BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 616/99 -
- 1 BvR 1028/03 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. | des Herrn Dr. W... |
Heiligenberger Straße 18, 10318 Berlin -
1. unmittelbar gegen
a) | das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 - B 4 RA 33/09 R -, |
b) | das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 9. April 1998 - L 1 RA 38/96 -, |
c) | das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Januar 1996 - S 4 An 223/95 -, |
d) | die vorangegangenen Bescheide der Bahnversicherungsanstalt - 48 060531 W 008 AA 7122 -, |
2. mittelbar gegen
die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften, insbesondere § 256 a Abs. 2 und 3 SGB VI
- 1 BvR 616/99 -,
II. | der Frau R... |
Heiligenberger Straße 18, 10318 Berlin -
1. unmittelbar gegen
a) | das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. Dezember 2002 - B 5 RJ 14/00 R -, |
b) | das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 10. Mai 2000 - L 2 RJ 115/96 -, |
c) | das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. Mai 1996 - S 9 R 109/94 -, |
d) | den Rentenbescheid der Bahnversicherungsanstalt vom 4. Dezember 1998 - 44 190233 F 512 4058 -, |
e) | den Bescheid zur Rentenanpassung vom 1. Juli 2000 - 978 44 190233 F 512 11 -, |
f) | den Bescheid zur Rentenanpassung vom 1. Juli 2001 - 978 44 190233 F 512 11 -, |
g) | den Bescheid zur Rentenanpassung vom 1. Juli 2002 - 978 44 190233 F 512 11 -, |
2. mittelbar gegen
die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften, insbesondere § 256 a Abs. 2 und 3 SGB VI
- 1 BvR 1028/03 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Gaier
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 30. August 2005 einstimmig beschlossen:
Die miteinander verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Höhe der Rente von Mitarbeitern der Deutschen Reichsbahn in der Deutschen Demokratischen Republik nach der Überleitung der Renten in die gesamtdeutsche Rentenversicherung.
I.
Die Alterssicherung in der Deutschen Demokratischen Republik erfolgte entweder über die allgemeine Sozialpflichtversicherung, gegebenenfalls ergänzt durch die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR), oder über die Zugehörigkeit zu einem der über 60 Zusatz- oder Sonderversorgungssysteme (vgl. hierzu BVerfGE 100, 1 <3 ff.>). Dabei wichen nicht nur die Regelungen in den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen zum Teil stark voneinander ab. Auch in der grundsätzlich einheitlichen Sozialpflichtversicherung gab es für bestimmte Berufsgruppen vorteilhafte Sonderregelungen.
1. Die vorliegenden Verfahren betreffen begünstigende Vorschriften nach der so genannten Eisenbahnerversorgung der Deutschen Demokratischen Republik. Diese Versorgung wurde durch die Anordnung über die Einführung einer Altersversorgung für Eisenbahner vom 7. Januar 1956 zusammen mit der 1. Durchführungsbestimmung vom 9. Februar 1956 (veröffentlicht in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Verkehrswesen, 1956, Nr. 11, S. 41; im Folgenden: Eisenbahnerversorgung-EinführungsAO) und die Verordnung über die Pflichten und Rechte der Eisenbahner in der Deutschen Demokratischen Republik - Eisenbahner-Verordnung - vom 18. Oktober 1956 (GBl I S. 1211) begründet (vgl. hierzu Wollschläger, DRV 1999, S. 675; Deter, DRV 2002, S. 10). Danach hatte Anspruch auf Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn (DR), wer am 1. Januar 1956 oder danach bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt war, die Altersgrenze erreicht hatte und eine Wartezeit von 15 Jahren sowie eine ununterbrochene Beschäftigungszeit bei der Deutschen Reichsbahn von 10 Jahren vorweisen konnte (§ 2 Abs. 1 Eisenbahnerversorgung-EinführungsAO; § 12 EisenbahnerVO 1956). Anfangs handelte es sich um eine eigenständige Versorgung der DR-Mitarbeiter, die - vergleichbar den Sonderversorgungssystemen - unabhängig von der allgemeinen Sozialversicherung und den dort maßgeblichen Vorschriften war.
Die Höhe der Versorgungsleistungen war abhängig von der Beschäftigungsdauer und begann ab einer 10jährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit bei 20 vom Hundert des durchschnittlichen Monatsgrundlohns der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalles. Jedes weitere Beschäftigungsjahr bis zu einer 25jährigen Beschäftigungszeit führte zu einer Erhöhung um 2 vom Hundert; jedes darüber hinaus gehende Jahr der Beschäftigung bewirkte eine Erhöhung um 1 vom Hundert. Als Höchstsatz war 70 vom Hundert des Monatsgrundlohns vorgesehen. Die Altersversorgung durfte allerdings 800 Mark monatlich nicht übersteigen (vgl. § 2 Abs. 3 und 10 der Eisenbahnerversorgung-EinführungsAO). Im Ergebnis führte diese Regelung dazu, dass die in der Sozialpflichtversicherung der Deutschen Demokratischen Republik geltende starre Beitragsbemessungsgrenze von 600 Mark für die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn, die die besonderen Anspruchsvoraussetzungen dieser Versorgung erfüllten, außer Kraft gesetzt war. Wer als Angehöriger der Deutschen Reichsbahn die Voraussetzungen für deren Altersversorgung nicht erfüllte, erhielt eine "normale" Sozialversicherungs-Rente als Alters- oder Invalidenrente von der Deutschen Reichsbahn gezahlt (vgl. § 2 Abs. 2 der Eisenbahnerversorgung-EinführungsAO).
2. Nachdem die Deutsche Demokratische Republik durch die Verordnung über die Verbesserung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung und der Leistungen der Sozialversicherung bei Arbeitsunfähigkeit vom 10. Februar 1971 (GBl II S. 121; im Folgenden: FZR-VO 1971) eine allgemeine Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR) eingeführt hatte, wurde 1973 die Altersversorgung der DR-Beschäftigten in der Verordnung über die Pflichten und Rechte der Eisenbahner - Eisenbahner-Verordnung - vom 28. März 1973 (GBl I 1973, S. 217; im Folgenden: EisenbahnerVO 1973) in das System der allgemeinen Sozialversicherung und insbesondere in deren Rentenberechnungssystem eingefügt. Es wurde eine von der Anzahl der Arbeitsjahre abhängige Mindestrente durch einen variablen Rentenanteil aufgestockt, indem ein Steigerungsbetrag von 1,5 vom Hundert des monatlichen Durchschnittsverdienstes für jedes Jahr der versicherungspflichtigen Tätigkeit oder Zurechnungszeit hinzuaddiert wurde.
3. Den Beschäftigten blieb, soweit sie - wie im Falle des Verfahrens 1 BvR 616/99 - als "Altfälle" bereits eine Anwartschaft auf die "Alte Versorgung" erworben hatten, die vor dem 1. Januar 1974 erworbene Anwartschaft auf Altersversorgung nach der früheren Rechtslage auch ohne den Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung erhalten. Nach § 13 EisenbahnerVO 1973 waren auf sie unter näher bestimmten Voraussetzungen die bisherigen Versorgungsbestimmungen weiter anzuwenden. Sofern diese Versorgung für die Betroffenen günstiger war, wurde statt des durchschnittlichen Monatsgrundlohns der letzten fünf Jahre für die Berechnung der Rente allein der im Monat Dezember 1973 erzielte Tariflohn herangezogen.
Für diejenigen DR-Angehörigen, die Anspruch auf eine "Alte Versorgung" hatten, bewirkte der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung - obwohl formell möglich - keine Erhöhung der Altersrente, weil tatsächliche Verdienste bis 1.250 Mark monatlich bei Vorliegen einer "Alten Versorgung" immer als versichert galten (vgl. näher Deter, DRV 2002, S. 10 <23>) und aus der Zusatzversicherung dann keine Zusatzrente gezahlt wurde (vgl. § 13 Abs. 2 FZR-VO 1971).
4. Sofern - wie im Falle des Verfahrens 1 BvR 1028/03 - die Voraussetzungen einer "Alten Versorgung" nicht vorlagen, wurde danach differenziert, ob ein Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung erfolgte. Der Beitritt führte für die Versicherten ab dem In-Kraft-Treten der Neuregelung der Eisenbahnerversorgung am 1. Januar 1974 grundsätzlich zu einer höheren Rentenleistung. Gleichwohl sahen nicht wenige Versicherte von einem Beitritt ab, weil seit dem 1. Januar 1974 Arbeitsentgelte bei der Deutschen Reichsbahn als mit dem Steigerungsbetrag zur Berechnung der Alters- und Invalidenversorgung von 1,5 vom Hundert für jedes Jahr der Dienstzeit statt des normalen Steigerungsbetrags in der Sozialversicherung von 1 vom Hundert versichert galten, sofern eine ununterbrochene Dienstzeit von 10 und mehr Jahren erreicht wurde (§ 11 Abs. 3 Satz 1 EisenbahnerVO 1973). Mit dieser Regelung sollten die Beschäftigten der Reichsbahn als eines Schlüsselsektors der Wirtschaft davon abgehalten werden, in andere Beschäftigungsbereiche zu wechseln. Die Regelung bewirkte, dass ein Versicherter mit 45 Beschäftigungsjahren und einem monatlichen Durchschnittsverdienst von 600 Mark im maßgeblichen Zeitraum eine um 135 Mark höhere Rente, rund 28 vom Hundert mehr als ohne den Steigerungsbetrag, aus der Sozialversicherung erreichen konnte (vgl. Deter, DRV 2002, S. 10 <14>).
5. Im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) ist vorgesehen, dass die Vorschriften der EisenbahnerVO 1973 nur noch bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden sind (Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 2 Buchstabe a)). Durch das auf Grund des Einigungsvertrages erlassene Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli...