharztes für Psychiatrie im Facharztzentrum ... eingeholt, Auszüge aus seiner Gesundheitsakte beigezogen und ein Drogenschnelltest durchgeführt.

12 Unter dem 11. Mai 2020 hörte der Geheimschutzbeauftragte den Antragsteller schriftlich zu der beabsichtigten Feststellung eines Sicherheitsrisikos an.
Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ergäben sich daraus, dass er es in der Befragung durch den MAD unterlassen habe, Angaben zu einem Strafverfahren wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Jahr 2013 zu machen. Außerdem habe er in seiner Sicherheitserklärung keine Angaben zu Auslandsaufenthalten im Rahmen von KFOR-Einsätzen 1998 und 2002/2003 gemacht. Zweifel an seiner Zuverlässigkeit würde wegen der Einschätzung der Leiterin des Sanitätsversorgungszentrums auch seine psychische Erkrankung und sein Alkoholkonsum aufwerfen. Zudem gebe es Zweifel an seinem Bekenntnis zur bzw. seinem jederzeitigen Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung, weil er sich 2015 als Major und Vorgesetzter mehrfach auch im Beisein von Rekruten ausländerfeindlich geäußert habe.

13 Auf Wunsch des Antragstellers wurde er am 30. Juni 2020 beim Geheimschutzbeauftragten des Streitkräfteamtes persönlich angehört. Hierbei gab er an, die Auslandsaufenthalte im Kosovo in der Sicherheitserklärung nicht angegeben zu haben, weil er die Frage auf private und nicht auf dienstliche Aufenthalte bezogen habe. Zu dem 2013 eingeleiteten Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort habe er dem MAD darüber berichtet, dass es die Anzeige gegeben, die Polizei ihn aufgesucht habe und dass er von dem abgefahrenen Außenspiegel nichts bemerkt habe. Auf den Vorhalt, dass nicht das Verfahren an sich den sicherheitserheblichen Umstand darstelle, sondern der Umstand, dass er nach dem Bericht des MAD das Verfahren nicht von sich aus angegeben habe, gab der Antragsteller an, dass er sich daran nicht erinnern könne und ihm das Verfahren dann wohl nicht mehr präsent gewesen sei. Er habe das Verfahren nicht vorsätzlich verschwiegen. Die ausländerfeindlichen Äußerungen habe er getätigt. Sie seien "unpassend und mehr als dämlich" gewesen. Er habe sich als Chef falsch verhalten und das Urteil des Truppendienstgerichts akzeptiert. Dieses habe aber auch festgestellt, dass keine Zweifel an seiner Verfassungstreue bestünden. Er sei wegen eines Burnouts in psychotherapeutischer Behandlung und nach Abschluss einer Reha-Maßnahme wieder voll dienstfähig. Sein Arzt habe ihm eine Kurzzeittherapie empfohlen, die er begonnen, aber aus Zeitmangel noch nicht abgeschlossen habe. Er wolle zum Erhalt seiner Dienstfähigkeit auch noch in Kur gehen, was sich durch Corona verschoben habe.

14 Unter dem 27. Mai 2020...

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