Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten

Coming into Force24 Julio 2024
Issue Date16 Julio 2024
Record NumberBJNR0F00B0024
CitationKapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 16. Juli 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 240)
Official Gazette PublicationBGBl. I 2024, Nr. 240

Fußnote

(+++ Textnachweis ab: 20.7.2024 +++)

(+++ Zur Anwendung vgl. § 3 +++)

Das G wurde als Art. 1 des G v. 16.7.2024 I Nr. 240 vom Bundestag beschlossen. Es tritt gem. Art. 10 Satz 1 dieses G am 20.7.2024 in Kraft.

Inhaltsübersicht
Abschnitt 1 Musterverfahrensantrag; Vorlageverfahren
§ 1 Anwendungsbereich; Verhältnis zum Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz

(1) Dieses Gesetz ist anwendbar in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen einer der folgenden Ansprüche geltend gemacht wird:

1.
ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation,
2.
ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist,
3.
ein Erfüllungsanspruch aus einem Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, einschließlich eines Anspruchs nach § 39 Absatz 3 Satz 3 und 4 des Börsengesetzes, beruht, oder
4.
ein Schadensersatzanspruch nach Artikel 75 Absatz 8 der Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937 (ABl. L 150 vom 9.6.2023, S. 40; L, 2024/90275, 2.5.2024), die durch die Verordnung (EU) 2023/2869 (ABl. L, 2023/2869, 20.12.2023) geändert worden ist.

(2) Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dies sind insbesondere Angaben

1.
in Prospekten nach der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG (ABl. L 168 vom 30.6.2017, S. 12), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2023/2869 (ABl. L, 2023/2869, 20.12.2023) geändert worden ist,
2.
in Wertpapier-Informationsblättern nach dem Wertpapierprospektgesetz und Informationsblättern nach dem Wertpapierhandelsgesetz,
3.
in Verkaufsprospekten, Vermögensanlagen-Informationsblättern und wesentlichen Anlegerinformationen nach dem Verkaufsprospektgesetz, dem Vermögensanlagengesetz, dem Investmentgesetz in der bis einschließlich 21. Juli 2013 geltenden Fassung sowie dem Kapitalanlagegesetzbuch,
4.
in Anlagebasisinformationsblättern nach der Verordnung (EU) 2020/1503 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Oktober 2020 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 und der Richtlinie (EU) 2019/1937 (ABl. L 347 vom 20.10.2020, S. 1), die durch die Delegierte Verordnung (EU) 2022/1988 (ABl. L 273 vom 21.10.2022, S. 3) geändert worden ist,
5.
in Kryptowerte-Whitepapern nach der Verordnung (EU) 2023/1114,
6.
in Mitteilungen über Insiderinformationen nach Artikel 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1; L 287 vom 21.10.2016, S. 320; L 348 vom 21.12.2016, S. 83), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2023/2869 (ABl. L, 2023/2869, 20.12.2023) geändert worden ist, sowie nach § 26 des Wertpapierhandelsgesetzes,
7.
in Darstellungen, Übersichten, Vorträgen und Auskünften in der Hauptversammlung über die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen im Sinne des § 400 Absatz 1 Nummer 1 des Aktiengesetzes,
8.
in Jahresabschlüssen, Lageberichten, Konzernabschlüssen, Konzernlageberichten sowie Halbjahresfinanzberichten des Emittenten,
9.
in auf den Emittenten oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen bezogenen Ratings nach der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (ABl. L 302 vom 17.11.2009, S. 1; L 350 vom 29.12.2009, S. 59; L 145 vom 31.5.2011, S. 57), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2023/2869 (ABl. L, 2023/2869, 20.12.2023) geändert worden ist, sowie in Bestätigungsvermerken von Abschlussprüfern zu offenzulegenden Jahresabschlüssen und Konzernabschlüssen des Emittenten und
10.
in Angebotsunterlagen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(3) Dieses Gesetz ist auf Verbandsklagen nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz nicht anzuwenden; § 18 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. Der Zulässigkeit eines Musterverfahrens nach diesem Gesetz steht nicht entgegen, dass wegen desselben Lebenssachverhalts eine Verbandsklage rechtshängig ist.

§ 2 Musterverfahrensantrag

(1) Durch Musterverfahrensantrag können der Kläger und der Beklagte im ersten Rechtszug die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) beantragen.

(2) Der Musterverfahrensantrag ist bei dem Prozessgericht unter Angabe der Feststellungsziele und der betroffenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen zu stellen. Im Fall des § 1 Absatz 1 Nummer 4 sind anstelle der betroffenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen die Vorfälle nach Artikel 75 Absatz 8 der Verordnung (EU) 2023/1114 anzugeben.

(3) In dem Antrag sind die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Der Antragsteller muss darlegen, dass der Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann.

(4) Dem Antragsgegner ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Fußnote

(+++ § 3: Zur Anwendung vgl. § 8 HalbS 2 +++)

§ 4 Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags

(1) Einen zulässigen Musterverfahrensantrag macht das Prozessgericht im Musterverfahrensregister (§ 5) öffentlich bekannt. Die Bekanntmachung soll binnen drei Monaten ab Eingang des Antrags erfolgen.

(2) Die Bekanntmachung ist mit dem Datum ihrer Veröffentlichung zu versehen und enthält die folgenden Angaben:

1.
die vollständige Bezeichnung der Beklagten und ihrer gesetzlichen Vertreter,
2.
die Bezeichnung des von dem Musterverfahrensantrag betroffenen Emittenten von Wertpapieren, Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder Anbieters von Kryptowerte-Dienstleistungen,
3.
die Bezeichnung des Prozessgerichts,
4.
das Aktenzeichen des Prozessgerichts,
5.
die Feststellungsziele des Musterverfahrensantrags einschließlich der betroffenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen oder der Vorfälle nach Artikel 75 Absatz 8 der Verordnung (EU) 2023/1114,
6.
eine knappe Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhalts,
7.
die Höhe des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist, und
8.
den Zeitpunkt des Eingangs des Musterverfahrensantrags beim Prozessgericht.
§ 5 Musterverfahrensregister; Verordnungsermächtigung

(1) Das Musterverfahrensregister wird im Bundesanzeiger unter der Rubrik „Register nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ geführt.

(2) Die Einsicht in das Musterverfahrensregister steht jedem unentgeltlich zu.

(3) Das Gericht, das die Bekanntmachung veranlasst, trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die von ihm im Musterverfahrensregister bekannt gemachten Daten, insbesondere für die Rechtmäßigkeit ihrer Erhebung, die Zulässigkeit ihrer Veröffentlichung und die Richtigkeit der Darstellung. Der Betreiber des Musterverfahrensregisters verarbeitet die Daten im Auftrag und nach Weisung des Gerichts, das die jeweilige Bekanntmachung veranlasst.

(4) Die im Musterverfahrensregister gespeicherten Daten sind sechs Monate nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens oder im Fall des § 7 Absatz 5 Satz 1 sechs Monate nach Zurückweisung des Musterverfahrensantrags zu löschen.

(5) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates nähere Bestimmungen über Inhalt und Aufbau des Musterverfahrensregisters, insbesondere über Eintragungen, Änderungen, Löschungen, Einsichtsrechte, Datensicherheit und Datenschutz, zu treffen. Dabei sind Vorschriften vorzusehen, die sicherstellen, dass die Bekanntmachungen

1.
unversehrt, vollständig und aktuell bleiben sowie
2.
jederzeit ihrem Ursprung zugeordnet werden können.
§ 6 Unterbrechung des Verfahrens

Mit der Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags wird das jeweilige Ausgangsverfahren unterbrochen, soweit die Entscheidung des Rechtsstreits voraussichtlich von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.

§ 7 Vorlage an das Oberlandesgericht; Verordnungsermächtigung

(1) Durch Vorlagebeschluss ist eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über die Feststellungsziele von Musterverfahrensanträgen herbeizuführen, die den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen (gleichgerichtete Musterverfahrensanträge), wenn innerhalb von sechs Monaten nach der ersten...

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