Urteil Nr. B 1 KR 21/19 R des Bundessozialgericht, 2020-05-26

Judgment Date26 Mayo 2020
ECLIDE:BSG:2020:260520UB1KR2119R0
Judgement NumberB 1 KR 21/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine ambulante Operation am linken Auge der Klägerin.

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an einem Keratokonus an beiden Augen (kugelförmige Vorwölbung der Hornhaut mit einer irregulären Hornhautkrümmung und zu geringer Hornhautstabilität). Sie beantragte bei der Beklagten die Kostenübernahme für einen minimal-invasiven Eingriff an beiden Augen, eine ambulant durchzuführende CISIS-Behandlung mit MyoRing-Implantation, durch den in Österreich praktizierenden Augenarzt Dr. D. (Antragsschreiben mit Datum vom 19.9.2015). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat bislang für diese Therapie keine Empfehlung abgegeben. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, die Unterlagen seien an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Stellungnahme weitergeleitet worden (Schreiben vom 2.10.2015). Nachdem der MDK eine Kostenübernahme unter Verweis auf die mangelnde Studienlage zur beantragten Operation nicht empfohlen hatte (23.10.2015), lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 11.11.2015). Die Klägerin ließ währenddessen die Operation des rechten Auges am 19.10.2015 und die Operation des linken Auges am 14.12.2015 in Österreich durch Dr. D. für jeweils 3000 Euro durchführen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.6.2016). Das SG hat unter Verweis auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V den Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, soweit die Beklagte die Versorgung des linken Auges mit einer CISIS-Behandlung abgelehnt hatte und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die verauslagten Kosten für die Operation am linken Auge in Höhe von 3000 Euro zu erstatten. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.7.2017). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen: Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich nicht aus § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V. Der sachliche Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V sei schon nicht berührt. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs 1a, § 13 Abs 3, § 13 Abs 4 SGB V oder dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (Urteil vom 14.3.2019).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V. § 13 Abs 3a SGB V sei anwendbar. Sie habe keine Kostenerstattung, sondern nur eine Kostenübernahme beantragt. Zu berücksichtigen sei, dass es ihr nicht auf eine Behandlung im Ausland angekommen sei, sondern Dr. D. der einzige Arzt gewesen sei, der die beantragte Behandlung durchführe. Zudem sei § 13 Abs 3a SGB V auch dann anwendbar, wenn bei Antragstellung eine Behandlung im Ausland geplant sei. Es sei auch nicht offensichtlich, dass die beantragte Leistung nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehöre. Denn Behandlungsalternativen hätten gefehlt. Die Behandlung des linken Auges sei erst nach Ablauf der Frist aus § 13 Abs 3a SGB V erfolgt. Die beiden Augenoperationen bildeten auch keine einheitlich zu beurteilende Leistungsbeschaffung.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 2019 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage zu Recht auch hinsichtlich der Erstattung der Kosten für die Behandlung des linken Auges abgewiesen und das Urteil des SG insoweit geändert. Die auf GKV-Recht außerhalb von § 13 Abs 3a SGB V gestützte, zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (dazu 1.) ist ebenso unbegründet (dazu 2.) wie die auf eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 iVm Satz 7 SGB V gestützte allgemeine Leistungsklage (dazu 3.). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die operative Versorgung ihres linken Auges mit einer CISIS-Behandlung mit Implantation eines MyoRings in die Hornhaut.

1. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig. Die isolierte Anfechtungsklage ist schon wegen Unanwendbarkeit des § 13 Abs 3a SGB V auf Kostenerstattungsfälle (näher dazu unten 3.) nicht vorrangig.

2. Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich weder aus § 13 Abs 4 SGB V (dazu a), § 2 Abs 1a SGB V (dazu b), § 13 Abs 3 SGB V (dazu c), dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (dazu d), § 27 iVm § 140e SGB V (dazu e) noch aus unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (dazu f).

a) § 13 Abs 4 SGB V eröffnet Kostenerstattungsansprüche ohne sachliche Leistungsausweitung im Umfang des deutschen Leistungsrechts der GKV (dazu aa). Das Leistungsrecht der GKV sieht aber keinen Anspruch der Klägerin auf die Versorgung mit einer CISIS-Behandlung vor (dazu bb).

aa) Versicherte sind nach § 13 Abs 4 SGB V (idF durch Art 4 Nr 3 Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.6.2011, BGBl I 1202, mWv 29.6.2011) berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Wie sich aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt die Vorschrift einen Anspruch auf die entsprechende Naturalleistung nach dem SGB V voraus (vgl BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 19/08 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 21 RdNr 10; BSG vom 18.11.2014 - B 1 KR 19/13 R - BSGE 117, 212 = SozR 4-2500 § 27 Nr 26, RdNr 29). Sie entspricht unter diesem Aspekt den Bestimmungen über gewillkürte und sachleistungsersetzende Kostenerstattung wegen Systemversagens (§ 13 Abs 2 und 3 SGB V, vgl dazu stRspr, zB BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 11/13 R - BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 8 mwN). Sie entpflichtet nicht von der Beachtung des nationalen Leistungsrechts des SGB V im Übrigen (vgl zB BSG vom 13.7.2004 - B 1 KR 33/02 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 14).

bb) Das Leistungsrecht der GKV sieht jedoch keinen Anspruch der Klägerin auf die Versorgung mit einer CISIS-Behandlung vor.

(1) Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ggf modifiziert durch die Grundsätze grundrechtsorientierter Auslegung (vgl § 2 Abs 1a SGB V, zuvor BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 sowie zB BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 28 mwN zur Rspr). Diese allgemeinen Vorgaben werden für den ambulanten Bereich durch § 135 SGB V konkretisiert. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung sind gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der GKV umfasst, wenn zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gemacht hat (stRspr, vgl zum Ganzen zB BSG vom 16.5.2001 - B 6 KA 20/00 R - BSGE 88, 126, 128 = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 147; BSG vom 17.6.2008 - B 1 KR 24/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 14; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R - BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 13 mwN). Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der KKn erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den KKn geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (stRspr, vgl BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 12; BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R - BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 16; zur Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten vgl § 91 Abs 6 SGB V; zur Verfassungsmäßigkeit und ihrer Überprüfung vgl nunmehr BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 46 ff; s ferner BSG vom 15.12.2015 - B 1 KR 30/15 R - BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 45 ff zur Arzneimittel-RL des GBA).

Ärztliche bzw ärztlich verordnete Behandlungsmethoden im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl nur BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R - BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 15 mwN). "Neu" ist eine Methode, wenn sie (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten ist (stRspr, vgl nur BSG vom 17.2.2010 - B 1 KR 10/09 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 33 ff).

Die CISIS-Behandlung kann nach diesen Maßstäben als neue Behandlungsmethode nicht...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT