Urteil Nr. B 1 KR 2/19 R des Bundessozialgericht, 2019-10-08
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Judgment Date | 08 n 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:081019UB1KR219R0 |
Judgement Number | B 1 KR 2/19 R |
Behandelt ein Krankenhaus einen Versicherten stationär weder entsprechend dem Qualitätsgebot noch den Anforderungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung, hat es trotz preisrechtlicher Vereinbarung einer Entgelthöhe gegen dessen Krankenkasse keinen Vergütungsanspruch.
TenorAuf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2018 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 17 702,40 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
Die klagende Krankenhausträgerin behandelte in ihrem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus den bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten, an einer COPD vom homogenen Lungenemphysemtyp (Grad IV nach GOLD) leidenden B. H. (im Folgenden: Versicherter) stationär (9. bis 15.7.2013). Sie implantierte ihm endobronchiale Nitinolspiralen (Lungenvolumenreduktionsspulen - Coils) und berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2013 DRG>) E05A (Andere große Eingriffe am Thorax mit äußerst schweren CC; 12 250,08 Euro nebst 93,56 Euro Zuschlägen) und das Zusatzentgelt 76197519 (9800 Euro) für die Implantation der Coils (insgesamt 22 143,64 Euro abzüglich 70 Euro Selbstbeteiligung). Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung. Sie forderte auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wonach es sich um eine dem Qualitätsgebot nicht entsprechende, experimentelle Methode handele, vergeblich den gesamten Rechnungsbetrag zurück. Hierauf kürzte sie in Höhe von 22 143,64 Euro unstreitige Rechnungsbeträge, die die Vergütung für die Behandlung anderer Versicherter durch die Klägerin betrafen. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 70 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.3.2014 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 14.11.2017). Das LSG hat das SG-Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 17 702,40 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.3.2014 verurteilt: Im Jahr 2013 habe hinsichtlich der bei dem Versicherten angewandten Methode zwar in Fachkreisen noch kein breiter Konsens bestanden; entgegen der Rspr des erkennenden Senats genüge für den Vergütungsanspruch aber, dass die angewandte Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative habe. Diese Anforderung sei hier erfüllt.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1, § 27 Abs 1, § 39 Abs 1, § 70 Abs 1 und § 137c SGB V. § 137c SGB V setze die Anforderungen an die Einhaltung des Qualitätsgebots nach § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V für den stationären Bereich nicht herab. Eine Lungenvolumenreduktion durch Coils zur Behandlung eines Lungenemphysems entspreche nicht dem Qualitätsgebot und könne daher nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2018 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. November 2017 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2018 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben, soweit es die Klage abgewiesen hat. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12), jedoch - soweit noch streitig - unbegründet. Der im Revisionsverfahren noch in Höhe von 17 702,40 Euro streitige Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung von Krankenhausbehandlung anderer Versicherter (dazu 1.) erlosch dadurch, dass die Beklagte wirksam mit ihrem Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten aufrechnete (dazu 2.). Der Klägerin stand wegen der stationären Behandlung des Versicherten kein Vergütungsanspruch zu. Die Implantation von Coils war wegen Verstoßes gegen das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) nicht erforderlich und verstieß damit zugleich gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V; dazu 3.). Die Einwendung der Klägerin, die Vereinbarung nach § 6 Abs 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) setze das Qualitätsgebot außer Kraft und begründe einen Vergütungsanspruch auf eine nicht erforderliche Krankenhausbehandlung, greift nicht durch (dazu 4.). Die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung des Versicherten ergibt sich auch nicht aus grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (§ 2 Abs 1a SGB V; dazu 5.).
1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung weiterer 17 702,40 Euro hatte; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 15; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 4 RdNr 8).
2. Der anderweitige Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung erlosch dadurch, dass die Beklagte wirksam mit ihrem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten die Aufrechnung erklärte (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung vgl zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 9 ff mwN, stRspr). Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Der Vergütungsanspruch der Klägerin und der von der Beklagten aufgerechnete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch waren gegenseitig und gleichartig, der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch war fällig und der Vergütungsanspruch der Klägerin erfüllbar (vgl zur Aufrechnung BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 16; BSG SozR 4-5562 § 11 Nr 2; BSG SozR 4-7610 § 366 Nr 1). Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung in Höhe von 17 702,40 Euro waren erfüllt. Die Beklagte zahlte der Klägerin 17 702,40 Euro Krankenhausvergütung ohne Rechtsgrund, weil die Klägerin für die zugunsten des Versicherten erbrachten Leistungen keinen Vergütungsanspruch hatte.
3. Die Klägerin erfüllte bereits die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten nicht. Der Anspruch auf Vergütung (dazu a) setzt auch im stationären Bereich die Beachtung des Qualitäts- (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) und des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) voraus (dazu b). Die Implantation von Coils bei dem Versicherten genügte nach den den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG diesen Anforderungen nicht (dazu c).
a) Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V (idF durch Art 1 Nr 3 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser
b) Die auf diese Rechtsgrundlagen gestützte...
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