Urteil Nr. B 1 KR 34/17 R des Bundessozialgericht, 2018-12-18
Judgment Date | 18 December 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:181218UB1KR3417R1 |
Judgement Number | B 1 KR 34/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Versicherte haben Anspruch auf Nagelspangenkorrektur nur als vertragsärztliche Leistung, nicht aber auf deren Verschaffung durch selbstständig tätige, nichtärztliche Podologen, selbst wenn sie keine leistungsbereiten Ärzte finden.
TenorAuf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2017 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Orthonyxiebehandlung (Korrektur eingewachsener Nägel mittels Nagelspange).
Die 1951 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet unter einem chronifiziert eingewachsenen Großzehennagel links. Die Beklagte übernahm 2010 und 2012 jeweils die Kosten einer Orthonyxiebehandlung durch die Podologin R nebst der Kosten für eine Zehennagelspange (im Folgenden: Nagelspanne). Die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin W verordnete ihr eine "Nagelspange für Orthonyxiebehandlung" (3.6.2013). Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin, die Kosten der Orthonyxiebehandlung der Podologin R zu übernehmen (zehnmal Regulierung der Nagelspange je 19 Euro: 190 Euro), anders als die Tragung der nachgewiesenen Sachkosten (Nagelspange), ab (Bescheid vom 25.6.2013; Widerspruchsbescheid vom 9.9.2013): Sie dürfe die Orthonyxiebehandlung nur als vertragsärztliche Leistung erbringen, nicht als selbstständige Leistung einer Podologin. R legte der Klägerin eine Nagelspanne an. Nach Klageerhebung regulierte sie 2014 und 2015 achtmal die Nagelspange (Kosten: 152 Euro). Das SG hat die Beklagte zur Erstattung von 152 Euro Behandlungskosten und zur Übernahme künftiger Behandlungs- und Sachkosten verurteilt (Urteil vom 11.5.2016). Die Klägerin hat im Berufungsverfahren ihre Klage auf die Zahlung von 152 Euro beschränkt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Klägerin stehe der Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V zu. Die Orthonyxiebehandlung sei eine ärztliche Leistung. Insoweit liege aber ein Systemversagen vor, da die medizinisch notwendige, im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) vorgesehene ärztliche Behandlung der Klägerin von keinem Arzt erbracht werde und die Leistung auch nicht als Heilmittel verordnungsfähig sei. Es bestehe daher anstelle der ärztlichen Behandlung ein Anspruch auf Versorgung mit einer eigenverantwortlichen Orthonyxiebehandlung durch Podologen. Sie seien hinreichend qualifiziert (Urteil vom 11.10.2017).
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Der Arztvorbehalt nach § 15 SGB V sei auch im Falle eines Systemversagens beachtlich und stehe der Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Leistungserbringers entgegen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2017 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie meint, die Orthonyxiebehandlung unterfalle dem Arztvorbehalt des § 15 SGB V, leistungsbereite Vertragsärzte könne sie aber nicht benennen.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision der beklagten KK ist in vollem Umfang begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht deren Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Das LSG-Urteil verletzt revisibles Recht. Die Klage der Klägerin auf Erstattung von 152 Euro Kosten für selbst beschaffte nichtärztliche Orthonyxieleistungen ist unbegründet. Die Klägerin hat hierauf keinen Anspruch.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
1. Die Klägerin hatte lediglich Anspruch auf (vertrags-)ärztliche Behandlung ihres chronifiziert eingewachsenen Großzehennagels, der 2014 und 2015 eine Orthonyxiebehandlung erforderte (dazu a), nicht aber Anspruch auf podologische Behandlung als vertragsärztlich verordnetes Heilmittel (dazu b), als Leistungsgegenstand im Rahmen von Modellvorhaben (dazu c) oder zur Schließung einer Versorgungslücke (dazu d), auch wenn eine podologische Heilpraktikerin die Leistung erbrachte.
a) Die vertragsärztliche Orthonyxiebehandlung umfasst auch die Regulierung einer Nagelspange, wie sie bei der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 erfolgen sollte. Das Regulieren einer Nagelspange ist eine dem Arztvorbehalt des § 15 Abs 1 S 1, § 28 Abs 1 SGB V unterfallende Leistung. Überzeugend hat das LSG darauf verwiesen, dass Anhang 1 des EBM(Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen) das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange als ärztliche Leistung beschreibt, die in der Versichertenpauschale enthalten oder möglicher Bestandteil der Grundpauschale ist. Welche Leistungen die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Versicherte haben aus § 27 SGB V einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt (zum Individualanspruch Versicherter vglBSG Beschluss vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 54, GesR 2007, 276; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 14 mwN; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.4.2018, § 13 SGB VRdNr 53 f). Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V).
Die Regelung des § 28 Abs...
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