BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2222/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau (…), |
- Bevollmächtigte:
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1. (…),
-
2. (…),
-
3. (…) -
gegen |
a) |
den Beschluss des Bundesgerichtshofs |
vom 22. September 2021 - 3 StR 441/20 -, |
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b) |
den Beschluss des Bundesgerichtshofs |
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vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20 -, |
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c) |
das Urteil des Oberlandesgerichts München |
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vom 11. Juli 2018 - 6 St 3/12 - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 30. September 2022 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den sogenannten „NSU-Prozess“. Sie richtet sich gegen ein Strafurteil des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2018 und zwei Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 12. August 2021 und vom 22. September 2021.
I.
1. Das Oberlandesgericht verurteilte die Beschwerdeführerin unter anderem wegen mittäterschaftlicher und mitgliedschaftlicher Beteiligung an mehreren Mordtaten einer rechtsterroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.
Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen hatte die Beschwerdeführerin ein enges Verhältnis zu zwei inzwischen verstorbenen Männern. Diese drei Personen teilten eine rassistische, antisemitische und staatsfeindliche Ideologie. Sie gerieten in den 1990er Jahren wegen des Verdachts auf die Beteiligung an politisch motivierten Straftaten in den Blickpunkt der Ermittlungsbehörden. Anfang des Jahres 1998 beschlossen sie, sich den Ermittlungsmaßnahmen durch Flucht zu entziehen. Sie brachen deshalb den Kontakt zu ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld nahezu ab. Nur zu wenigen gleichgesinnten Vertrauten pflegten sie noch persönlichen Umgang.
Die drei untergetauchten Personen kamen auf der Basis ihrer gemeinsamen politisch-ideologischen Einstellung überein, künftig eine Vielzahl willkürlich ausgewählter Menschen wegen deren südländischer Herkunft oder als Repräsentanten des Staates zu töten. Sie hofften auf eine destabilisierende Wirkung dieser Mordanschläge und erstrebten dadurch eine ihren nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen entsprechende Änderung der Staats- und Gesellschaftsform Deutschlands. Um diese Wirkung deutlich zu vergrößern, planten sie, die Öffentlichkeit zunächst nur den Seriencharakter der Taten erkennen zu lassen. Erst später wollten sie ein gemeinschaftlich erstelltes Bekennerdokument veröffentlichen, mit dem sich der von ihnen gebildete Personenverband nachträglich für die Anschläge verantwortlich erklärt. Des Weiteren vereinbarten sie, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Raubüberfälle auf Sparkassenniederlassungen, Postfilialen und Supermärkte zu begehen. Hierdurch sollten die zeitlich aufwendige Vorbereitung und Ausführung der Mordanschläge und das Leben im „nationalsozialistischen Untergrund“ finanziell ermöglicht werden.
Die drei Mitglieder dieser Vereinigung entschlossen sich, zu diesen Zwecken auf längere Zeit unter falscher Identität unerkannt zusammenzuleben, eine bürgerliche, unverdächtig erscheinende Legende aufzubauen und nach außen zu kommunizieren. Während vorgesehen war, dass die beiden Männer die Straftaten unmittelbar ausführten, organisierte vor allem die Beschwerdeführerin – etwa durch die Beschaffung falscher Identitätspapiere – die Tarnung des Personenzusammenschlusses. Sie übernahm es überdies, die finanziellen Angelegenheiten der Gruppe zu regeln und erforderlichenfalls dafür zu sorgen, dass sich die Vereinigung, deren drei Mitglieder anonym bleiben sollten, in der geplanten Weise zu den Taten bekennt.
In Umsetzung dieses Vereinigungskonzepts begingen die beiden Männer von September 2000 bis April 2007 zwölf ideologisch motivierte Mordanschläge. Sie töteten unter Verwendung einer mit einem Schalldämpfer ausgestatteten Pistole heimtückisch neun Männer mit südländischen Wurzeln. Außerdem schossen sie mit zwei anderen Pistolen hinterrücks auf zwei Polizeibeamte einer Streifenwagenbesatzung. Eine Polizistin verstarb, ihr Kollege überlebte schwer verletzt. Weiter verübten sie in den Räumlichkeiten eines Lebensmittelgeschäfts und auf offener Straße zwei Bombenattentate, die sich gegen Menschen mit südländischen Wurzeln richteten. Hierdurch wurde zwar niemand getötet, jedoch trugen zahlreiche Opfer – teils schwere – Gesundheitsschäden davon. Von Dezember 1998 bis November 2011 überfielen die Männer im Osten Deutschlands überdies 15 Sparkassenniederlassungen und Postfilialen sowie einen Supermarkt mit Schusswaffen. Tatplangemäß machten sie bei zwei Überfällen mit Tötungsvorsatz von einer Handfeuerwaffe Gebrauch.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war die Beschwerdeführerin insbesondere an der Planung jedes einzelnen Mordanschlags und Raubüberfalls beteiligt, indem sie zusammen mit den beiden anderen Gruppenmitgliedern die zuvor bei Ausspähmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse auswertete. Alle drei fassten jeweils den gemeinsamen Entschluss zur Tatbegehung. Sie einigten sich insbesondere auf Tatort, Tatzeit und Tatopfer. Während der Ausführung der jeweiligen Tat hielt sich die Beschwerdeführerin gemäß der zuvor getroffenen Übereinkunft in oder in der Nähe der als Zentrale genutzten gemeinsamen Wohnung auf, um die tatbedingte Abwesenheit ihrer Komplizen zu legendieren. Dort sollte sie bei Nachfragen Dritter hierfür unverfängliche Erklärungen geben und auf Vorkommnisse, die den Eindruck des bürgerlichen Lebens der drei in Frage stellen könnten, schnell und umsichtig reagieren. Nach Fertigstellung des ersten Bekennervideos im März 2001 sollte die Beschwerdeführerin darüber hinaus, falls den beiden Männern die Flucht nicht gelänge und sie zu Tode kämen, den Film in der aktuellen Version verbreiten und die in der Wohnung befindlichen Beweismittel vernichten. Die von ihr zugesagten Handlungen dienten dazu, den Männern eine sichere Rückzugsmöglichkeit zu schaffen und den Erfolg des Vereinigungskonzepts sicherzustellen.
Als die beiden Männer im November 2011 nach ihrem letzten Raubüberfall von der Polizei entdeckt wurden und ihre Festnahme drohte, begingen sie Suizid. Die Beschwerdeführerin erfuhr aus dem Rundfunk vom Tod ihrer beiden Komplizen. Absprachegemäß setzte sie sodann die zu dieser Zeit genutzte Wohnung in Brand, um Beweismittel zu vernichten, die Rückschlüsse auf den Personenverband und seine Unterstützer zuließen. Anschließend flüchtete sie und versandte zahlreiche Exemplare des Bekennervideos in der aktuellen Fassung, die für den nunmehr eingetretenen, bereits bei den Planungen bedachten Fall bereitlagen. Drei Menschen, deren Tod die Beschwerdeführerin bei der Inbrandsetzung der Wohnung in Kauf nahm, blieben unverletzt.
2. a) Die Beschwerdeführerin ging gegen das Urteil mit der Revision vor. Sie stützte ihr Rechtsmittel auf Verfahrensbeanstandungen und auf die Sachrüge. Im Revisionsverfahren ließ sie sich durch mehrere Verteidiger vertreten, die in Schriftsätzen zur Revisionsbegründung und in Stellungnahmen zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof insbesondere die Einordnung ihres Handelns als Mittäterschaft angriffen.
b) Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs verwarf mit Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO vom 12. August 2021 die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Beschwerdeführerin. Er änderte auf ihre Sachrüge gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 analog StPO nur den sie betreffenden Schuldspruch geringfügig ab. Im Übrigen hielt das angefochtene Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Die – mit der Verfassungsbeschwerde nicht weiterverfolgten – Verfahrensbeanstandungen blieben ebenfalls erfolglos.
aa) Die Beweiswürdigung erachtete der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerfrei. Soweit das Oberlandesgericht festgestellt habe, die Beschwerdeführerin habe an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt, finde die tatrichterliche Überzeugungsbildung in den Ergebnissen der Beweisaufnahme eine tragfähige Tatsachengrundlage und beruhe auf möglichen Schlussfolgerungen, die rational nachvollziehbar und in hohem Maße plausibel seien.
bb) Der 3. Strafsenat stellte klar, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung Taten, die aus einer terroristischen Vereinigung heraus begangen werden, dem einzelnen Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund dessen Zugehörigkeit zu der Organisation nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden könnten. Für jede Tat sei nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt habe oder ob es keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet habe. Der Bundesgerichtshof unterzog dementsprechend alle vom Oberlandesgericht festgestellten Umstände einer wertenden Gesamtbetrachtung. Nach seiner Auffassung ergab diese Gesamtbetrachtung, dass die Bewertung des Oberlandesgerichts, die Beschwerdeführerin habe – obwohl sie in keinem Fall an der Tatausführung unmittelbar beteiligt gewesen sei – im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich mit den beiden Männern gehandelt, im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken begegne. Sie habe gewichtige objektive Tatbeiträge...