Urteil Nr. B 1 KR 15/19 R des Bundessozialgericht, 2020-07-16

Judgment Date16 Julio 2020
ECLIDE:BSG:2020:160720UB1KR1519R0
Judgement NumberB 1 KR 15/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 2018 wie folgt geändert: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 4500 Euro und Prozesszinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 25. Dezember 2015 zu zahlen. Insoweit wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13. September 2016 zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 21 300 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung gezahlter Aufwandspauschalen.

Die Beklagte, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses in der Rechtsform einer GmbH mit der Stadt H als Alleingesellschafterin, behandelte im Zeitraum von 2009 bis 2015 Versicherte der klagenden Krankenkasse (KK) stationär. Die Klägerin beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung von Rechnungen aus diesem Zeitraum. In 81 Fällen kam es nach Beiziehung der Behandlungsunterlagen und deren Prüfung durch den MDK zu keiner Minderung des Rechnungsbetrags. Die Klägerin zahlte jeweils 300 Euro Aufwandspauschale. Die Zahlungen erfolgten in den Jahren 2011 bis 2015. Die zunächst auf die Erstattung von 81 und nach teilweiser Klagerücknahme noch von 77 geleisteten Aufwandspauschalen gerichtete Klage vom 24.12.2015 hat das SG abgewiesen (Urteil vom 13.9.2016). Der Klägerin stehe kein Erstattungsanspruch zu. Ihre Zahlungen an die Beklagte seien nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V zu Recht erfolgt. Die Differenzierung des BSG zwischen sachlich-rechnerischer Richtigkeitsprüfung und Auffälligkeitsprüfung sei unzutreffend und rechtlich unhaltbar. Eine Erstattung gezahlter Aufwandspauschalen verstieße zudem gegen die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG nach Rücknahme der Klage in weiteren sechs Fällen das SG-Urteil geändert und die Beklagte in den verbliebenen 71 Fällen insgesamt zur Zahlung von 21 300 Euro nebst Zinsen seit dem 24.12.2015 verurteilt. Die Fragestellungen in diesen Fällen bezogen sich unter Hinweis auf § 275 Abs 1c SGB V auf Hauptdiagnosen, Nebendiagnosen, Prozeduren, Zusatzentgelte und Beatmungsstunden, jeweils unter dem Aspekt der korrekten Abrechnung. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe unter Einschaltung des MDK sachlich-rechnerische Prüfungen durchgeführt, auf die § 275 Abs 1c SGB V nach der überzeugenden Rechtsprechung des 1. Senats des BSG keine Anwendung finde. Unerheblich sei, dass der MDK in seinen Prüfanzeigen auf § 275 Abs 1c SGB V Bezug genommen habe. Unter Zugrundelegung des objektiven Empfängerhorizonts habe die Klägerin mit ihren Prüffragen auf die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit abgezielt. Der Erstattungsanspruch sei weder durch das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Eine gefestigte langjährige Rechtsprechung zu den Anspruchsvoraussetzungen der erst 2007 eingeführten Aufwandspauschale habe noch nicht bestanden. Deshalb und wegen der kurzen Verjährungsfristen entsprechend § 45 SGB I könne sich die Beklagte auch nicht auf Treu und Glauben berufen (Urteil vom 13.12.2018).

Die Beklagte rügt die Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsatzes (Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG) auch iVm dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, des Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 3 GG) und (sinngemäß) des § 242 BGB iVm § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V sowie des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V. Die Aufwandspauschalen seien zu Recht gezahlt worden. Jedenfalls sei die neuere Rechtsprechung des 1. Senats des BSG nicht auf abgeschlossene Aufwandspauschalenfälle anwendbar. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs sei insbesondere treuwidrig. Die Beklagte habe auf den bis zum 1.7.2014 übereinstimmenden Vollzug der Regelungen durch KKn und Krankenhäuser sowie auf die bis dahin bestehende Rechtsprechung vertrauen dürfen. So habe die Beklagte zB keine Rückstellungen für Erstattungsansprüche gebildet. Dieses Vertrauen und das aus der professionellen Zusammenarbeit zwischen KKn und Krankenhäusern abzuleitende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme begründeten die Treuwidrigkeit.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 2018 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13. September 2016 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten Krankenhausträgerin ist zum Teil begründet. Der im bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig mit der (echten) Leistungsklage geltend gemachte Erstattungsanspruch der klagenden KK (stRspr, vgl nur BSG vom 8.11.2011- B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 8) ist begründet, soweit es um 15 nach dem 31.12.2014 gezahlte Aufwandspauschalen für Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit geht; insoweit hätte das SG die Klage nicht (in vollem Umfang) abweisen dürfen, sondern die Beklagte zur Erstattung von insgesamt 4500 Euro verurteilen müssen. Das LSG hat das SG-Urteil insoweit zur Recht aufgehoben und die beklagte Krankenhausträgerin zur Zahlung verurteilt, so dass ihre Revision in diesem Umfang unbegründet ist. Dagegen ist ihre Revision begründet, soweit sich der Erstattungsanspruch auf 56 Aufwandspauschalen (insgesamt 16 800 Euro) bezieht, die vor dem 1.1.2015 gezahlt wurden; insoweit ist der Erstattungsanspruch nicht durchsetzbar und hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen; das SG-Urteil hätte vom LSG insoweit nicht aufgehoben werden dürfen. Begründet ist die Revision ferner hinsichtlich eines Teils der vom LSG zuerkannten Prozesszinsen.

Zwar leistete die Klägerin die 71 noch streitigen Aufwandspauschalen, die sie an die Beklagte für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen zahlte, ohne rechtlichen Grund, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs insgesamt erfüllt sind (dazu 1.). Der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs der Klägerin für vor dem 1.1.2015 gezahlte Aufwandspauschalen steht in der hier vorliegenden besonderen, alle KKn und Krankenhäuser betreffenden Konstellation jedoch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen (dazu 2.). KKn handeln dagegen nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie die Erstattung von Aufwandspauschalen verlangen, die sie nach dem 31.12.2014 für sachlich-rechnerische Prüfungen gezahlt haben (dazu 3.).

1. KKn waren nicht verpflichtet, für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen Aufwandspauschalen zu zahlen, so dass sie im Grundsatz deren Erstattung verlangen können.

a) Zahlungen ohne Rechtsgrund begründen einen Erstattungsanspruch des Zahlenden gegenüber dem Zahlungsempfänger, sei es nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vgl dazu BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 11 mwN), sei es nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 812 ff BGB. Diese Voraussetzungen sind bei Zahlungen von Aufwandspauschalen für vor dem 1.1.2016 eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen erfüllt.

Die Vorschrift des § 275 Abs 1 und Abs 1c SGB V begründet in ihren bis 31.12.2015 geltenden Fassungen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats keinen Anspruch auf die Zahlung von Aufwandspauschalen für sachlich-rechnerische Prüfungen, auch wenn die Prüfungen zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrags geführt haben (BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R - BSGE 116, 165 = SozR 4-2500 § 301 Nr 4). Gegenstand des in § 275 Abs 1 SGB V iVm § 275 Abs 1c SGB V aF genannten Verfahrens der Auffälligkeitsprüfung ist nur die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Nur diese kann bei Krankenhäusern die Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c SGB V aF auslösen.

Der erkennende Senat hat diese Auslegung in seinem Urteil vom 1.7.2014 nicht auf die Zukunft beschränkt, diese Rechtsprechung in weiteren Urteilen vom 14.10.2014 bestätigt (vgl nur BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 34/13 R - SozR 4-2500 § 301 Nr 5 RdNr 20 f) und die Differenzierung zwischen sachlich-rechnerischer Richtigkeitsprüfung und Wirtschaftlichkeitsprüfung in Urteilen...

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