Urteil Nr. B 1 KR 13/19 R des Bundessozialgericht, 2019-11-19

Judgment Date19 November 2019
ECLIDE:BSG:2019:191119UB1KR1319R0
Judgement NumberB 1 KR 13/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankenhaus - Anspruch auf Vergütung stationärer medizinischer Reha-Notfallbehandlung
Leitsätze

1. Ein Krankenhaus hat Anspruch auf Notfallvergütung, wenn es Versicherte stationär versorgt, weil sie zwar nicht mehr der Krankenhausbehandlung, wohl aber stationärer medizinischer Reha bedürfen, sie aber nicht erhalten, obwohl ambulante Behandlung nicht ausreicht.

2. Erbringt ein Krankenhaus rechtmäßig einem Versicherten stationäre medizinische Reha-Notfallbehandlung, hat es Anspruch auf Krankenhausvergütung gegen den zuständigen Reha-Träger.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 10 483,32 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die klagende Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten, der aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Vollrente wegen Alters bezog, ab 7.12.2009 stationär wegen der Hauptdiagnose (nach ICD-10-GM 2009) J44.12 (Chronische obstruktive Lungenkrankheit mit akuter Exazerbation, nicht näher bezeichnet: FEV1 >= 50 % und < 70 % des Sollwertes). Auf den durch die Klägerin veranlassten Antrag (30.12.2009) bewilligte die Beklagte eine stationäre Anschlussheilbehandlung (AHB), vorzugsweise in der Lungenfachklinik in P. (im Folgenden: Reha--Einrichtung) (7.1.2010), fragte bei der Reha-Einrichtung an, wann der Versicherte aufgenommen werden könne und informierte die Klägerin (Telefax vom 19.1.2010 mit Datum vom 18.1.2010), dass sie ab 27.1.2010 die Kosten der AHB in der Reha-Einrichtung übernehmen werde. Die Klägerin entließ den Versicherten am 27.1.2010 aus der stationären Behandlung zur nahtlosen Aufnahme in der Reha-Einrichtung. Sie berechnete für den stationären Aufenthalt die Fallpauschale (Diagnosis Related Group - DRG) E36Z (Intensivmedizinische Komplexbehandlung > 552 Aufwandspunkte bei Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane), weitere Vergütungsbestandteile (verschiedene Zu- und Abschläge) sowie ein tagesbezogenes Entgelt von insgesamt 9998,60 Euro für zehn Tage Überschreitung der oberen Grenzverweildauer (OGVD) und erhielt dafür von der Beklagten 36 244,01 Euro. Die Beklagte forderte später vergeblich 10 483,32 Euro zurück (OGVD-Betrag einschließlich anteiliger Zu- und Abschläge). Krankenhausbehandlung sei jedenfalls ab dem 42. Tag der stationären Behandlung nicht mehr erforderlich gewesen. Die Beklagte rechnete 10 483,32 Euro gegenüber unstreitigen Vergütungsforderungen der Klägerin für die Behandlung anderer Versicherter auf. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 16.2.2017). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Aufrechnung sei ins Leere gegangen. Die Beklagte habe keinen Erstattungsanspruch. Der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsanspruch für die Behandlung des Versicherten stehe ihr zu. Der Versicherte habe bei Erreichen der OGVD weder nach Hause entlassen noch einer Kurzzeitpflegeeinrichtung noch einer nicht auf Lungenkrankheiten spezialisierten Reha-Einrichtung anvertraut werden können. In diesem Sinne sei die stationäre Behandlung weiterhin aus medizinischen Gründen erforderlich gewesen, auch wenn der Versicherte schon vor Erreichen der OGVD in die Reha-Einrichtung hätte verlegt werden können, sofern ein Behandlungsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Das Verhalten der Beklagten sei im Übrigen treuwidrig(Urteil vom 28.6.2018).

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von §§ 39, 109 Abs 4 Satz 3 SGB V.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2018 und des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Februar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, das sie zur Zahlung von 10 483,32 Euro nebst Zinsen hierauf von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2010 verurteilt hat.

Der klagenden Krankenhausträgerin steht der im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (stRspr, vglzBBSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter zu (dazu 1.). Dieser Vergütungsanspruch erlosch nicht infolge der Aufrechnungserklärung der beklagten KK. Die Voraussetzungen des § 387 BGB sind nicht erfüllt. Schulden danach zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch wegen überzahlter Vergütung für die Behandlung des Versicherten, mit dem die Beklagte aufrechnete, besteht nicht. Der streitige Vergütungsanspruch in Höhe des OGVD-Betrags einschließlich anteiliger Zu- und Abschläge von 10 483,32 Euro beruht auf dem Anspruch auf Vergütung als stationäre Reha-Notfallbehandlung in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V. Endet die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit eines Versicherten, weil dieser nicht mehr einer Versorgung mit den Mitteln des Krankenhauses bedarf, benötigt er aber medizinisch zwingend eine spezielle stationäre medizinische Reha, weil eine auch nur vorübergehende nichtstationäre Versorgung unzureichend ist, muss der zuständige, zeitgerecht hierüber informierte Reha-Träger für eine unmittelbar anschließende stationäre medizinische Reha sorgen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, sodass dem Versicherten bei einer Entlassung aus stationärer Krankenhausbehandlung eine Gesundheitsschädigung droht, ist das Krankenhaus als nicht zugelassene Reha-Einrichtung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V berechtigt, den Versicherten für die Dauer dieses Notfalls als stationären medizinischen Reha-Notfall (dazu 2.) zu den Sätzen für Krankenhausbehandlung (dazu 3.) zu versorgen. Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzungen der Vergütung stationärer Reha-Notfallbehandlung (dazu 4.). Die Klägerin hat auch Anspruch auf Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2010 auf den von der Beklagten in Höhe von 10 483,32 Euro nicht erfüllten Vergütungsanspruch für Reha-Notfallleistungen (dazu 5.).

1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der Beklagten Anspruch auf die abgerechnete Vergütung von 10 483,32 Euro hatte; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zBBSGSozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 10; BSGSozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; BSGSozR 4-5562 § 9 Nr 4 RdNr 8).

2. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist der Rechtsgedanke des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V(dazu a) in entsprechender Anwendung auf Reha-Notfallbehandlungen (dazu b). Der Anspruch richtet sich gegen den außenzuständigen Reha-Träger (dazu c).

a) Nach § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V dürfen Versicherte andere Ärzte als die in § 76 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Vertragsärzte und weiteren Leistungserbringer im ambulanten Versorgungsbereich einschließlich der ambulanten Operationen nur in Notfällen in Anspruch nehmen. Die Gesetzesregelung enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken für die Sicherstellung notwendiger ärztlicher Versorgung: Versicherte dürfen im Naturalleistungssystem des SGB V grundsätzlich nur zugelassene Leistungserbringer in Anspruch nehmen (vglzB § 2 Abs 2 Satz 1 und 3; für stationäre medizinische Reha § 40 Abs 2 und § 111 Abs 1 SGB V; im Übrigen vgl etwa § 76 Abs 1 Satz 1; § 39 Abs 1 Satz 2 iVm § 108; § 124 Abs 1; § 126 Abs 1 Satz 1 SGB V). In Notfällen greift diese Beschränkung aber bei ärztlichen Leistungen nicht ein. Denn die Versorgung der Versicherten soll im medizinischen Notfall zusätzlich auch durch nicht zugelassene, aber akut behandlungsbereite ärztliche Leistungserbringer abgesichert werden.

Dementsprechend findet diese Regelung auch auf den stationären Versorgungsbereich entsprechend Anwendung (vglBSGE 89, 39, 41 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 118; BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 47; BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 14 = USK 2015-59; BSGE 119, 141 = SozR 4-2500 § 108 Nr 4, RdNr 13; Klückmann in Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2019, § 76 RdNr 13a; Legde in LPK-SGB V, 5. Aufl 2016, § 76 RdNr 13; Orlowski in Orlowski/Remmert, SGB V, Stand Oktober 2019, § 76 RdNr 36; Rademacker in KassKomm, Stand August 2019, § 76 SGB VRdNr 8; iE ebenso Lang in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Aufl 2018, § 76 RdNr 19). Wird ein in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherter Patient als stationärer Notfall in ein nicht zugelassenes Krankenhaus aufgenommen, so wird dieses für die Dauer der Notfallbehandlung in das öffentlich-rechtliche Naturalleistungssystem der GKV einbezogen und erbringt seine Leistungen nach denselben Grundsätzen, die für zugelassene Krankenhäuser gelten. Der Vergütungsanspruch richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die KK(vglBSGE 89, 39, 41 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 118).

b) Diese Rechtsgrundsätze gelten entsprechend grundsätzlich auch in Notfällen, in denen Versicherte Anspruch nicht auf kurative Krankenhausbehandlung, sondern auf stationäre medizinische Reha haben. Insoweit besteht im Recht der medizinischen Reha eine planwidrige Regelungslücke (dazu aa), die nach dem in § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V enthaltenen Rechtsgedanken und dem mit ihr...

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