Urteil Nr. B 1 A 2/19 R des Bundessozialgericht, 2019-10-08

Judgment Date08 Octubre 2019
ECLIDE:BSG:2019:081019UB1A219R0
Judgement NumberB 1 A 2/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Jahresrechnung - Rückstellungen aufgrund ungewisser Verpflichtungen oder für künftige Zeiträume - Buchung nur aufgrund einer besonders geregelten Rechtfertigung - Buchung für Verpflichtungen aus Umlagen für Haftungsfälle für geschlossene Krankenkassen
Leitsätze

1. Eine Krankenkasse darf Rückstellungen in der Jahresrechnung aufgrund ungewisser Verpflichtungen oder für einen nach dem Haushaltsjahr liegenden künftigen Zeitraum nur aufgrund einer besonders geregelten Rechtfertigung buchen.

2. Eine Betriebskrankenkasse darf Verpflichtungen aus Umlagen für Haftungsfälle für geschlossene Krankenkassen nur buchen, wenn die Umlage bereits durch Umlagebescheid des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen angefordert wurde.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für beide Instanzen wird auf 2 500 000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die aufsichtsrechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Ausbuchung von Schätzverpflichtungen.

Die klagende, bundesweit zuständige Betriebskrankenkasse (BKK) buchte ab 2011 Rückstellungen für ein selbst geschätztes Haftungsrisiko bei der Schließung anderer für Betriebsfremde geöffneter BKKn in ihren Jahresrechnungen unter Ziffer 1299 ("Übrige Verpflichtungen") nach dem Kontenrahmen für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und für den Gesundheitsfonds (Anlage 1 zu § 25 Abs 2 Nr 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über das Rechnungswesen in der Sozialversicherung - SRVwV vom 15.7.1999, BAnz Nr 145a vom 6.8.1999, hier anzuwenden idF durch die Neunte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über das Rechnungswesen in der Sozialversicherung vom 19.1.2015, BAnz AT 23.1.2015 B9, entsprechend der Neubekanntmachung vom 14.7.2016 mWv 1.1.2016, GMBl 2016, 898). Zur Bestimmung der Höhe der Rückstellungen setzte die Klägerin jeweils das veröffentliche Vermögen der einzelnen BKKn, soweit es unterhalb der gesetzlichen Mindestrücklage von 25 vH einer Monatsausgabe lag, mit einer quotenmäßigen Schließungswahrscheinlichkeit ins Verhältnis. Die beklagte Bundesrepublik - vertreten durch das Bundesversicherungsamt - beanstandete diese Buchung zunächst erfolglos (Mitteilung des Prüfdienstes vom 8.6.2016, Prüfbericht vom 27.10.2016, Schreiben der Beklagten vom 7.12.2016 sowie Besprechungen der Beteiligten am 18.7.2016 und 18.5.2017) und verpflichtete die Klägerin, die Rückstellungen in der Jahresrechnung für 2017 auszubuchen (Bescheid vom 25.9.2017). Das LSG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen: Die Rechnungslegung einer gesetzlichen Krankenkasse (KK) erfolge grundsätzlich nach den sozialrechtlichen Vorgaben. Es fehle eine Rechtsgrundlage für eine kassenindividuelle Schätzverpflichtung. Der verbindliche Kontenrahmen sehe unter Ziffer 1298 vor, dass Buchungen für Haftungsumlagen nur nach entsprechenden Feststellungen des GKV-Spitzenverbandes vorzunehmen seien (Urteil vom 15.1.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 77 Abs 1a SGB IV iVm § 252 Handelsgesetzbuch (HGB) und § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV. Die Buchung von Schätzverpflichtungen sei nach § 77 Abs 1a SGB IV zulässig. Die geforderte Ausbuchung von bereits seit 2011 unbeanstandet erfolgten Verpflichtungsbuchungen verstoße gegen das Realisationsprinzip. Die Beklagte habe ihr Ermessen überschritten.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Januar 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der klagenden BKKn ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Aufsichtsklage (§ 54 Abs 3 SGG) gegen die Aufsichtsanordnung der beklagten Bundesrepublik Deutschland ist zulässig, aber unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Beklagte rechtmäßig die Klägerin verpflichtete, die geschätzten Verpflichtungen wegen des Haftungsrisikos bei Schließung anderer KKn auszubuchen (Bescheid vom 25.9.2017).

1. Die Beklagte durfte als zuständige Aufsichtsbehörde (§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB IV) die Klägerin - einen bundesunmittelbaren Versicherungsträger - gemäß § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV verpflichten, eine bevorstehende Rechtsverletzung zu unterlassen. Denn die Beklagte wirkte in Einklang mit § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV zunächst im Vorfeld der Aufsichtsverfügung mit erfolglosen Hinweisen, Beratung und Aufforderungen zur Beendigung des für rechtswidrig erachteten Buchungsverhaltens bei früheren Jahresrechnungen beratend darauf hin, dass die Klägerin von der rechtlich unzulässigen Buchung von Schätzverpflichtungen Abstand nehme. Sie beachtete das gesetzlich vorgesehene, zeitlich und in seiner Intensität abgestufte Verfahren (vgl dazu BSG SozR 3-2400 § 89 Nr 4 S 12; BSG SozR 4-2400 § 89 Nr 2 RdNr 13 mwN). Nach Sinn und Zweck des § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV, der ausdrücklich nur die Verpflichtung zur Behebung der Rechtsverletzung nennt, ist es folgerichtig, von demjenigen, der das Recht verletzt hat, auch zu verlangen, künftig entsprechende Rechtsverletzungen nicht mehr zu begehen (präventive Verpflichtung - vgl BSGE 102, 281 = SozR 4-2500 § 222 Nr 1, RdNr 12; BSGE 90, 162, 169 = SozR 3-2500 § 284 Nr 1 S 8; Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Stand Januar 2011, 350, S 3).

2. Die Beklagte erließ die angefochtene Anordnung unter Beachtung des aufsichtsrechtlichen Prüfmaßstabs (dazu a) wegen einer Rechtsverletzung (dazu b) ermessensfehlerfrei (dazu c).

a) Der Prüfungsmaßstab der Aufsichtsbehörde richtet sich nach den rechtlichen Vorgaben für das Verhalten des Versicherungsträgers, das Gegenstand der Maßnahme ist (vgl zB für den Abschluss eines Gruppenversicherungsvertrags zwischen einer KK und einem privaten Krankenversicherer, um Mitglieder und deren familienversicherte Angehörige bei Auslandsreisen gegen Krankheitskosten abzusichern BSGE 121, 179 = SozR 4-2500 § 194 Nr 1 und für den Bereich der Sach- und Vermögensverwaltung die aufsichtsrechtliche Pflicht, im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen maßgeblichen Rechts iS von § 29 Abs 3 SGB IV "wirtschaftlich vertretbare" Entscheidungen hinzunehmen, BSGE 71, 108 , 110 = SozR 3-2400 § 69 Nr 1 S 4 mwN; BSG SozR 4-2400 § 80 Nr 1 RdNr 23; BSGE 102, 281 = SozR 4-2500 § 222 Nr 1, RdNr 16 mwN; zu den abweichenden Maßstäben bei Vermögensentscheidungen im Rahmen gesetzlich normierter Genehmigungsvorbehalte vgl zB BSG SozR 3-2400 § 41 Nr 1 S 3 mwN; BSG Urteil vom 16.11.2005 - B 2 U 14/04 R - juris RdNr 19; zum Bereich der "klassischen" Aufsicht nach § 87 Abs 1 SGB IV vgl zB BSGE 94, 221 RdNr 19 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 20). Gegenstand der angefochtenen Maßnahme ist die Buchung einer Schätzverpflichtung wegen des Haftungsrisikos bei Schließung anderer BKKn in der Jahresrechnung 2017 der Klägerin.

b) Die Klägerin verletzte mit der Buchung selbst geschätzter künftiger Verpflichtungen wegen des Haftungsrisikos bei Schließung anderer BKKn in den Jahresrechnungen seit 2011 von zuletzt 69,05 Mio Euro (2015) und 65 Mio Euro (2016) als Rückstellung unter Ziffer 1299 des für die KKn maßgeblichen Kontenrahmens (Anlage 1 zu § 25 Allgemeine Verwaltungsvorschrift über das Rechnungswegen in der Sozialversicherung - SRVwV) das Gebot, Verpflichtungen aus Umlagen für Haftungsfälle für geschlossene KKn nur zu buchen, wenn die Umlage bereits durch Umlagebescheid des Spitzenverbands Bund der KKn angefordert wurde.

Rechtsgrundlage der Jahresrechnung für KKn ist § 77 SGB IV...

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